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Potsdam-Mittelmark: Wie ein Schriftsteller mit der DDR abgeschlossen hat

In Wilhelmshorst schrieb Peter Huchel Gedichte über die Landschaft seiner Heimat, die ihn gefangen hielt. Am Wochenende feiert das Huchel-Haus sein 20-jähriges Bestehen.

So nah, so fern. Sieben Kilometer durch Kiefern- und Mischwald. Oder eben Landstraße, heute fünf Minuten. Als Peter Huchel nach Wilhelmshorst zog, vermutlich länger. Das war es ihm wert: In der Siedlung abseits der kaputten und indoktrinierten Hauptstadt der DDR fand der Lyriker die Ruhe, die er suchte. Und zum Arbeiten brauchte. Die Mitarbeiter der Akademie der Künste, die zur Redaktion der Zeitschrift Sinn und Form gehörten, sollen den umständlichen Weg aus Berlin nicht so sehr geschätzt haben. Aber als Huchel, Chefredakteur jener Zeitung, 1954 hierher zog, kam auch die Redaktion mit. Das große märkische Haus wurde ein Ort, in dem sich Dichter und Künstler der DDR trafen. Nicht nur in der Redaktion, sondern auch bei Huchels am Küchentisch oder im Garten.

Seit 20 Jahren ist das Haus wieder ein Ort, an dem es um Literatur geht. 1995 gründete sich ein Verein, der die Erinnerung an den Dichter aus Wilhelmshorst zurückholen wollte und das einstige Wohnhaus Huchels zu einem Museum und lebendigen Ort für Begegnungen aufbaute. 1997 konnte das Haus eröffnet werden. Jetzt wird am Sonntag, dem 3. September, zu einer Jubiläumsfeier ins Haus eingeladen. Der Schriftsteller Lutz Seiler, der Haus und Museum betreut, hofft auf gutes Wetter. Denn am schönsten ist es im großen Garten, hier soll auch am Sonntag gefeiert werden. „Lutz Seiler liest drei Gedichte von Peter Huchel und drei Gedichte von Erich Arendt“, heißt es in der Einladung. Auch die Berliner Schriftstellerin Herta Müller wird am Samstag dabei sein. „Ich bin gespannt, was sie lesen wird“, sagt Seiler. Die aus dem kommunistischen Rumänien stammende Literaturnobelpreisträgerin passe jedenfalls gut nach Wilhelmshorst. „Herta Müller hat ja auch Diktaturerfahrungen gemacht.“

Mit Frau und vielen Katzen in das Land der Kiefern und Ebenen

Das Haus in Wilhelmshorst war Huchels Emigrationsort. Viele Jahre lebte er hier isoliert und einsam. Mit seiner Frau und vielen Katzen. Geplant war das so nicht, zunächst war es ein Zurückkommen in die Heimat. In das Land der Kiefern und Ebenen, wo früher in Langerwisch der Großvater dem Kind aus Berlin Gedichte vorlas.

Der Garten in Wilhelmshorst ist so groß, man sieht keinen Zaun. Er scheint einfach in den Wald überzugehen. Eine Garage ist noch da, Moos auf dem Dach. Seiler deckt den Tisch, grobes Holz, geflickt, lackiert. Spechte haben ein Loch hineingehackt. Sie kommen immer wieder. „Der Leim scheint ihnen zu schmecken“, sagt Seiler. Es gibt hier viel Getier, man hört es Krabbeln und Pochen an den Baumstämmen, sonst hört man nichts.

Huchel kaufte damals das Haus für 24 000 Mark von der Kreissparkasse, die es zuvor für 6 000 Mark ersteigert hatte. Weshalb Bertolt Brecht, selbst ernannter Immobilienexperte, Huchel praktizierten Kapitalismus vorwarf, weil er die Preissteigerung mitmachte. Aber Huchel hatte gerade den Nationalpreis der DDR verliehen bekommen, dotiert mit 25 000 Mark, erzählt Seiler. Ein seltsamer Kreislauf.

„Schlechte Zeiten sind immer gute Zeiten für die Kunst“

Damals ist Huchel, Lyriker und Hörspielautor, seit 1949 Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form, die als weltoffen gilt. In der auch streitbare West-Autoren veröffentlicht werden und die sogar im Westen gelesen wird. Weil Huchel sich aber nicht an politische Vorgaben hält, wird er bald von der Stasi observiert und muss 1962 den Posten abgeben. Die Beobachtung durch die Stasi bleibt. In Wilhelmshorst geht man nach dem Essen hinauf ins Radiozimmer, raucht und unterhält sich, während das Radio bei voller Lautstärke spielt. Aus Angst, abgehört zu werden. So hat es Huchels Witwe Lutz Seiler erzählt. Auch die Nachbarn spionieren, berichten der Stasi, der Huchel laufe vormittags um elf noch im Schlafanzug rum. Er darf nicht mehr reisen. Post verschwindet, darunter wichtige Einladungen aus ganz Europa, wo Huchel angesehen ist und gedruckt wird. Das ist zermürbend. Er stellt einen Ausreiseantrag und wartet dann noch zehn Jahre, bis er 1971 endlich gehen darf.

Zehn Jahre in Wilhelmshorst, hinterm Haus der Kiefernwald. Seine Dichtung wird während dieser Zeit deutlicher, politischer, sagt Seiler, „schlechte Zeiten sind immer gute Zeiten für die Kunst“. Im Westen bekommt er Preise. In der DDR ist er verboten. Bald hat Huchel kein Einkommen mehr, Freunde unterstützen ihn. Heinrich Böll kommt ihn besuchen und schmuggelt Westgeld. Er schreibt oft zurückgezogen in seinem Dachzimmer. Das Haus indes wird Treffpunkt oppositioneller Schriftsteller – Ingeborg Bachmann und Max Frisch, Günter Kunert und Reiner Kunze treffen sich hier. Wolf Biermann bleibt manchmal länger, übernachtet in einer Dachkammer und dichtet für Huchel seinen Ermutigungssong. „Du, lass dich nicht verhärten / in dieser harten Zeit“. Aber Huchel, sagt Seiler, war einfach fertig mit der DDR.

Einzug mit Ausstellung und Veranstaltungssaal - das Haus atmet wieder

Nach seinem Weggang 1971 wohnt der Schriftsteller Erich Arendt hier. Das Haus hält dann mal wieder still und wartet – bis Lutz Seiler, Schriftsteller mit Wohnsitz in Wilhelmshorst, durch Zufall davon hört, dass hier der Huchel wohnte. Er nimmt Kontakt zur Witwe Monica Huchel auf. Die unterstützt die Idee, das Haus zu Museum und Treffpunkt auszubauen, und überlässt es dem Verein. An Huchel erinnert da längst nichts mehr. Memorabilien müssen vom Verein erst herangeholt werden. Bücher, Notizbücher, seine Schreibmaschine. Ins Erdgeschoss kommen Ausstellung und Veranstaltungssaal, ins Obergeschoss zieht Seiler ein, als Mieter. Das Haus atmet wieder.

Sanierung und Umbau finanziert der Verein mit Hilfe von Fördermitteln der Kulturstiftung der Deutschen Bank und dem Land Brandenburg. Die Menschen im Ort, seit der Wende längst zum Großteil ausgetauscht, nehmen die neue Nutzung wahr, es gibt ein kleines Stammpublikum. Manchmal kommen Schulklassen aus Potsdam und Berlin, die etwas über Huchel wissen wollen. Regelmäßig finden zudem Lesungen mit internationalen Autoren und Schriftstellern aus Brandenburg und Berlin statt, Antje Ravic Strubel, Grit Poppe, Sigrid Grabner und Helga Schütz waren hier.

Peter Huchel ging 1971 zunächst nach Italien in die Villa Massimo in Rom, anschließend nach Freiburg und Staufen im Breisgau. Er wohnte mit Blick auf die Berge, aber heimisch wurde er dort nicht, sagt Seiler. Er stirbt 1981, ohne noch einmal zu Hause in Wilhelmshorst gewesen zu sein.

Es sei eine sehr schöne Aufgabe, sich um das Haus zu kümmern, sagt Seiler. Der Verein will das Angebot des Hauses künftig erweitern. Es soll neue Formate, auch kammermusikalische Abende oder Filmvorführungen geben. 15 Minuten braucht der Linienbus zurück aus der leisen Kiefernlandschaft zum Potsdamer Hauptbahnhof. So fern. So nah.

Jubiläumsfeier am Sonntag, 3. September, um 14 Uhr im Huchelhaus, Hubertusweg 41, Wilhelmshorst. Der Eintritt ist frei

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