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Stark gegen Gewalt. Kinder ändern nach Missbräuchen häufig ihr Verhalten, aufgeregte Mädchen werden etwa plötzlich schüchtern. Das STIBB bietet in Schulen, Kitas und Horten Veranstaltungen an, bei denen Kinder lernen, ihre Grenzen wahrzunehmen und sich gegen Übergriffe zu wehren.

© Patrick Pleul/dpa

PNN-Interview über Kindesschutz in Kleinmachnow: „Das Wichtigste gerät oft aus dem Blick“

Das Sozialtherapeutische Institut Berlin-Brandenburg (STIBB) in Kleinmachnow wird 25 Jahre alt Initiatorin und Leiterin Annelie Dunand über die Macht des Zuhörens und genauen Hinsehens.

Frau Dunand, das Sozialtherapeutische Institut Berlin-Brandenburg (STIBB) setzt sich seit 25 Jahren gegen Gewalt und Missbrauch an Kindern ein. Hat sich die Situation seitdem verbessert?

Kinderschutz hat sich auf allen Ebenen entwickelt. Pädagogische Fachkräfte sind inzwischen besser qualifiziert, Fälle von Gewalt und Missbrauch zu erkennen und das Thema ist insgesamt viel präsenter in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen trauen sich heute, offen über Missbrauch zu sprechen. Trotzdem bleibt für uns noch viel zu tun: Wir müssen weiter an Kitas, Schulen und in Horten darüber informieren, was Kinder tun können, wenn sie sich bedroht fühlen und wie Erwachsene helfen können.

Wie informieren Sie über diese Themen?

Je nach Altersgruppe machen wir verschiedene Angebote: Für Kindergärten gibt es zum Beispiel Kartenlegespiele, mit denen trainiert wird, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, wachsam zu sein und Konzepte im Kopf zu haben, wenn die eigenen Grenzen überschritten werden. Mit älteren Kindern sehen wir uns etwa Filme an und diskutieren mit ihnen darüber. Unser Ansatz ist dabei aber immer sehr dynamisch. Wir hören uns an, was die Probleme in der jeweiligen Einrichtung sind, was die Kinder bewegt, und gehen dann individuell auf die Situation ein.

Woran kann ich als Elternteil oder Betreuungsperson erkennen, dass ein Kind Gewalt oder Missbrauch erfahren hat?

Ein erstes Anzeichen sind immer Verhaltensänderungen. Kinder, die vorher eher still und angepasst waren, werden plötzlich aggressiv und auffällig. Ein vorher eher lautes, fröhliches Kind zieht sich zurück und meidet Kontakte. Als Bezugsperson merken Sie, dass eine Distanz zum Kind entstanden ist, Sie irgendwie keinen Zugang mehr zu ihm finden.

Was kann ich in so einer Situation tun?

Wichtig ist vor allem, dass sie auf das Kind eingehen. Ihm Fragen stellen, aber auch akzeptieren, wenn es diese erstmal nicht beantworten möchte. Ihm nicht die eigene Sichtweise überstülpen, sondern Zeit geben, damit es selbst entscheiden kann, wann es was sagt. Vielleicht möchte das Kind auch reden, aber lieber mit einer anderen Person als Ihnen. Es ist wichtig, das dann zu erlauben. Gerade wenn es um Missbrauch geht, hat das Kind die Erfahrung gemacht, fremdbestimmt zu werden. Darum ist es besonders wichtig, dass es nun selbst entscheiden darf.

Wie helfen Sie Eltern, die sich mit dem Verdacht an Sie wenden, dass ihrem Kind etwas angetan wurde?

Zunächst steht bei uns immer das betroffene Kind im Zentrum. Wir erleben oft, dass vor lauter Aufregung über einen Verdacht das eigentlich Wichtige aus dem Blick gerät, nämlich, was das Opfer zu sagen hat. In unseren Gesprächen mit den Eltern betrachten wir immer das gesamte Umfeld des Kindes. Es gibt in einer Familie viele Faktoren, die Gewalt und Missbrauch begünstigen können, seien es Partnerprobleme, Trennungen, finanzielle Sorgen oder auch Konflikte mit Großeltern, die sich in die Erziehung einmischen wollen. Dadurch, dass so viel anderes nicht in Ordnung ist, gerät für die Angehörigen zuweilen in den Hintergrund, wie das Kind selbst die Situation sieht. Es gerät ganz viel in Bewegung, ohne dass wirklich auf die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen eingegangen wird.

Inwieweit begünstigt das Internet heutzutage Missbrauch an Kindern?

Bisher werden bei uns nur wenige Fälle pro Jahr gemeldet, in denen Kinder Kontakte zu Tätern über das Internet geknüpft haben. Wir glauben allerdings, dass das Problem in Zukunft größer werden wird. Bei unseren Präventionsveranstaltungen merken wir, dass schon acht- bis zehnjährige Kinder sich gern über soziale Medien im Internet präsentieren. Es wird also für immer jüngere Altersgruppen immer normaler, Bilder von sich selbst ins Netz zu stellen oder sie über das Smartphone zu verschicken. Welche Konsequenzen es haben kann, wenn diese Bilder dann missbräuchlich verwendet werden, merken die Kinder erst, wenn es zu spät ist.

Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?

Wir informieren in Schulen explizit über Cyber-Mobbing und die Gefahren des Datenaustauschs über das Internet. Allerdings halten wir auch nichts davon, die neuen Medien zu verteufeln. Sie helfen schließlich auch vielen Opfern. Etwa ein Viertel aller Anfragen erreicht uns inzwischen über das Internet. Betroffene Kinder können sich nach Gewalterfahrungen auch per Smartphone Hilfe bei Beratungsstellen wie unserer holen. In vielen Fällen sinkt dadurch die Hemmschwelle, offen über das Erlebte zu sprechen.

Was sind die Ziele des STIBB für die nächsten 25 Jahre?

Die vielen Anfragen, die wir bekommen, zeigen uns, wie relevant unsere Arbeit nach wie vor ist. Es wäre schön, wenn wir genug finanzielle Förderung bekämen, um unser Angebot verstetigen zu können. Derzeit müssen wir noch jedes Jahr neue Förderanträge stellen. Kinderschutz und Opferhilfe sind eine Aufgabe, die die ganze Gesellschaft beschäftigen sollte. Die Erfüllung dieser Aufgabe sollte so gesichert sein, dass wir unsere Angebote dann auch offensiver in die Öffentlichkeit tragen können. Momentan sind wir personell so aufgestellt, dass wir kaum die 25 Anfragen schaffen, die uns pro Woche erreichen.

Das Gespräch führte Julia Frese

Annelie Dunand ist Initiatorin des STIBB. Die studierte Soziologin und Pädagogin aus dem Saarland hat in Berlin ein Frauenhaus und weitere soziale Projekte ins Leben gerufen.

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