zum Hauptinhalt

Stolpersteine auch in Werder (Havel): Gedemütigt, deportiert, ermordet

In Werder sollen die ersten Stolpersteine verlegt werden. Bürger rekonstruierten acht jüdische Lebensläufe. Zuvor war die Frage, ob man diese Form des Gedenkens in der Stadt möchte, kontrovers diskutiert worden.

Werder (Havel) - Stauden und Topfpflanzen waren die Spezialität der Glindower Gärtnerei von Resi Salomon. Rund sieben Hektar Land bewirtschaftete die gelernte Obstzüchterin. Das Geschäft befand sich in der Klaistower Straße – bis zum Jahr 1938, als sie den Betrieb an einen Glindower Gärtner verkaufte. Hintergrund war wahrscheinlich eine Verordnung vom 3. Dezember 1938: Jüdische Geschäfte mussten zwangsveräußert werden, die Inhaber dürften nicht mehr selbstständig tätig bleiben. Schon in den Monaten davor war der Druck auf jüdische Geschäftsinhaber mit Kampagnen zur „Entjudung der Wirtschaft“ gewachsen. Resi Salomon wurde in ihrer eigenen Gärtnerei zur „Gelegenheitsarbeiterin“.

Im Herbst 1941 nahm die systematische Massendeportation der Juden ihren Anfang, auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 wurden die Vernichtungspläne zu Papier gebracht. Am 14. April 1942 wurde Resi Salomon ins Warschauer Ghetto deportiert, von dort ein Vierteljahr später nach Treblinka, wo sie umgekommen ist, ebenso wie ihr Sohn Hans Siegfried, der im Juni desselben Jahres nach Minsk deportiert wurde. Er war bis dahin bei der Spedition Fitzner in Werder tätig, die bis 1936 einem Juden gehört hatte. Resi und Hans Siegfried Salomon sind zwei der acht Menschen aus Werder und Glindow, denen in diesem Jahr ein Stolperstein gesetzt werden soll.

Mit dem europäischen Gedenkprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig soll an Namen, Geburts- und Sterbedaten erinnert werden – an den letzten frei gewählten Wohnstätten von Bürgern, die unter der Hitlerdiktatur gewaltsam ihr Leben verloren. Europaweit wurden bereits 35 000 der kleinen Namensplatten aus Messing in Gehwege eingelassen.

Auch an Käte und Kurt Jacob soll auf diese Weise erinnert werden, im Januar und März 1943 wurden sie nach Auschwitz deportiert und dort offenbar unmittelbar nach der Ankunft umgebracht. Vergeblich hatten sich die jungen Leute nach dem erzwungenen Umzug von Werder nach Berlin um Einreisepapiere nach England und in die USA bemüht, schon seit dem Oktober 1941 war Juden die Auswanderung untersagt. Ihr Vater Max Jacob hatte bis Ende 1938 ein Warenhaus in der Torstraße auf der Insel betrieben, von dem noch ein Foto existiert. Im Novemberpogrom 1938 wurde es verwüstet, im September 1941 im Zuge der Arisierung an einen neuen Besitzer aus Dahlwitz-Hoppegarten veräußert. Dass Max Jacob im Ersten Weltkrieg als Eisenbahnpionier diente, hat ihm nicht geholfen, sein Schicksal ist bis heute ungeklärt.

Diese und viele andere Lebensläufe hat eine Arbeitsgruppe von Werderaner Bürgern zusammengetragen, seit anderthalb Jahren trifft sie sich monatlich zum Abgleich neuer Erkenntnisse. Ohne Daten und Fakten zu den verlorenen Leben werde kein Stolperstein verlegt, sagt Hartmut Röhn. Der emeritierte Professor für Philologie und Geschichte gibt wichtige Impulse in dem siebenköpfigen Team, das sich für die Recherchen in Archiven, im Internet und in Bibliotheken immer neu formiert. An handfeste Informationen zu kommen sei so viele Jahrzehnte später nicht einfach, berichtet Röhn. Zum Schicksal von Walter Johann Guttsmann und Helene Guttsmann etwa hat die Gruppe unter anderem im Gedenkbuch des Bundesarchivs, in alten Liegenschaftsregistern, in Adressbüchern von Berlin und Werder, im AEG-Archiv und in einer Schadensliste der Pogromnacht nachgeschaut.

Walter Guttsmann war seit 1904 Elektrotechnik-Ingenieur bei der AEG in Berlin – mit Unterbrechung im Ersten Weltkrieg, wo er als Soldat diente. Noch 1932 wurde eine Erfindung von ihm von der AEG als Patent angemeldet – im Jahr darauf der erzwungene Ruhestand mit 54 Jahren. Bis 1934 wohnte er mit seiner Frau und den Kindern Wilhelm und Hannah in Berlin. Dann zogen sie in ihr Sommerhaus nach Werder am Schwalbenberg. In der Pogromnacht wurde der gutbürgerliche Haushalt verwüstet, die Familie suchte Unterschlupf in Berlin.

Wilhelm und Hannah gelang die Emigration nach England und Palästina, die Eltern bemühten sich vergeblich um Einwanderungspapiere. 1942 wurden sie ins polnische Ghetto Piaski verfrachtet und offenbar im selben Jahr im Vernichtungslager Sobibór umgebracht. Geblieben sind zwei Fotografien, die wohl in der Zeit des Ersten Weltkrieges aufgenommen wurden.

Ob in Werder Stolpersteine verlegt werden können, wurde in der Stadt zeitweise kontrovers diskutiert. Im Mai 2012 einigten sich die Stadtverordneten und begrüßten in einem einstimmigen Beschluss, „jede Form des öffentlichen Gedenkens und Erinnerns“ an jüdisches Leben und jüdische Opfer. Inzwischen hat die AG Stolpersteine den Antrag zur Verlegung der ersten acht Stolpersteine gestellt, am Dienstag gab es ein Gespräch mit Werders amtierender Bürgermeisterin Manuela Saß – in freundlicher und konstruktiver Atmosphäre, wie Kurage-Vorsitzender Uwe Dinjus betonte, der für die AG Stolpersteine die Verhandlungen führt. Das Rathaus wolle das Vorhaben begleiten und habe sich bereits an den Verlegungsorten umgeschaut. Uwe Dinjus konnte Manuela Saß mitteilen, dass alle betroffenen Eigentümer angeschrieben wurden und erste Gespräche stattgefunden haben.

Ausgangspunkt der Werderaner Stolperstein-Aktion war vor acht Jahren ein Brief des Berliners Klaus-Günter Grothe. Der damals 84-Jährige hatte beim Rathaus angefragt, ob er einen Stolperstein für Hans-Peter Olschowski verlegen darf. Er legte ein Klassenfoto von 1938 bei – mit dem 15-jährigen Olschowski und ihm. Grothe und Olschowski hatten die Mittelschule in Werder besucht und waren Freunde. Nach der Pogromnacht blieb die Bank neben Grothe leer.

Der Brief lag lange in der Schublade. Inzwischen ist nicht nur das Schicksal von Hans-Peter Olschoskwi dokumentiert, der wohl im April 1945 im KZ Dora-Mittelbau umgekommen ist. Auch das seiner Mutter Ruth Olschowski, sie wurde 1944 in Auschwitz vergast. Das Textilgeschäft in der Brandenburger Straße hatte die Familie schon nach der Verwüstung im November 1938 aufgeben müssen. Drei der fünf Familienmitglieder überlebten Krieg und Zerstörung. Sohn Heinz wurde in Polen versteckt, Tochter Anita erlebte die Befreiung des KZ Bergen-Belsen am 15. April 1945. Dem Vater, Curt Olschowski, war es im Februar 1943 gelungen, in Berlin unterzutauchen. Nach dem Krieg leitete er die Spedition Fitzner in Werder, trat in die SED ein und war von 1958 bis 1961 Bürgermeister der Stadt. Er soll „zu anständig“ für das Amt gewesen sein, für das die Einheitspartei Härte verlangte.

Die acht Stolpersteine sollen noch in der ersten Jahreshälfte ihren Platz an den früheren Wohnstätten der Naziopfer finden. Die Arbeitsgruppe rechnet damit, dass es danach mindestens eine zweite große Verlegeaktion geben wird. Auf eine Zahl der Werderaner, die im Dritten Reich verschleppt und ermordet wurden, will man sich nicht festlegen. „Das wird wohl immer ein unvollständiges Bild bleiben“, befürchtet Hartmut Röhn. Derzeit recherchiere man zu 20 bis 30 Personen, die von Hitlers Schergen ermordet wurden, und ihren Familien.

Nächstes Jahr sollen in einem Gedenkbuch alle Informationen zusammengefasst werden. Dann soll es auch um Menschen gehen, für die es keinen Stolperstein geben wird – wie die 17 Zwangsarbeiter der Ziegelei Wegener & Co. in Glindow, die hier schon nicht mehr freiwillig lebten. Das Interesse in Werder an dem Thema ist groß: Als die AG vor einem Jahr ihre Arbeit in der Comédie Soleil vorstellte, füllte sich der Saal mit über 100 Menschen. Hartmut Röhn freut sich, dass sich auch Schüler der Ossietzky-Schule in einem Schulprojekt mit jüdischen Schicksalen in Werder beschäftigt haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false