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Unkompliziert und preiswert: Die Arbeit der 79-jährigen Ingrid Herrmann wird von Stammkunden geschätzt. 

© Andreas Klaer

Saarmund: Friseursalon feiert 100-jähriges Jubiläum

Dauerwelle, Beatles-Frisuren und Herrenschnitte für eine Mark: Seit 100 Jahren werden im Friseursalon Herrmann den Saarmundern die Haare geschnitten. Ein Besuch.

Von Eva Schmid

Saarmund - Der stechende Ammoniakgeruch einer Dauerwelle liegt in der Luft, links werden die Damen, rechts die Herren frisiert. Ingrid Herrmann läuft zwischen beiden Räumen hin und her. Blonde Haare, drahtig, mit leicht gebücktem Rücken schneidet die 79-Jährige seit mehr als 50 Jahren die Haare ihrer Kunden in Saarmund. Ihr Salon ist noch älter: Heute vor 100 Jahren wurde er eröffnet.

„Mein Vater war strikt dagegen“, erinnert sich Ingrid Herrmann und lacht. Friseur, das sei doch kein richtiger Beruf. Also lernte die junge Frau etwas Kaufmännisches, verliebte sich dann aber doch in einen Friseur und heiratete in eine Friseurfamilie ein. Endlich durfte auch sie – ohne schlechtes Gewissen – waschen, schneiden und föhnen.

Die Anfänge: 1919 gründete Paul Herrmann den Salon.
Die Anfänge: 1919 gründete Paul Herrmann den Salon.

© Repro: Andreas Klaer

Im Eingang des Ladens hängen alte Fotos. Darauf der Schwiegervater mit einem Kleinkind auf dem Arm, ihrem späteren Mann. 1919 eröffnete Friseurmeister Paul Herrmann in der Bergstraße Saarmunds ersten Herrensalon. Er schnitt auch sonntags, machte Hausbesuche, die Rasur kostete 50 Pfennige.

Ein echter Dorffriseur

Der Charme von einst schwebt noch heute durch den Laden, der mittlerweile in Saarmunds Dorfmitte umgezogen ist. Der Salon ist genau so, wie man sich einen Dorffriseur vorstellt: ein aus der Zeit gefallener Laden, mit Trockenhauben und Haarspraydosen im Regal. Auf den Wandbildern Haarmodelle aus den 80er-Jahren. Die Kundinnen im gut besuchten Laden sind weit über 60 Jahre alt. Auf der Preisliste das Angebot „Waschen, legen, föhnen“. Ein Haarschnitt kostet zwischen 15 und 20 Euro.

Eine DDR-Mark für einen Herrenharschnitt

Früher, zu DDR-Zeiten, war es günstiger: Da zahlten Herren eine Mark, sagt Ingrid Herrmann. Die „Lockwelle“, Lockenwickler in den Haaren, gab es für 4,65 Mark, die Dauerwelle für 16,50. Die Preise hat die resolute Frau noch immer im Kopf. Der Staat gab sie vor – wie vieles andere. Man merkt, dass Ingrid Herrmann und ihr Mann damit oft nicht einverstanden waren. „Wir sind immer privat geblieben“, sagt sie stolz. Einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks, dem sozialistischen Zusammenschluss von Handwerkern zu DDR-Zeiten, wären sie nicht beigetreten. Die Folge: Für sie gab es besonders viele Engpässe, beschäftigen durften sie auch niemanden. Die Hermanns setzten auf die Hilfe der Tante aus dem Westen, die Scheren, Messer und Maschinen besorgte.

Werbung für "Verschönerungswillige" zu DDR-Zeiten.
Werbung für "Verschönerungswillige" zu DDR-Zeiten.

© Repro: Andreas Klaer

Die knochigen Finger der Friseurmeisterin hantieren flink mit der Haarschneideschere. Eine lange Beratung ihrer Kundinnen entfällt – warum auch, „wenn man sich zum Teil seit mehr als zwanzig Jahren kennt“. Sie weiß was die Stammkunden wollen, auch wenn sich die Moden beständig änderten.

Zu Beginn ihrer Laufbahn machte sie die Haare noch mit einer Brennschere lockig, später gestaltete sie aufwendige Hochsteckfrisuren, dann kam der Vorgänger des Bobs, die „Schüttelfrisur“. Für die mussten Frauen im Stehen geschnitten werden, da der Schnitt dadurch anders, also besser, fiel. Die Männer wollten in den 60er-Jahren Beatles-Frisuren. „Dafür wurden wir richtig angezählt“ – und zwar vom Staat, erzählt Ingrid Herrmann. Denn jeder Friseur in der DDR musste die Schnitthaare abgeben, es hieß sie seien wichtig für den Export. Unter anderem wurde sie zur Produktion von Filzpantoffeln genutzt. „Da die Männer ihre Haare aber nicht viel abschneiden lassen wollten, hatten wir fast kein Schnitthaar.“

Abgeschnitte Haare wurden für Pantoffeln genutzt

Die zierliche Frau grinst verschmitzt: Sie vermutet, dass die Pantoffeln nicht bei der Bevölkerung, sondern direkt bei Erich Honecker landeten, „der hatte doch so viele unterirdische Bauten und es gab wenig Dämmmaterial“. Haare aus Saarmund an Honeckers Füßen? Die Frauen im Salon lachen.

Auf den Drehstühlen im Salon tauscht sich das Dorf aus. Sie sei die inoffizielle Bürgermeisterin, sagt Ingrid Hermann scherzend und winkt dann ab. „Politisch muss ich aber trotzdem informiert sein.“ Den neuesten Dorftratsch zu kennen reiche nicht aus, sie müsse auch wissen, was in der Welt los sei. „Sonst kann ich mich doch mit meinen Kunden nicht auf Augenhöhe unterhalten.“

Hauptsache, die Kunden gehen zufrieden 

An zwei Tagen in der Woche unterstützt ihre Tochter sie im Salon, sie ist die inzwischen dritte Generation, die das Familienhandwerk ergriffen hat. Den Salon übernehmen will sie aus gesundheitlichen Gründen aber nicht. In den Fenstern hängen deshalb Schilder, auf denen dringend nach einer Friseurin gesucht wird. Tauge sie, dann könnte sie demnächst schon den Laden übernehmen – bis es soweit ist, will Ingrid Herrmann noch etwas durchhalten. Auch wenn das Alter sich immer mehr bemerkbar mache.

Gut besucht - vor allem von älteren Damen. 
Gut besucht - vor allem von älteren Damen. 

© Andreas Klaer

Die Friseurin bückt sich immer wieder, kehrt die Haare weg, wirft benutzte Handtücher in den Wäschekorb. Zwischen ihren Beinen wuselt ein kleiner schwarzer Hund umher. Fünf Tage in der Woche schneidet sie Haare, immer im Stehen, anders hätte sie es nicht gelernt. Termine werden in den seltensten Fällen vergeben, wer reinkommt, kommt auch dran. Wartende blättern sich durch Fernseh- und Frauenzeitschriften.

Die Trockenhaube piept laut auf, die Dauerwelle ist so gut wie fertig. Ingrid Herrmann wirft einen prüfenden Blick auf das gelockte Haar. Ihr Ziel: Die Kunden sollen zufrieden nach Hause gehen.

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