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Rashid Rasho näht gemeinsam mit seiner Frau Fatima Ibrahim und den Töchtern Arya (l.) und Joudy (r.).

© Carsten Holm

Syrische Familie aus Neuseddin: Ein Dankeschön in Masken

Eine syrische Familie aus Neuseddin näht Mund-Nasen-Schutzmasken und spendet sie unter anderem ans Potsdamer Bergmann-Klinikum. Ihre Hilfsbereitschaft geht um die Welt.

Von Carsten Holm

Neuseddin - So etwas hat es in Neuseddin wohl noch nicht gegeben: Mit schwerem Gepäck quält sich das Team eines arabischen Fernsehsenders hinauf in die oberste Etage eines Mietshauses an der Hans-Beimler-Straße. Die Geräte werden aufgebaut, dann gibt es, Kontaktverbot hin und her, eine Live-Schalte aus dem Wohnzimmer der vierköpfigen syrisch-kurdischen Flüchtlingsfamilie von Fatima Ibrahim und ihrem Ehemann Rashid Rasho. Sie wird bis in den Nahen Osten ausgestrahlt.

Die 33-jährige gelernte Frisörin und ihr 39 Jahre alter Mann erzählen vor der Kamera, dass es in Potsdam wie überall in Deutschland ein großes Defizit an Schutzmasken gibt, und sie berichten, dass sie Hunderte Masken aus kleingeschnittenen Bettlaken genäht und gespendet haben. Am vergangenen Donnerstag sind es schon mehr als 1000. Der Fernsehauftritt ist ein großes Erlebnis für das Ehepaar und seine beiden Töchter Arya und Joudy, die zehn und sieben Jahre alt sind.

Große Resonanz auf Bericht in der Zeitung

Ende März hatten die PNN erstmals über die Familie berichtet – mit großer Resonanz. Der Bericht war am 1. April der nach Social-Media-Interaktionen zweiterfolgreichste Beitrag bundesweit, wie der Branchendienst Meedia berichtete. Auf Facebook und Twitter gab es für den Artikel 44.900 Likes an einem Tag. Viele andere Medien folgten. So schildert auch Cosmo Radio, ein Internetprogramm des WDR für Geflüchtete in arabischer Sprache, was in Neuseddin geschieht. Das Amtsblatt „Seddiner See“ stellt die Arbeit der Syrer vor, ein Mitarbeiter von UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, notiert, was Fatima Ibrahim ihm schildert und verfasst einen Report über die Maskenproduktion. Sein Text beginnt so: „Eine syrische Familie fand 2015 Aufnahme und Schutz in einem Örtchen, von dem sie noch nie gehört hatte. Fünf Jahre später arbeiteten alle vier tags und fast auch nachts, um ihrerseits ihrer Gemeinde Schutz zu geben – wenn auch auf ganz andere Art.“

"Wir haben doch nur Masken genäht"

Neuseddiner Bürger werfen kleine Dankesbriefe in den Briefkasten. „Super!“, schreibt etwa eine Frau namens Regina, und auch die Chefin des Potsdamer Supermarkts, in dem Fatima Ibrahim 15 Stunden wöchentlich arbeitet, ist voller Anerkennung: „Was Sie gemacht haben, ist einfach toll.“ Dutzendfach findet die Aktion auf arabischen und deutschsprachigen Internetseiten Niederschlag, und als eine kurdische Freundin sie anruft und sagt: „Ihr seid überall drin!“, ist die Neu-Neuseddinerin fassungslos: „Wir haben mit dieser Reaktion überhaupt nicht gerechnet. Wir haben doch nur Masken genäht“, sagt Fatima Ibrahim den PNN.

In der kleinen, von Wald, Wiesen und Seen umgebenen Gemeinde Seddiner See, zu der Neuseddin gehört, gibt es unter den rund 4600 Einwohnern etliche, die sich um Geflüchtete im örtlichen Flüchtlingsheim und anerkannte Asylbewerber in Sozialwohnungen der Kommune kümmern. Der 72-jährige pensionierte Versicherungskaufmann Bodo Schade ist einer von ihnen, er hält Kontakt zu rund zwei Dutzend Menschen aus dem Tschad, Sudan, Afghanistan und Syrien.

Bettlaken werden gespendet

Er weiß, dass Rashid Rasho in seiner syrischen Heimat Aleppo Schneider war und schlägt ihm vor, einfache Schutzmasken zu nähen. „Er war sofort begeistert, und dann haben seine Frau und die beiden Mädchen mitgemacht“, sagt Schade. Nach einem Aufruf bei Facebook spenden Bürger Bettlaken, nur die dringend benötigten Gummibänder zum Fixieren der Masken sind kaum zu bekommen. Schade beobachtet, dass der Preis für eine 300-Meter-Rolle von fünf bis 15 Euro vor etwa fünf Wochen auf inzwischen 50 bis manchmal 300 Euro steigt. Aufrufe bei der Frauenrunde der „Gartensparte zur Erholung“, den „Junggebliebenen Senioren“ und der „Gymnastikgruppe des ESV Lok Seddin“ finden ein großes Echo. Das Problem wird gelöst.

300 Masken spenden die Produzenten unter anderem dem Potsdamer „Ernst von Bergmann“-Klinikum, 150 der Potsdamer Tafel und 60 der Seniorenbetreuung im Ortsteil Kähnsdorf. Überraschend bekommt der gelernte Schneider Rasho das Angebot, staatliche Fördermittel zu erhalten. Er lehnt ab. Dankbarkeit soll sein Hauptmotiv bleiben.

Tatsächlich hat die Familie ihre neue Heimat als hilfsbereit und zuvorkommend erlebt – nach Jahren des Bürgerkriegs in Syrien, der auch für sie zur Hölle wurde. Sie lebten seit 2008 in einer eigenen, großen Wohnung in der nordsyrischen Millionenstadt Aleppo, das von einer blühenden Metropole seit 2011 zu einem der Hauptkriegsschauplätze wurde. Die Streitkräfte des Diktators Assad bombardierten die Stadt mit russischer und iranischer Unterstützung, sie kämpften mit den USA, Saudi-Arabien, Katar und dann mit der Türkei um die Vorherrschaft in der Region.

Der Umzug nach Afrin brachte keine Sicherheit

Einmal schlägt eine Bombe in einem Nachbarhaus der Familie ein. Tochter Arya sitzt jetzt auf der Couch der Neuseddiner Wohnung und hat düstere Erinnerungen: „Ich weiß noch, dass die Bomben so laut waren, dass ich nachts aufgewacht bin und mir die Ohren zugehalten habe.“

2013 versucht sich das Ehepaar mit einem Umzug in die Stadt Afrin in Sicherheit zu bringen, woher beide stammen. Aber sie finden keine Arbeit, in den Geschäften gibt es wenig Lebensmittel, und sie sorgen sich um die Kinder. 2015 flüchten sie, laufen sechs Stunden bis zur türkischen Grenze, werden von der türkischen Polizei entdeckt und zurückgewiesen.

Mit den Masken wollen sie etwas zurückgeben

Der zweite Versuch klappt. Wieder stundenlange Fußmärsche unter der Führung eines Schleusers, dann geht es irgendwo mit einem überladenen Schlauchboot, das die Familie mit 34 weiteren Flüchtlingen teilt, über einen großen, breiten Fluss. Schließlich auf weiteren Märschen mit ihren Mädchen, mit Lastwagen, Autos, Bussen und in Zügen nordwärts. 5000 Euro kostet die Flucht, Rashid Rasho hat in Aleppo im Monat 150 Euro verdient und wenig zurücklegen können, aber die Eltern beider helfen mit. Schließlich kommen sie am Münchner Hauptbahnhof an, werden nach Eisenhüttenstadt und nach zehn Tagen nach Neuseddin weitergeleitet. Ein Datum werden Rasho und seine Frau wohl niemals vergessen: Am 4. Juli 2016 werden ihre Asylanträge angenommen. Und sie freuen sich, dass ihren beiden Brüdern und ihrer Schwester auch die Flucht nach Deutschland gelungen ist.

Ausländerfeinde hat Fatima Ibrahim in Deutschland auch kennengelernt, aber als sie in einem Potsdamer Bus einmal angepöbelt wird, sind ihre Deutschkenntnisse noch zu gering, um die Beleidigungen verstehen zu können. „Ein paar schlechte Leute gibt es in jedem Land“, sagt sie. Aber sonst überall, bei den Asylverfahren, dem Sozialamt oder an ihrem Arbeitsplatz habe sie „nur gute Erfahrungen“ gemacht. „Wir kommen aus einem Land, in dem Krieg herrscht. Und wir sind in Deutschland so herzlich aufgenommen worden, dass wir mit unseren Masken etwas zurückgeben möchten. Wir haben eine Wohnung, unsere Kinder können zur Schule gehen, und wir leben in Frieden. Was will man mehr?“, fragt die Syrerin.

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