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In Teltow rannten Wildschweine am Mittwochmorgen über die zentrale Kreuzung Warthestrasse/PotsdamerStrasse/Iserstraßsse.

© Privat

Teltow und Stahnsdorf: Wildschweinplage: "So schlimm war es noch nie"

Durch den milden Winter gibt es so viele Schweine wie nie, sagt Teltows Stadtjäger. Am Mittwoch rannten sie durch die Stadt. Stahnsdorf nennt Verzicht auf Bogenjagd "unverantwortlich". 

Von Enrico Bellin

Teltow/Stahnsdorf - Es ist ein beeindruckendes Bild, das am Mittwochvormittag im sozialen Netzwerk Facebook für Diskussionen sorgt: Eine Wildschweinrotte, offenbar eine Bache mit ihren fünf Frischlingen, trabt im morgendlichen Berufsverkehr munter über die Kreuzung von Potsdamer Straße, Iserstraße und Warthestraße mitten im Teltower Zentrum. Gepostet hat das Bild Teltows Stadtjäger Torsten Kroll, ein befreundeter Jäger habe das Foto kurz zuvor gemacht. „So schlimm wie in diesem Winter war es mit den Schweinen noch nie“, sagt der Stadtjäger den PNN. „Wir haben das Gefühl, dass wir ein Schwein schießen, und dann 20 zur Beerdigung in die Stadt kommen.“ 

"Wir schießen ein Schwein, und 20 kommen zur Beerdigung"

Erst am Dienstag war wie berichtet ein Mopedfahrer bei einem Zusammenprall mit einem Wildschwein in Teltow leicht verletzt worden. Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers (Bürger für Bürger) forderte deshalb am Mittwoch erneut den Test der Bogenjagd in der Region, den das zuständige Ministerium ablehnt und dem auch Jäger kritisch gegenüberstehen.
Der milde Winter verstärkt das in der Region seit Jahren herrschende Wildschweinproblem Torsten Kroll zufolge dramatisch. Auch schwache und kranke Frischlinge, die bei frostigen Temperaturen kaum eine Chance hätten, überleben. Dazu ist das Nahrungsangebot für die Tiere groß, da die Böden nicht gefroren sind und sie im Gegensatz zu anderen Wintern nach Mäusen oder Würmern graben können. Vor allem am Abend ab 22 Uhr sowie zwischen 3 und 6 Uhr morgens würden die Tiere durch die Stadt laufen, bei Tageslicht wie am Mittwoch seien die Tiere aber noch selten unterwegs.

Albers: Nicht warten, bis weitere Menschen verletzt werden

Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers schrieb am Dienstag in einer Pressemitteilung von einer Reihe von Wildunfällen in der Region, in die sich der Unfall von Dienstag einreihe. Auch erinnerte er an die im Dezember durch eine Bache getötete Hündin Kessy. Sie habe stundenlang leiden müssen, genauso habe wohl auch das am Dienstag angefahrene Schwein leiden müssen. „Die unlängst von Landwirtschaftsminister Vogel abgelehnte Zulassung der Bogenjagd ist unverantwortlich. Wäre das bei dem Unfall vermutlich verletzte Schwein mit einem modernen Hochleistungsbogen und mit einem Pfeil getroffen worden, wäre es nach mehreren Minuten bewusstlos und damit schmerzfrei erlegt gewesen,“ so Albers. Er fordere daher erneut den Minister dazu auf, nunmehr endlich die Bogenjagd zuzulassen. „Wir können nicht warten, bis weitere Menschen verletzt und der Straßenverkehr weiter gefährdet wird.“

Ministerium will neue Munition prüfen

Im zuständigen Landesumweltministerium war man auf PNN-Anfrage verwundert über die Mitteilung aus Stahnsdorf. Im Jahr 2018 habe es im Land mehr als 17 000 Wildunfälle gegeben, in 221 Fällen seien dabei Menschen verletzt worden. „Es ist spekulativ, dass bei Anwendung der Bogenjagd ein solcher Unfall hätte verhindert werden können. Das Wildschwein könnte auf dem Feld oder im Wald auch von einem Jäger mit dem Gewehr erlegt werden“, Ministeriumssprecherin Frauke Zelt. 
Man sei sich mit den Kommunen einig, dass die Zahl der Wildschweine reduziert werden müsse, wie sich beim konstruktiven Gespräch vergangene Woche gezeigt habe. Aber: Die Bogenjagd sei in Deutschland seit vielen Jahrzehnten nicht zugelassen, Minister Axel Vogel (Grüne) werde sie für Brandenburg auch nicht einführen. Die oberste Jagdbehörde sowie Mitarbeiter der wildökologischen Forschungsstelle seien ständig im Gespräch mit den Gemeinden. Man wolle etwa den Fang der Tiere mit Fallen unterstützen und gegen eine Fütterung durch Anwohner vorgehen. Im Frühjahr soll es ein Gespräch zum Einsatz von alternativer Munition, mit der auch im städtischen Bereich gejagt werden könnte, geben. Bis dahin werde noch ein Gutachten zur Munition erstellt. Diese soll mit verringerter Kraft fliegen und so garantiert im Tier bleiben, ist jedoch noch nicht zur Wildschweinjagd zugelassen. Die Tötungswirkung muss laut Ministerium noch nachgewiesen werden.

Normale Kugeln durchschlagen die Schweine

Herkömmliche Munition durchschlägt ein Wildschwein häufig, tritt also mit hoher Geschwindigkeit wieder aus. Da das für alles dahinter befindliche gefährlich ist, stellt die Jagd mit dieser Munition in urbanem Gebiet ein großes Sicherheitsrisiko dar. „Die Kugel fliegt sehr oft noch eine Weile“, sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbandes, den PNN. Deshalb seien innerorts nur sogenannte Fangschüsse möglich, die Kugel müsse immer in Richtung Boden abgefeuert werden. Reinwald selbst sei in Berlin bei einer Jagd dabeigewesen, bei der ein 90-Kilogramm-Keiler durch mehrere Vorgärten gepflügt sei und schließlich an ein Grundstück kam, auf dem gerade Kindergeburtstag gefeiert wurde. „Der Hausherr hatte eine Klappleiter gebracht, sodass der Jäger das Tier gerade noch rechtzeitig von oben schießen konnte.“ Die Situation sei brenzlich gewesen.
Den Einsatz der Bogenjagd sieht aber auch der Jagdverband kritisch. Geschossen werde meist mit Carbonpfeilen. „Die könnten Splittern und Teile mit hoher Geschwindigkeit durch die Gegend fliegen, dazu gibt es keine Untersuchungen“, so Verbandssprecher Reinwald. 
Auch Teltows Stadtjäger Torsten Kroll sieht derzeit zu viele ungeklärte Risiken bei der Bogenjagd. Auch den Vorschlag des Ministeriums, die Wildschweine verstärkt mit Fallen zu fangen und dann zu töten, sieht er skeptisch. „Die Tiere leiden in den Fallen und bekommen Panik“, das sei nicht tiergerecht. Er glaubt generell nicht, dass die Jäger das Problem noch selbst lösen können. Womöglich helfe da nur noch die afrikanische Schweinepest.

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