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Graffiti und Mauerkunst. Beides sei rebellisch, meint der Elftklässler Henning Heieck.

© hkx

Potsdam-Mittelmark: Rebellen der Farbe

Teltows letzte Mauerteile sind im Jubiläumsjahr des Mauerfalls gefragt wie nie: Bei jungen Graffiti-Sprayern auf dem Weg in die Legalität wie beim chinesischen Konzeptkünstler Ai Weiwei

Teltow - Kaum ein Drittel der Deutschen unter 30 Jahren kennt laut einer Sommerumfrage von „infratest dimap“ das Datum des Berliner Mauerbaus. Henning Heieck steht mit seinen Sprühdosen im Teltower Mauerpark, er gehört zu den Wissenden. Nicht nur in der Schule, auch in der Familie sei die Teilung noch Thema, sagt der 18-Jährige aus Berlin-Zehlendorf. Seine Großeltern waren durch den Mauerbau kurzzeitig voneinander getrennt. Sein Großvater sei als Fluchthelfer aktiv gewesen und erzähle immer noch abenteuerliche Geschichten von Zollkontrollen und doppelten Fahrzeugböden. „Ich hätte auch in der Schule gern mehr darüber gehört“, sagt Heieck.

Zu seinem 18. Geburtstag hat er auch noch ein Mauersegment auf der Lagerfläche der Klösters-Baustoffwerke in Teltow geschenkt bekommen. Henning Heieck ist seit Jahren an Graffiti interessiert, längst nur noch legal, wie er betont. Die Mutter wollte ihn auf diesem Weg bestärken, als sie ihm eine in Teltow stehende „Betonleinwand“ schenkte: 1,20 Meter breit, 3,60 Meter hoch, um die drei Tonnen schwer. Eine schöne Aufgabe.

Durch das Mauerjubiläum sei das Interesse an den Mauerteilen in der Oderstraße extrem gewachsen, sagt Klösters-Chef Elmar Prost. TV-Sendern aus Japan, Russland, oder Holland musste er schon die Geschichte erzählen, wie die einst mehr als 200 Segmente von der Teltower Baustoffschmiede Anfang der 90er-Jahre aus der Konkursmasse der Nationalen Volksarmee aufgekauft und zu Schüttgutboxen für Kies zusammengefügt wurden. „Damals wollten ja alle die Mauer loswerden“, so Prost.

Heute sieht es anders aus. In Teltow können Künstler und Laien die Betonjubilare bemalen, auf Wunsch danach kaufen oder verkaufen. Der Deal: Klösters bekommt ein Drittel des Erlöses, mindestens 500 Euro. Das läuft gut. Als man vor gut einem Jahr mit der Vermarktung begonnen hatte, gab es noch 164 Mauerteile, jetzt sind es 110. Nur eine Handvoll sei derzeit zum Bemalen frei.

Henning Heiecks sprüht die Buchstaben „REYS“ mit grünem Lack an seine Wand, ein klassisches Graffiti-Piece. Es seien in dieser Kombination seine Lieblingsbuchstaben. Sechs Monate hat er jetzt die Rechte daran, kann weitersprühen oder alles so lassen. Die Frist gilt für alle, die nicht kaufen. Danach geht die Wand an den Nächsten. Er male recht gut, habe volle Skizzenbücher und ein Zimmer im Graffiti-Style. Beim Sprühen zählen für ihn aber die Buchstaben.

Andere sind hier deutlich weiter gegangen. Zwei Künstler aus Spanien und Japan haben Mauersegmente mit Freiheitskämpfern und Despoten bemalt und damit eine kontrastreiche Minigalerie geschaffen. Gesichter und Fratzen, Buchstaben und Ornamente sind auf den Segmenten zu sehen, geistreiche neben naiven Motiven, rebellische neben braven, Profi- neben Laienkunst, ein bisschen vielleicht wie einst in Westberlin. „Wer zuerst kommt, malt zuerst“, steht auf einem der Segmente.

So sieht es auch Elmar Prost. Prozedere und Wartezeiten würden für alle genauso gelten. Selbst für eine Berliner Agentur, die nach zehn Segmenten für den chinesischen Konzeptkünstler Ai Weiwei gefragt habe, gab es keine Ausnahme. Dutzende der Betonrelikte sind, kunstvoll bemalt, derweil schon zu prominenten Standorten umgezogen. Eines soll demnächst im Garten der neuen türkischen Botschaft in Berlin seinen Platz finden, eines wurde aus Singapur angefordert. Auf der ganzen Welt stehen die Artefakte: New York, Tokio, Leipzig, zählt Prost auf. Vor einem Jahr wurden Segmente in einem politischen Themenpark in Südkorea aufgestellt, mit den bunten Schmalköpfen des französischen Mauerkünstlers Thierry Noir.

Mauerkunst und Graffiti? Das habe nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun, meint Elftklässler Henning Heieck. Vielleicht insofern, dass auch Graffiti eine Rebellion gegen etablierte Normen darstelle. In der Graffiti-Szene habe er Leute kennengelernt, die mit 40 und 50 Jahren noch rebellieren. Inzwischen gebe es in Berlin verschiedene Möglichkeiten, legal zu sprühen, im Priesterwegpark etwa oder im Mauerpark. Die Qualität der Teltower Segmente, die locker gruppiert wie in einem Skulpturengarten stehen, sei „extrem gut“, sagt Heieck, die Oberfläche glatt und eben, nicht so zerbröselt wie die Wall of Fame.

Für den Mittleren Schulabschluss hatte er sich die Berlin-Blockade als Thema ausgewählt, viel mit den Großeltern über die Luftbrücke und die spätere Teilung gesprochen. Er hat verstanden, warum das Datum des Mauerfalls für sie so wichtig ist. Für ihn spiele das keine Rolle mehr, sagt er. „Ich bin in ganz Berlin unterwegs, habe überall Freunde. Da gibt es keinen Unterschied.“

Zum Jubiläum des Mauerfalls am 9. November will Klösters-Chef Prost alle Künstler, die schon in seinem Mauerpark aktiv waren, zu einem Treffen einladen. Auch Henning Heieck ist willkommen. Wenn in wenigen Wochen der erste Spatenstich für Teltows Hafenviertel fällt, werde die Ausstellung langsam enden, sagt Prost. Stück für Stück würden die Teile enger zusammengerückt, um Platz für das geplante Hafenquartier zu schaffen. Drei bis fünf Jahre, dann sei Schluss. Wenn nicht vorher alles verkauft ist.

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