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Der 51-jährige Olaf Ihlefeldt war einst Deutschlands jüngster Friedhofsverwalter. 

© Manfred Thomas

Südwestkirchhof in Stahnsdorf: Der Dolmetscher des Friedhofs

Olaf Ihlefeldt hat in 30 Jahren als Chef des Stahnsdorfer Südwestkirchhofs den Friedhof zu einem Ort gemacht, der mehr ist als eine reine Trauerstätte. Ein Porträt.

Von Eva Schmid

Stahnsdorf - Den Freibrief hat er vom Bischof persönlich bekommen. Der damals amtierende Wolfgang Huber erlaubte Olaf Ihlefeldt auf dem Südwestkirchhof Nosferatu, eine Adaption von Bram Stokers Roman Dracula, zu zeigen – direkt neben dem Grab des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau, bei Dunkelheit und Kerzenschein. Ein Skandal, nicht nur in der geistlichen Welt. Heute wundert sich keiner mehr über Ihlefeldts zum Teil verrückte Ideen.

Ihlefeldt erzählt gerne Geschichten über Regisseur Murnau an dessen Grab.
Ihlefeldt erzählt gerne Geschichten über Regisseur Murnau an dessen Grab.

© Manfred Thomas

Vor genau 30 Jahren beginnt die Karriere des heute 51-Jährigen auf einer der weltweit bedeutendsten Begräbnisstätten, dem Promifriedhof von Stahnsdorf.

Ihlefeldt zieht es ins Grüne

Der Anfang ist allerdings unspektakulär: „Hier standen die Bewerber nicht Schlange“, lacht Ihlefeldt, der selbst aus einer Unternehmerfamilie stammt. Seine Eltern arbeiteten seit den 60er Jahren in ihrem eigenen Elektronikfachmarkt, die zwei Brüder von Ihlefeldt führen das Geschäft heute weiter. Alle in der Familie begeistern sich für Technik, Ihlefeldt zieht es ins Grüne. Er machte an der pädagogischen Hochschule Potsdam im Botanischen Garten seine Ausbildung zum Gärtner. Büffelt lateinische Fachbegriffe, arbeitet in Potsdams Schlössergärten und ist noch heute begeistert von Peter Joseph Lenné. Auch Ihlefeldt geht es um Sichtachsen, verschlungene Wege und Gartenkunst in ihrer höchsten Form. „Es war nicht leicht, eine Gärtnerfirma zu finden, die nach der Ausbildung passte.“ Es passte keine. Für den Südwestkirchhof und Ihlefeldt ein Glücksfall.

Ein Job, der wenig sexy klingt

Ein alter Friedhofsgärtner, ein Nachbar aus Güterfelde, gibt dem jungen Gärtnermeister den Tipp, auf Stahnsdorfs Friedhof mal nachzufragen. Ihlefeldt geht hin, denkt sich nicht viel dabei und kommt mit einem Arbeitsvertrag zurück. Nur ein Jahr später wird er mit 22 Jahren Deutschlands jüngster Friedhofsverwalter. Ein Job, der wenig sexy klingt.

„Der mir aber bis heute viel Spaß macht“, sagt Ihlefeldt und man merkt, dass er voll und ganz bei der Sache ist. Enden seine acht Stunden als Verwalter, dann geht die „schöne Arbeit“ los. Dann plant Ihlefeldt allerlei kulturelle Veranstaltungen. „Wir waren die ersten in den 90er-Jahren, die Musik in der Friedhofskapelle spielten.“ Klar, es waren anfangs nur dezente Orgelkonzerte. Doch Ihlefeldt tastete sich vor – lotete die Grenzen aus. Es folgten Lesungen, er etablierte Führungen über den Südwestkirchhof, er weckte das Interesse bei Kindern am Thema Friedhof, sein letzter Coup: QR-Codes an den Grabstätten.

Dort liegen Zille, Gropius, Langenscheidt

„Wenn jemand was zu erzählen hat, dann die berühmten Toten“, sagt Ihlefeldt. Er verstehe sich als deren Dolmetscher. Begraben sind auf Deutschlands zweitgrößtem Friedhof unter anderem Heinrich Zille, Walter Gropius, Gustav Langenscheidt, Dieter Thomas Heck, Manfred Krug und viele weitere Prominente.

Zum Neujahrsspaziergang über den Südwestkirchhof kamen 120 Besucher. Alles Menschen, die sich am ersten Tag des Jahres auf den Weg zum Friedhof aufmachten. Das mag befremdlich wirken, für Ihlefeldt aber ist es ein Zeichen, dass er mit seiner Strategie auf dem richtigen Weg ist. Dass die Arbeit auf dem Friedhof mehr umfasst als die eines Totengräbers, hat Ihlefeldt schon früh erkannt. In seinem ersten Jahr beobachtete und rackerte er: grub Gräber um, trug Särge, harkte Laub und fällte Bäume. Vielfältig sei die Arbeit – bis heute. Die damaligen Kollegen – manche durchaus gewöhnungsbedürftig, sagt Ihlefeldt. Denn zu DDR-Zeiten heuerten bei der Kirche vor allem Ausreisewillige an. Die seien dann besonders gerne auf Friedhöfen eingesetzt worden. Die Einarbeitung ging schnell.

Eine von Ihlefeldts liebsten Grabstätten im Stil des Expressionismus.
Eine von Ihlefeldts liebsten Grabstätten im Stil des Expressionismus.

© Manfred Thomas

Für Ihlefeldt eine komplett neue Welt. Je mehr Zeit er auf dem Südwestkirchhof verbringt, umso mehr verliebt er sich in den Ort. Auch das mag befremdlich klingen, aber es gibt wenige Menschen, die so sehr für ihre Arbeit, ihre Mission brennen wie der Güterfelder.

Ihlefeldts Frau kommt zum Glück aus derselben Branche, auf einem Lehrgang hat sich das Paar kennengelernt. Sie zog bei ihm ein, mit ihrer gemeinsamen, mittlerweile 15-jährigen Tochter wohnen sie in der Friedhofsinspektorenwohnung mitten auf dem Südwestkirchhof.

Und da ist noch etwas, das ihn aus seiner Kindheit bis heute begleitet: sein Glaube. Der erleichtere ihm oft die Arbeit, gibt ihm und vielen Trauernden Hoffnung. Besonders bei Fällen, die besonders tragisch und traurig sind. Wenn Eltern Kinder verlieren, wenn Partner plötzlich sterben – das nehme ihn auch noch nach 30 Jahren mit.

Ihnen, aber auch allen anderen Menschen, die sich nicht direkt mit dem Thema Tod befassen müssen, will Ihlefeldt vermitteln, dass der Friedhof zum Leben dazugehört. „Er soll in unserer Gesellschaft nicht vergessen werden“, fordert der Mann mit der Kurzhaarfrisur und der dunklen Kleidung. Und man weiß, dass er alles daransetzt, das Image des Friedhofs umzupolen, mehr aus ihm zu machen als eine reine Begräbnisstätte.

Dass er dafür auch ungewöhnliche Wege gehen muss, war ihm schon früh klar: Seine erste Pressemitteilung schrieb er kurz nach der Wende auf der Schreibmaschine und verschickte das Papier per Fax in die Redaktionen. Damals schon machte er Werbung für Friedhofsführungen. „Wie sollte ich anders die Leute hierherlocken.“ Und wenn sie einmal da waren, seien fast alle begeistert von der Weite, der Schönheit und Stille des Ortes, sagt Ihlefeldt – von den vielen alten Grabstätten, mit Moos bewachsen, ausgefallen, den Mausoleen, dem dichten Wald. „Und erst die Sichtachsen!“ Man könnte glauben, dass er nur ungern seinen Friedhof verlässt und hinausgeht in die laute, grelle, bunte Welt.

Ausgleich auf Rügen

Aber auch der Friedhofsverwalter muss mal abschalten von seinen 60 Stunden-Wochen. Dann gehe es fast immer in die Dünen, dort übernachte er im Zelt auf der Insel Rügen. Und gleitet mit seinem Windsurfbrett über die Ostsee, tagelang – bei Wind und Wetter. Es ist fast der einzige Ausgleich, den er sich gönnt. Und während er über die Wellen gleitet, kommen ihm wieder neue Ideen. Auf dem Südwestkirchhof will er bis zu seiner Rente bleiben. „Aber die Zeit bis dahin reicht leider nicht aus, um noch alle meine Ideen zu verwirklichen.“

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