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Potsdam-Mittelmark: Pilze aus der Petrischale

Die Biologin Sylvia Hutter aus Caputh ist Pilzberaterin und verkauft Seitlinge zum Selberzüchten

Schwielowsee - Durch ein blaues Tor betritt man das Caputher Anwesen von Sylvia Hutter und ihrem Lebensgefährten, „Pilzreich“ ist auf einem Schild zu lesen: Am Nussbaum steht ein Hallimasch, auch Rötelritterlinge und Kremplinge gibt es wild im Garten. Und ganz hinten hat Hutter Buchenholz-Stämme, an denen Austern- und Lungenseitlinge wachsen. Solche Pilzstämme sind ihre Geschäftsidee: Über ihre Homepage pilzreich.de kann man sich so ein Zuchtset bestellen, um selbst Pilze im eigenen Garten oder auf dem Balkon zu ernten. Die kleinen Stämme mit Austernseitlingen kosten zwischen 35 und 55 Euro.

Schon als Kind war sie oft in ihrer Heimat Steiermark im Wald unterwegs. Ihr Vater war früher Jäger, mit ihm war sie im Revier. Pilze, Vögel, alles habe sie interessiert. „Ich habe dann Biologie in Graz studiert, so wurden die Pilze auch zum Forschungsobjekt.“ Für ihre Doktorarbeit sei Hutter dann bei den Pilzen geblieben: Sie promovierte über Waldpilze, die mit Bäumen in Symbiose leben.

Sylvia Hutter lebt für ihre Pilze: In ihrem Garten zeigt sie Schirmlinge. Aber Achtung: „Die haben schon Vergiftungen verursacht.“ Es handelt sich um den seltenen Garten-Riesenschirmling. „Man erkennt ihn an der Knolle und an dem unangenehmen Geruch. Riechen Sie mal!“, sagt Sylvia Hutter. Tatsächlich: Der Riesenschirmpilz sieht fast genauso aus wie ein schmackhafter Parasol, riecht aber wie ein alter Waschlappen.

In ihrer Doktorarbeit untersuchte Hutter, wie die Pilze auf der Wurzelebene – das Pilzgeflecht besiedelt nämlich die feinen Wurzeln der Bäume – auf Veränderungen im Ökosystem reagieren, Wassermangel etwa. Dadurch habe sie sich intensiver mit den Fruchtkörpern auseinandergesetzt. Mittlerweile ist sie geprüfte Pilzberaterin. Ab und an ist sie mit dem Landesverband der Pilzsachverständigen auf dem Potsdamer Bassinplatz, ansonsten kann man auch mit einem Korb voller Pilze in Caputh vorbeischauen, die Pilzberatung gibt es kostenfrei bei ihr zu Hause.

Erst im März machte Sylvia Hutter aus ihrer Leidenschaft einen Beruf: „Ich züchte die Pilze ja nicht, ich baue sie an“, präzisiert sie. „Ich mache dennoch alles selbst: In der Petrischale wird das Pilzgeflecht vermehrt, dann werden Buchenstämme beimpft, die ich aus dem Berliner Forst beziehe.“ Ein Labor brauche man dafür gar nicht, nur Küchengeräte – und sauberes Arbeiten.

Verkauft werden die Pilze online. Jeden beliebigen Pilz könne man nicht anbauen: Nur einige ließen sich unter Laborbedingungen vermehren. „Ein Forscherteam hat es wohl mal geschafft, einen Pfifferling unter Laborbedingungen zu züchten – mehr aber auch nicht.“ Forscher nennen dies den „M Faktor“, so richtig erforscht ist das alles noch nicht. Die Pilze, die bereits angebaut werden können, werden demnächst auch bei Sylvia Hutter im Sortiment sein.

Gibt es denn jetzt, Ende November, noch Pilze im Wald? Hutter nimmt sich einen Korb und ein Messer, der Wald ist gleich um die Ecke, wir schauen einfach mal nach. Gleich am Waldrand steht ein Champignon: „Ein Stadtchampignon ist es nicht, da fehlt der doppelte Ring“, sagt Hutter. „Aber wenn ein Champignon nach Anis riecht, dann kann man ihn auch essen.“ Die Nase ist wichtig: Bei ihrer Pilzberaterprüfung bekam sie alte Pilze vorgesetzt, die kaum noch zu erkennen waren, doch der süßliche Geruch war eindeutig: Es handelte sich um den Grünen Knollenblätterpilz, der gefährlichste heimische Pilz.

Mit einigen Vorurteilen räumt die Expertin auch gleich auf: „Ob man den Pilz rausdreht oder abschneidet, ist völlig egal“, sagt sie. Und natürlich könne man ein Pilzgericht noch mal aufwärmen – solange man weiß, dass es sich um leicht verderbliche Lebensmittel handle. Auch die Strahlenbelastung von Waldpilzen in Brandenburg sei überschätzt: „Die Pilze werden immer wieder geprüft“, sagt Hutter. Zudem könne man gar nicht so viel essen, um sich zu verstrahlen.

Der Korb füllt sich mittlerweile, eine ganze Menge Frostschnecklinge sind dabei, Rauchblättrige Schwefelköpfe, Riesenschirmpilze, Maronenröhrlinge, sogar ein Steinpilz – das Abendessen ist gerettet. Das Sammeln macht ungemein Spaß, appelliert es doch irgendwie an die Urinstinkte des Jagens und Sammelns. Eine Welt ohne Pilze wäre aber auch unvorstellbar, kein Hefebrot, kein Wein, kein Schimmelkäse, kein Penicillin.

Demnächst plant Hutter Kurse über die Heilkraft der Pilze. Die traditionelle chinesische Medizin setze schon lange darauf und sogar der Urmensch Ötzi trug zwei Birkenporlinge, vermutlich wegen der antibakteriellen Wirkung, bei sich. Außerdem hält Hutter Vorträge über Permakultur, ein Konzept, das auf nachhaltige Kreisläufe zielt und im eigenen Garten angewendet werden kann – und bei dem auch Pilze eine Rolle spielen.

Oliver Dietrich

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