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Der eigene Acker. Susanne Seitter hat eine der 50 biozertifizierten, zum Teil vorbepflanzten Gemüsegärten an den Teltower Buschwiesen gemietet.

© Tobias Reichelt

Selber anbauen in Teltow: Supermarkt kann jeder

Aufs Land statt zur Gemüsetheke: Auf einem Feld in Teltow greifen Ackerhelden aus der Stadt seit Neuestem zu Hacke und Harke. Sie wollen eine Alternative zum anonymen Gemüse aus dem Handel

Teltow - Die dünn besohlten Stadtschühchen hat Susanne Seitter schon beiseitegestellt. Mit groben Wanderschuhen geht es flotten Schrittes über den Teltower Acker – über Stock, Stein und Kartoffelreihen. Aber wo standen noch mal die Radieschen? Die 33-jährige Neulandwirtin stoppt, grübelt und wirft einen prüfenden Blick auf ein paar daumennagelgroße Blättchen am staubigen Sandboden. Spinat oder Radieschen? „Ich glaube, da muss ich nachher nochmal spicken.“

Supermarkt kann jeder – aber selber pflanzen, pflegen und pflücken, das ist schwieriger. Seit knapp einer Woche schwingen Familien, Senioren, Studenten und Selbstständige aus der Stadt an den Teltower Buschwiesen ihre Hacken. Auf einem 6000 Quadratmeter großen Feld am Hollandweg hat das Unternehmen „Ackerhelden“ aus Essen 50 biozertifizierte, vorbepflanzte Gemüsegärten angelegt. In Zusammenarbeit mit Teltows Rübchenbauer Axel Szilleweit soll an einem alternativen Versorgungskonzept gearbeitet werden: Ab auf den Acker statt zur Gemüsetheke. Ein Trend, der sich in Nachbarschaft großer Städte nicht erst jetzt in Teltow, sondern länger auch in Werder großer Beliebtheit erfreut (siehe Kasten).

„Wir wollen eine Alternative zum Supermarkt bieten“, sagt Tobias Paulert. Er ist neben Birger Brock einer der beiden Geschäftsführer und Initiatoren der Ackerhelden. Schon seit vielen Jahren hätten sie über solche Versorgungskonzepte nachgedacht und für sich umgesetzt: Der eine baut Gemüse, Obst und Kräuter im Dachgarten an, der andere mietet seit 2006 jedes Jahr ein Ackerstück für den Anbau. Daraus wurde die Idee geboren, sagt Paulert. „Wir denken, dass es an der Zeit ist, die Menschen regional und emotional näher an das heranzubringen, was sie täglich essen.“

Außer in Bremerhaven und Mönchengladbach haben die Unternehmer in Teltow ihren dritten Acker eröffnet. In Sichtweite der Kirche in der Altstadt und nur zehn Gehminuten vom S-Bahnhof entfernt wiegen sich hinter dem nahen Tierfriedhof in der Sonne die jungen Kartoffelpflanzen im Wind. Wer genauer hinsieht, entdeckt auch Tomatenpflanzen und vielerlei andere grüne Blättchen, an denen bis zum Herbst auch Zucchinis, Radieschen oder Möhren wachsen sollen.

„Wir bepflanzen alle Parzellen vor“, sagt Paulert: Dill, Rote Bete, Mangold, Spinat, Salat, Rot- und Weißkohl, Buschbohnen, Rucola, Paprika und vielleicht auch Teltower Rübchen. Eine Parzelle misst 40 Quadratmeter und kostet 248 Euro pro Saison, sämtliche Pflanzen – auch Nachpflanzungen – sowie Wasser und Werkzeug inklusive. „Die Saison geht von Juni bis November“, sagt Paulert. Danach liegt der Acker still. Aufs Feld kommen nur Biopflanzen, Chemie ist verboten. Wer eigene Pflanzen mitbringt, muss prüfen lassen, ob das Grün nicht gentechnisch verändert wurde.

Das Interesse sei enorm, sagt Paulert. „Unser Einzugsgebiet reicht bis nach Potsdam.“ Noch zehn Parzellen sind frei. „Oft kommen Familien, die ihren Kindern klarmachen wollen, dass Gemüse nicht im Supermarkt wächst.“ So gibt es neben dem Acker einen Buddelkasten, zwei Bänke und einen Tisch, damit sich die Ackerhelden erholen können.

Auch Solvey Drees, Inhaberin des „Cafe Solvey“ in Berlin Mitte, hat sich an diesem Morgen auf nach Teltow gemacht. Gleich zwei Parzellen hat sie gemietet – frische Zutaten für ihre frisch gebackenen Quiches. Noch muss sie aber angesichts der jungen Pflanzen Geduld mitbringen. Aber die ersten Rezeptideen hat sie schon parat: Eine Quiche mit Knollenfenchel, Zucchini und Tomaten. „Ich finde die Idee mit dem Gemüseacker total super.“ Man könne nicht immer nur jammern über Lebensmittelskandale und Chemiker, die sich in Fernsehtalkshows damit brüsten, welche Geschmacksverstärker sie wo untergebracht haben, sagt Drees. Selbst anpacken, das ist ihre Devise. „Man ist draußen, man hat Natur und man weiß, dass man was Gutes macht.“

Auch Susanne Seitter ist mit ihrer Feldarbeit zufrieden. Dreimal war sie schon mit ihrer Hündin Alma auf dem Acker, all das Gemüse soll für sie und ein paar Freunde reichen. Die Ackerhelden sagen, von einer Parzelle werden zwei Erwachsene und ein Kind satt. Die Berlinerin ist zuversichtlich, dass das klappt. „In einer Woche sieht das hier schon ganz anders aus“, sagt sie. „Das ist mein erstes eigenes Stück Land, auf dem ich mich ausprobieren darf.“ Und im Supermarkt kann sie die Tomaten dann links liegen lassen. „Bald habe ich meine eigenen.“

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