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Stahnsdorf: Unendliche Geschichten

Der Stahnsdorfer Künstler Egon Wrobel lebt und arbeitet in einem mystischen Haus nahe dem Südwestkirchhof. Zum Tag des Denkmals öffnete er es zum ersten Mal für fremde Blicke. Ein Rundgang durch eine andere Welt.

Von Eva Schmid

Stahnsdorf - So könnte ein Märchen beginnen: Es war einmal ein Weg durch dichtes Grün, am Eingang zum Haus ein steinerner Jüngling mit Laterne. Verwittert, heroischer Blick. Links und rechts des Weges Skulpturen, fratzenhaft. Leicht verschreckt, dennoch neugierig dringt der Besucher tiefer in das Dickicht ein. Bis er zu einem kleinen, eingeschossigen L-förmigen Anwesen kommt.

Es ist ein Haus, das anders ist. Die Mauern aus knubbeligen Steinen, dazwischen Klinker, eingerahmt von schweren, schwarzen Granitplatten. Über den kleinen Holzfenstern thronen steinerne Wächter, umrahmt von Verzierungen prunkvoller Grabstätten. Es ist ein mystischer Ort, geheimnisvoll. Ein Tiger soll hier auch mal durch den Garten gestreift sein.

Das Märchenhafte hat Egon Wrobel schon immer gefallen. Der Stahnsdorfer Künstler lebt seit 1975 in dem Haus in der Stahnsdorfer Bahnhofsstraße 11, in unmittelbarer Nähe zum Südwestkirchhof. Sein Haus hat er jüngst zum Tag des Denkmals zum ersten Mal einem breiten Publikum zugänglich gemacht. „Die waren platt“, sagt der weißhaarige 77 Jahre alte Mann und schiebt sich die lilafarbene Sonnenbrille von der Nase.

Im sogenannten Künstlerhaus, das 1998 unter Denkmalschutz gestellt wurde, lebt und arbeitet der Stahnsdorfer Keramikkünstler Wrobel. Seine bunten, vielfältigen Arbeiten sind im ganzen Haus verteilt, vom Dachstuhl bis in die Katakomben, wie Wrobel seinen verwinkelten Keller nennt, steht Kunst. Es hat etwas Museales, die kleinen Fenster sind weit geöffnet. Es ist ruhig an diesem sonnigen Herbsttag, nur im Garten knirscht es leise, Wrobels Dalmatiner nagt glücklich an einem Knochen.

Der Künstler mit den hellen Augen schaut den Besucher neugierig an, wo soll er anfangen – es gibt so viel zu erzählen. Er, der zu Kriegsbeginn in Ostpreußen geboren wurde, aus einer wohlhabenden Möbelfabrikantenfamilie stammt und auf der Flucht in einem Rittergut unterkam, suchte schon als Kind das Verwunschene. Sein Traum war es, in einem Schloss zu wohnen. Nicht ganz Schloss, jedoch annähernd so fantastisch ist es geworden.

Das Haus, das Anfang der 1950er-Jahre in seiner heutigen Form fertiggestellt wurde, hat eine lange Künstlertradition. Der Berliner Steinmetz Carl Metzner hatte gegenüber dem Südwestkirchhof bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, parallel zu den Anfängen auf dem Friedhof, zunächst am gleichen Ort ein kleines Büro, in dem er Aufträge für Grabmäler annahm, und seine Steinmetzwerkstatt. Metzner war nicht nur Steinmetz, sondern auch Filmausstatter bei der Ufa und arbeitete laut Wrobel an Filmen von Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau mit. Mit seiner Frau verband ihn die Leidenschaft für Antiquitäten. Als das Paar in den Kriegsjahren in Berlin ausgebombt wurde, zog es die beiden raus aus der Stadt. Sie wollten neu anfangen, im Grünen. Das Büro und die Werkstatt wurden zum Wohnhaus ausgebaut.

Stolz zeigt Wrobel sein Haus, im oberen Stockwerk schliefen die Metzners in einem großen Himmelbett. Ins Wohnzimmer hatten sie eine riesige, steinerne Kamin-Attrappe hineingesetzt. Im Bad mit seinen Marmorwänden thronte ein riesiges, schwarzes Mosaik. Darauf ein Totenschiff. Das war Wrobel zu gruselig, heute hängt ein Spiegel an der Stelle des Mosaiks. „Das Haus hatte etwas Faszinierendes, aber auch Bedrückendes“, erinnert sich Wrobel an den Einzug vor mehr als 40 Jahren.

Tatsächlich kann man sich nicht sattsehen an den vielen Details, hier scheint nichts einem Stil zu entsprechen. Es ist ein Sammelsurium an Kuriosem. Allein die Türschwellen erzählen unendlich viele Geschichten. So ist auf der Schwelle im Wohnzimmer auf einer Seite ein imposantes Steinportal angebracht. „Das kommt wohl noch aus Hitlers Reichskanzlei“, sagt Wrobel. Auf der anderen Seite derselben Schwelle ist ein verspieltes Säulenportal eingelassen. Es erinnert an griechische Antike. Berliner Kunsthistoriker, die mal vorbeikamen, hätten vermutet, dass es aus Byzanz oder Mesopotamien stammt, sagt Wrobel.

Aber wo hat der Steinmetz all diese Schätze herbekommen? Wrobel schaut verschmitzt: „Aus Berliner Ruinen.“ Dort sei er auf Suche nach Material für sein Haus gegangen. Als Steinmetz konnte er mit den Überresten noch viel anfangen. Und auch die Steine und Verzierungen von Grabmälern nutzte er für sein neues Zuhause. Als Wrobel zum ersten Mal auf das Grundstück kam, lagen im Garten Grabsteine kreuz und quer übereinander. Er ließ daraus eine Mauer errichten, steinerne Grabbücher mit Inschriften der Verstorbenen findet man heute noch immer in irgendwelchen Ecken des Hauses.

Es war Glück und Zufall, dass Wrobel an das Haus kam. Der Künstler, der einst in Halle an der Burg Giebichstein studierte, lebte Anfang der 70er-Jahre in Potsdam. Das Haus, in dem er wohnte, gegenüber dem Neuen Garten, sollte abgerissen werden. Er suchte nach etwas Neuem – so landete er in Stahnsdorf. Nachdem die Frau des Steinmetzes starb, verkaufte die Haushälterin das außergewöhnliche Objekt an einen Kaskadeur, erinnert sich Wrobel. „Heute sagt man dazu glaube ich Stunt-Man.“ Dessen Ausreiseantrag wurde schneller als erwartet bewilligt, er lebte nur zwei Jahre in dem Haus. Seinen Tiger wollte er Wrobel vermachen. Der lehnte dankend ab, und holte sich lieber zwei Bergziegen. Heute lebt er mit seinem Hund in dem Haus und macht viel dafür, dass die märchenhafte Geschichte dieses besonderen Ortes erhalten bleibt. Eva Schmid

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