zum Hauptinhalt
Gisela Meyer wohnte direkt an der Mauer in Berlin-Lichterfelde, Günter Duwe lebte auf der anderen Seite in Teltow.

© Manfred Thomas

Teltow und Lichterfelde feiern den Mauerfall: Als die Grenzer plötzlich lachten

Vor 30 Jahren wurde auch der Grenzübergang zwischen Teltow und Lichterfelde geöffnet. Am Samstag haben sich rund 70 Anwohner auf dem ehemaligen Todesstreifen getroffen und feierlich angestoßen. 

Von Eva Schmid

Teltow/Lichterfelde - Der Asphalt dampfte noch, als die Grenze zwischen Teltow und dem Berliner Stadtteil Lichterfelde geöffnet wurde. Fünf Tage nach dem 9. November war es. In Windeseile wurde damals der Übergang zwischen West und Ost wieder asphaltiert. „Wir schliefen tagelang nicht“, sagt Gisela Meyer. Die heute 73-Jährige wohnt seit 64 Jahren direkt am ehemaligen Grenzstreifen, im einstigen Westberlin. 30 Jahre lang hatte sie die Mauer und den Todesstreifen vor ihrem Fenster. Ab dem 9. November sah Meyer, wie die Grenze Stück für Stück abgebaut wurde.

Eine Freundschaft, die bis heute hält

Als der Übergang am 14. November 1989 geöffnet wurde, traf die Familie von Gisela Meyer zum ersten Mal auf ihre Nachbarn aus dem Osten. Die Familie Duwe aus Teltow hat nur rund 300 Meter Luftlinie entfernt gewohnt.

Der Teltower Heimatforscher Günter Duwe konnte per Fernglas auf den Balkon der Meyers und ihrer Nachbarn schauen: „Ich habe sie an Ostern auf dem Balkon immer Eier essen sehen“, sagt der heute 93-Jährige. Zur Grenzöffnung standen sie zum ersten Mal voreinander, konnten sich die Hände schütteln, sich umarmen.  Es war eine erste herzliche Begegnung, aus der eine Freundschaft wurde.  

Es sind diese sehr persönlichen Geschichten, die sich die Menschen, die nahe der Mauer am Grenzübergang zwischen Teltow und Lichterfelde lebten, an diesem Samstagmorgen wieder erzählen. Organisiert hat das Treffen an diesem 9. November unter anderem die Familie von Gisela Meyer. „Wir Bewohner von beiden Seiten der Stadtgrenze möchten uns an diesem Tag mit Ihnen/Euch am ehemaligen Grenzstreifen, der heutigen Kirschbaumallee, an das überwältigende Gefühl von damals erinnern und dabei mit einem Glas Sekt, Saft oder Wasser anstoßen“, heißt es in der Einladung. Rund 70 Menschen, viele von ihnen Anwohner aus Teltow und Lichterfelde, folgen der Einladung.  

In der Hand ein Glas Sekt oder eine Brezel erzählen sie sich, wie das damals so war. Historische Aufnahmen liegen auf einem Tisch.  Hinter ihnen ist auf einem großen Banner ein Foto von damals zu sehen, das zeigt, wie es einst am Grenzübergang  aussah. Es ist das typische Bild einer DDR-Grenzanlage,  der Boden nackt, die Mauer durchzieht das Foto, die vielen Lampen entlang des Todesstreifens, die auch das Schlafzimmer der Meyers nachts hell erleuchteten.

Heute ist es an dieser Stelle bunt, selbst im Spätherbst noch. Die letzten grün-gelben Blätter hängen an den Bäumen, das Gras ist saftig grün. Aus dem kargen Grenzstreifen wurde nach der Wende ein Grünzug mit rund 1100 Kirschbäumen.  Gespendet wurden die Bäume von rund 20 000 Japanern, die sich aus Begeisterung über den Fall der Mauer an einer Spendenaktion beteiligten, die der japanische TV-Sender Asahi ins Leben gerufen hatte. Die Geschichte des Mauerfalls bewegt auch 30 Jahre später noch immer viele Ausländer. Eine finnische Familie lässt sich am Samstagmorgen von Bernd Meyer, dem Mann von Gisela Meyer, historische Bilder zeigen. Die Finnen, so erklären sie, seien gekommen, weil sie zwei Geburtstage in Deutschland feiern wollten: den Geburtstag des Opas und den Geburtstag des vereinten Deutschlands. Sie hören aufmerksam zu, stellen Fragen und sind erstaunt, wie sich das Leben so nahe der Grenze abgespielt hat. 

Ein Grüppchen weiter unterhalten sich zwei Frauen und ein Mann, sie sagen, dass sie den 9. November verschlafen hätten – und es in den Tagen danach, als sie dann wussten, was passiert war, noch gar nicht richtig fassen konnten. „Ich dachte, dass sie den Grenzübergang hier erst in zwei Jahren öffnen werden“, sagt Eva Niggemann aus Lichterfelde. Als sie am 11. November, einem Samstag, wie sie sich erinnert, zum Grenzübergang ging, standen dort schon viele Anwohner diesseits und jenseits der Grenze. Am meisten verwunderte sie, dass „die Grenzer mit uns sprachen, die konnten auf einmal auch lachen“. Das gab es zuvor nie.

Auch in Teltow: Schokolade und Bananen zur Begrüßung

Als es dann soweit war, am 14. November um 8 Uhr morgens, stand Eva Niggemann mit ihrem Baby an der Grenze. Mit den Worten „Willkommen Nachbarn“ hätten sie sich begrüßt, erzählt ihr Mann, Thomas Schließung-Niggemann. Er war Lehrer und brachte damals zur Grenzöffnung seine 7. Klasse mit, eine Frau am Straßenrand bot Schnaps in kleinen Gläsern an - zur Feier des Tages. Schließung-Niggemann überlegte zunächst, nahm dann aber doch einen. Und dann ging er rüber, in den Osten. 

Seine Frau blieb auf der Westseite, im Kinderwagen hatte sie Bananen und Schokolade, „wie es sich gehörte“. Sie traute sich zunächst nicht hinüber. Es dauerte noch einige Tage, bis auch sie ihren Weg über die jetzt offen stehende Stadtgrenze fand.  Kontrolliert wurde am Grenzübergang Teltow-Lichterfelde noch bis zum März 1990, erst dann wurde das Grenzhäuschen abgebaut. 

Die Momente der Maueröffnung hat Bernd Meyer mit seiner Kamera eingefangen. Auf den Bildern sind Menschenmassen zu sehen, die in den Westen strömten. Auch an diesem Grenzübergang wurde auf die Dächer der Trabis geklopft, die sich in Kolonnen ihren Weg durch die Massen bahnten. Es gab Kaffee und Sekt. Ein Wirt aus Lichterfelde rückte mit seiner Gulaschkanone an. Mitten in der Masse waren damals auch Familie Meyer und Familie Duwe. Heute, 30 Jahre später, stehen sie wieder dort - doch die Nachbarn aus Teltow und Lichterfelde sind mittlerweile gute alte Bekannte.  

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false