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Rückwärts raus. Fahrdienstleiter Jörg Klingbeil (l.) erklärt den Senioren, warum es gefährlich ist, mit Rollator vorwärts aus dem Bus auszusteigen. Die Rampe wird für die Gehhilfen nur dann ausgeklappt, wenn es keinen ausreichend hohen Bordstein gibt.

© Andreas Klaer

Potsdam-Mittelmark: Busfahrt mit Hindernissen

Bis 2022 müssen alle Haltestellen im Kreis barrierefrei sein. Nicht jede Gemeinde wird das schaffen.

Von Enrico Bellin

Langsam dreht sich Grete Kebach im Bus der Beelitzer Verkehrsgesellschaft. Flink kam die 96-Jährige beim Training am Kleinmachnower Seniorenzentrum SenVital am gestrigen Dienstag mit ihrem Rollator in das Fahrzeug. Doch nun soll sie es rückwärts wieder verlassen. „Das ist nötig, da die Vorderräder am Rollator sonst in den Spalt zwischen Bus und Bordstein rutschen können und mit dem Senioren nach vorne kippen“, erklärt Fahrdienstleiter Jörg Klingbeil.

Im Gegensatz zu den Vorderrädern sind die hinteren fest arretiert, sie können sich nicht im Spalt verkeilen. Grete Kebach verlässt den Bus langsam, das Rückwärtsgehen fällt ihr wie den meisten Senioren am Dienstag schwer. „So lange wartet doch kein Fahrer, bis wir da aus dem Bus sind“, ruft eine der nebenstehenden Damen.

Doch die Fahrer sind geduldig, beschwichtigt der Fahrdienstleiter. Allerdings haben sie ein Problem: Durch den demografischen Wandel leben immer mehr ältere Menschen im Landkreis, die auf Gehhilfen und den Nahverkehr angewiesen sind. Doch in einem Bus dürfen im Normalfall nur zwei Menschen mit Rollatoren mitfahren oder einer mit Rollator plus ein Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen. Wollen mehr mit, ist es die Entscheidung des Fahrers, ob er sie mitnimmt oder an der Haltestelle stehen lässt, wo im ländlichen Bereich vielleicht erst in zwei Stunden der nächste Bus hält. „Der Mittelgang im Bus ist ein Rettungsweg und muss eigentlich immer frei bleiben“, so Jörg Klingbeil. Besonders am Vormittag, wenn die Senioren zu Arztterminen fahren und gleichzeitig Mütter mit Kinderwagen unterwegs sind, sei die Kapazitätsgrenze da schnell erreicht und ein Anrecht auf Beförderung gebe es nicht.

Ein weiteres Problem: Mit dem Rollator muss ein Fahrgast eigentlich in den Bus einsteigen können, ohne dass der Fahrer aufstehen und die fast immer vorhandene Rampe ausklappen muss – das ist nur für Rollstuhlfahrer Pflicht. An barrierefrei ausgebauten Haltestellen (siehe Kasten) ist das auch möglich. Jedoch ist nur ein kleiner Teil der Haltestellen entsprechend ausgerüstet. Bis Anfang 2022 muss der Nahverkehr in der Europäischen Union aber barrierefrei sein. Nicht alle Kommunen, die für den Umbau der Haltestellen zuständig sind, werden bis dahin mit den Arbeiten fertig sein.

So sind in Schwielowsee derzeit erst acht von 39 Haltestellen barrierefrei – allesamt im Ortsteil Geltow. Noch härter trifft es Kleinmachnow: Dort sind nur zwei von 76 Haltestellen – am östlichen Adolf-Grimme-Ring – barrierefrei, sechs weitere sollen in diesem Jahr folgen. Die Gemeinde rechnet für jede Haltestelle mit Umbaukosten von 17 000 Euro. Laut Rathaussprecherin Martina Bellack wird man den Umbau aller Haltestellen wohl nicht rechtzeitig schaffen. In Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft barrierefreies Kleinmachnow wurden die dringendsten Haltestellen priorisiert. So sollen bis Jahresende die vier Zugangspunkte am ODF-Platz sowie zwei im Meiereifeld erneuert werden, da dort mehrere wichtige Buslinien halten. „Neben den Umsteigepunkten sollen auch Haltestellen vor Supermärkten oder anderen wichtigen Einrichtungen vorrangig umgerüstet werden“, so AG-Sprecher Peter Weis.

Auch in den Nachbarkommunen müssen Weis zufolge wichtige Umsteigepunkte umgebaut werden: Die Stahnsdorfer Waldschänke als Hauptknotenpunkt der Linien nach Berlin und Potsdam ist noch nicht barrierefrei. Das Stahnsdorfer Rathaus habe laut Sprecher Stephan Reitzig derzeit aber noch nicht erfasst, welche der rund 80 Haltestellen bereits barrierefrei sind. In der Nachbarkommune Teltow ist man hingegen zuversichtlich, bis 2022 barrierefrei zu sein. Laut Sprecherin Andrea Neumann müssen noch 20 Haltestellen umgebaut werden. Teltow rechnet mit Kosten von bis zu 25 000 Euro pro Stück, will allerdings Förderung beim Landkreis beantragen.

Der fördert den Umbau mit 75 Prozent, den Rest müssen die Kommunen tragen. Allerdings ist das Kreisbudget auf jährlich 400 000 Euro begrenzt, die zudem auch für andere kommunale Nahverkehrsinvestitionen genutzt werden können. In diesem Jahr ist das Budget ausgeschöpft, wie Fachbereichsleiterin Debra Reußner den PNN bestätigt. Gebaut werden sollen etwa eine Haltestelle am Töplitzer Hasselbergweg sowie am Beelitzer Ärztehaus.

Künftig will auch Nuthetal von der Kreisförderung profitieren: Von den 26 Haltestellen der Gemeinde sind erst zwei barrierefrei. Laut Bauamtsleiter Rainer vom Lehn ist es aber möglich, bis 2022 alle Umbauten vollendet zu haben. Ähnlich sieht es Kollege Ralf Schwarzer aus Werder (Havel). Von den 155 Haltestellen seiner Stadt seien 48 vollständig barrierefrei, weitere 87 seien es größtenteils. „In vielen Fällen ist dort noch das Blindenleitsystem nachzurüsten“, so Schwarzer. Die restlichen 20 Haltestellen würden meist im Rahmen von Straßenneubauten bis 2022 umgerüstet.

Doch selbst mit der besten Infrastruktur gibt es für Menschen mit Rollatoren oder im Rollstuhl noch Hindernisse zu überwinden. „Wie soll ich denn ein Ticket kaufen, wenn ich im Bus hinten einsteigen muss?“, fragt etwa Grete Kebach vor dem Seniorenzentrum Fahrdienstleiter Jörg Klingbeil. Schließlich muss man bei der Beelitzer Busgesellschaft vorn beim Fahrer bezahlen. Die Lösung: zwischenmenschliche Hilfe. „Am besten, Sie geben das Geld einem anderen Fahrgast, der dann vorn bezahlen geht“, so Klingbeil.

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