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Wandern am Wasser. Die Gruppe war auf den Spuren der Friedhofsbahn auch unter der einstigen Brücke über den Teltowkanal hindurchgelaufen. Die Brücke soll abgerissen werden.

© S. Schuster

Stahnsdorf: Wandern, wo einst Züge fuhren

Die Teltower Gruppe des Eifelvereins organisiert regelmäßig Wanderungen in der Region. Dabei geht es auch um Ortsgeschichte.

Stahnsdorf/Teltow - Gisela Träger blickt sorgenvoll zum Himmel, den grünen Filzhut in die Stirn gezogen, den gelben Stockschirm noch zugeschnürt in der Hand. „Noch geht’s ja“, erklärt sie und lächelt, während der Regen immer stärker auf ihre Jacke tropft. Um sie herum haben 16 Frauen und zwei Männer einen dichten Pulk gebildet und hängen der Vorsitzenden der Ortsgruppe Potsdam-Teltow des Eifelvereins an den Lippen.

Eifelverein? Noch bevor die Tour an diesem Jannuarttag losgeht, hat die Teltowerin eine wichtige Frage zu klären. Was macht ein Verein aus einem rund 500 Kilometer entfernten Mittelgebirge in Brandenburg? Schon zu DDR-Zeiten gab es eine Verbindung nach Bonn. Zur Wende habe sich die damals bestehende Betriebssportwandergruppe electronic Teltow dem Verein angeschlossen, erzählt die Ortsvorsitzende. „Früher waren wir viel in der Eifel, mittlerweile kaum noch“, sagt die 82-Jährige. Die Mitglieder werden älter und weniger. Rund 80 seien es noch.

So wie Jürgen Schulz. Der 77-jährige Potsdamer spielte früher Handball, seit neun Jahren wandert er. Heute sei es die Strecke gewesen, die ihn trotz des kalten und regnerischen Wetters nach Stahnsdorf gelockt habe: entlang der Trasse der ehemaligen Friedhofsbahn. In einem Waldstück am Südwestkirchhof macht Giesela Träger den ersten Halt. „Hier, hier war der Bahnsteig“, erinnert sich Jürgen Schulz und weist mit dem Arm auf eine lang gezogene Kuhle, davor ein paar knorrige Bäume, dicht mit Efeu bewachsen, am Fuße ein Eimer, ein kleiner grüner Kinderhocker und ausgekippter Müll. Einige Meter weiter sammelt sich die 19-köpfige Gruppe an einer Infostele, wo einst der Bahnhof stand.

1913 war die nur vier Kilometer lange Strecke zwischen Berlin-Wannsee und Stahnsdorf eröffnet worden. „Sechs bis sieben Minuten dauerte die Fahrt“, erzählt Jürgen Schulz, der auf dem Weg nach Teltow, wo er lernte, selbst oft mit der Bahn fuhr. Doch mit dem Mauerbau war Schluss, die Verbindung nach West-Berlin wurde gekappt. Inzwischen sind die Gleise demontiert, das Bahnhofsgebäude abgerissen. Nur die rostige Stahlbrücke über den Teltowkanal gibt es noch. Viel Notiz von dem über 56 Jahre alten Bauwerk, das aus Sicherheitsgründen abgerissen werden soll, nehmen die Wanderer nicht. An einen baldigen Wiederaufbau der Strecke glaubt in der Gruppe ohnehin kaum jemand. Auch gibt es Zweifel, dass sich der Aufwand lohnt. „Die Bahn war früher schon nicht voll“, so Jürgen Schulz.

Der Regen ist stärker geworden. Inzwischen haben auch die Letzten ihre Schirme aufgespannt. Gisela Träger ist das Wetter egal. Sie wandert im Sommer wie im Winter. 1959 war die frühere Leiterin der Werkstoffprüfung des Geräte- und Reglerwerks mit ihrem Mann nach Teltow gezogen, ursprünglich stammt sie aus Pommern. Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren leitete sie den Verein, zur Wende übergab sie den Vorsitz an ihren Mann, übernahm ihn aber wieder, als dieser 1994 verstarb. Hin und wieder habe sie auch ans Aufhören gedacht. „Es macht viel Arbeit.“ Immer neue Touren denkt sich Gisela Träger aus, mindestens an zwei Donnerstagen im Monat. Neben der Bewegung genießen die Wanderer die Natur und die anregenden Gespräche. Auch fahren sie gemeinsam in den Urlaub, in diesem Jahr zur Wandertour nach Mallorca. Viele kennen sich schon lang, andere sind noch neu, wie die Teltowerin Heidi Dilk. Beim Wandern lerne sie Ecken kennen, wo sie sonst nicht hinkomme, meint sie.

Die Wanderer überqueren den Teltowkanal auf der früheren Autobahnbrücke. Weil die frühere Autobahn mehrfach die Grenze zwischen West-Berlin und der DDR kreuzte, wurde sie verlegt und führt seitdem um den Berliner-Ortsteil Albrechts Teerofen herum. Hinter der längst geschlossenen Raststätte Dreilinden zwängen sie sich an einem mit Stacheldraht bespannten Zaun durch eine kleine Tür. Wieder am Ufer werfen die Wanderer hinter dem Campingplatz noch einmal von Kleinmachnower Seite einen Blick auf die alte Bahnbrücke. Von hier aus führt die Trasse weiter zum ehemaligen Haltepunkt Dreilinden. Die Gruppe bleibt aber am Kanal und erreicht nach gut zweieinhalb Stunden mit dem Gasthaus Zur Schleuse ihr Ziel – durchnässt, aber um einige Eindrücke reicher. 

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