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Die Ehrenamtler der Telefonseelsorge beraten und bauen auf.

© dpa

Telefonseelsorge in Corona-Zeiten: „Die Menschen werden aggressiver“

Die kirchliche Telefonseelsorge ist in Corona-Zeiten besonders nachgefragt. Viele Anrufer machen sich Sorgen um Familie und Job.

Cottbus - Die junge Frau am Telefon hatte Selbstmordgedanken. Hanna Müller redete mit ihr, hörte ihr zu. Lange sprachen sie miteinander. Am Ende legte die junge Brandenburgerin den Hörer auf, im Frieden. Was aus ihr geworden ist, weiß Hanna Müller nicht. Die 58-jährige Cottbuserin engagiert sich bei der kirchlichen Telefonseelsorge. Und die Anrufe dort sind ebenso wie die Beratung anonym, selbst Hanna Müller darf nicht ihren wahren Namen nennen. 

„Meine Kinder sind alle aus dem Haus, und da die Rente vor der Tür steht, wollte ich noch ein Ehrenamt übernehmen“, sagt die Cottbuserin. „Ich bin gesund, meine Kinder sind gesund, ich habe so viel Grund zur Dankbarkeit – da möchte ich etwas von zurückgeben.“ Hanna Müller hat sich ein Jahr lang bei der Telefonseelsorge schulen lassen. 

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Gesprächsführung, Seelsorge, aber auch viel Selbsterfahrung gehören zu den Ausbildungsinhalten. Jeden Monat übernimmt Hanna Müller nun drei Schichten von je vier Stunden am Seelsorgetelefon. Es steht an einem anonymen Ort, denn auch die Seelsorger sollen nach ihren Schichten die oft belastenden Gespräche hinter sich lassen können. 

Die Ausbildung ist zeit- und arbeitsintensiv

„14 Stunden im Monat sollte man schon Zeit haben, die sollte man im Vorfeld einplanen“, sagt Corinna Preuß, die Leiterin der kirchlichen Telefonseelsorge in Cottbus. Denn die Ausbildung sei zeit- und arbeitsintensiv. „Wir bitten darum, dass die Menschen dann auch drei Jahre dabeibleiben – aber tatsächlich haben wir viele Ehrenamtliche, die schon seit mehr als zehn oder 15 Jahren, einige bereits seit 1993, als die kirchliche Telefonseelsorge in Brandenburg an den Start ging, mit von der Partie sind.“ 

Die Telefonseelsorge ist seit Jahren konstant hoch nachgefragt. Die Corona-Pandemie allerdings hat den Dienst der Telefonseelsorge schwerer werden lassen. Im März und April, beim ersten Lockdown, konnten nur dadurch sehr viel Gespräche mehr entgegen genommen, weil die ehrenamtlichen Seelsorger zusätzliche Dienst übernommen haben, sagt Corinna Preuß. Sie habe großen Respekt vor diesem Engagement, denn auch die Ehrenamtlichen selbst seien durch die Einschränkungen der Pandemie betroffen. 

Bei vielen Anrufern liegen die Nerven blank

„Heute merken wir auch, dass die Menschen am Telefon zum Teil aggressiver werden.“ Die Nerven lägen bei vielen Anrufern bei der Telefonseelsorge blank. „Die Menschen machen sich Sorgen um sich, um ihre Familie und um ihren Arbeitsplatz“, sagt Preuß. „Viele verstehen die Situation einfach nicht mehr.“ Dass die Gastronomie zusammenbreche, belaste Eigentümer und Beschäftigte. Ebenso sprechen die Ehrenamtlichen oft mit Eltern, deren Kinder wegen eines Corona-Falls in der Klasse nicht zur Schule gehen könnten. „Da brechen dann zu Hause die Probleme auf.“

Was die Telefonseelsorge in solchen Fällen leisten kann? „Wir können da sein für die Menschen“, sagt Preuß. „Echt und mitfühlend, wertschätzend, verstehen wollend.“ Man wolle mit den Menschen darüber sprechen, was ihre Ängste auslöse, was sie verzweifeln lasse. „Durch das Reden, durch das darüber Sprechen wird dem Anrufenden die eigene Situation oft sehr viel klarer und es entlastet“, sagt Preuß. Dabei ist die Telefonseelsorge als ökumenische Einrichtung offen und auch kostenlos für alle Anrufer. „Wir sind für andere Menschen vorbehaltlos da, ohne zu schauen, welche Religion, welche Herkunft der Mensch hat“, sagt Preuß.  

Die Telefonseelsorge ist erreichbar unter 0800-1110111 und 0800-1110222.

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