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Vier Jahre ist Oskar, der eigentlich anders heißt, nun schon als Pflegekind in Potsdam bei Myriam und ihrem Mann.

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Pflegefamilien in Brandenburg: Nicht nur ein Zuhause auf Zeit

Können Kinder nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen, kommen für sie Pflegefamilien in Betracht. Pflegeltern betreuen Kinder oft über Jahre, etwa in Kleinmachnow und Potsdam. Sicherheit gibt es aber nicht.

Kleinmachnow/Potsdam - Bei Carolin Huder ging alles ganz schnell. „Am Donnerstag wurden wir gefragt. Am Donnerstag darauf hatten wir die Kinder bei uns zu Hause sitzen.“ Die 52-Jährige, die in Kleinmachnow die Kammerspiele zusammen mit Valeska Handel betreibt, hat gemeinsam mit ihrem Partner zwei Flüchtlingskinder in Pflege genommen. Die beiden vier und sechs Jahre alten Jungen leben heute bereits seit drei Jahren bei ihnen in Kleinmachnow.

Das Leben mit den beiden Kindern sei schön, aber auch nicht immer einfach, erzählt Huder am Telefon. „Der Große ist hochgradig traumatisiert.“ Er habe viel auf der Flucht erlebt. Das müsse aufgearbeitet werden. „Wir bekommen sehr viel Hilfe vom Jugendamt.“ Ob man sich auf die Rolle als Pflegemutter vorbereiten kann? „Kaum“, sagt sie. Man könne es nur erleben.

Mehr als 2000 Pflegekinder im Land Brandenburg

Pflegefamilien kommen dann in Betracht, wenn Kinder und Jugendliche nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, beispielsweise, wenn diese alkoholabhängig sind. Als Pflegeeltern können sich sowohl Paare als auch Alleinerziehende bewerben. Sie durchlaufen dann ein Bewerberverfahren, in dem sich leibliche Eltern und künftige Pflegeeltern sowie Fachkräfte, die die Familie während der Pflegezeit unterstützen, kennenlernen. Den Bewerbern werden Dinge wie Sorgerecht und Vormundschaft erklärt und andere Pflegeeltern berichten von ihren Erfahrungen.

Außerdem wird geprüft, ob die Bewerber motiviert und geeignet sind, also ob beispielsweise die finanziellen Voraussetzungen stimmen, genug Platz vorhanden ist und ein sauberes Führungszeugnis vorliegt. „Das dauert in der Regel so lange wie eine Schwangerschaft“, sagt Christian Gunkel, Sozialarbeiter bei der Gemeinsamen Fachstelle Pflegekinderdienst des Landkreises Potsdam-Mittelmark.

2199 Kinder und Jugendliche sind in Brandenburg nach jüngsten Zahlen aus dem Jahr 2018 in einer Vollzeitpflege untergebracht, wie das Jugendministerium auf Basis von Zahlen des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg mitteilte. Das sind etwas weniger als in den Jahren zuvor. 2017 waren es laut des Statistikamtes 2236, und 2016 zählten 2221 Kinder und Jugendliche.

Leichter Rückgang bei Zahl der Kinder und Jugendlichen in Heimen

Zwar könne es vorkommen, dass Pflegefamilien vorhanden sind, die ein Kind aufnehmen wollen, aber noch kein Kind vermittelt werden könne, so Ministeriumssprecherin Ulrike Grönefeld. Insgesamt sei der Bedarf aber größer als es vorhandene Pflegefamilien gebe.

Wird für ein Kind keine geeignete Pflegefamilie gefunden, kommt es in eine betreute Wohnform. 2018 waren in Brandenburg dem Ministerium zufolge 3870 Kinder und Jugendliche in Heimen und sonstigen betreuten Wohnformen untergebracht. Das ist innerhalb von drei Jahren ein erster leichter Rückgang. Im Jahr zuvor waren es laut Statistik 4006 Kinder und Jugendliche. 2016 waren es 3293 und 2015 demnach 3880.

„Bindung ist überlebenswichtig wie die Luft zum Atmen"

Für Kinder, die in ihrer Herkunftsfamilie nicht mehr bleiben können, könne eine Pflegefamilie eine „riesen Chance“ sein, sagt Sozialarbeiter Gunkel. Insbesondere dann, wenn sich durch den Aufbau neuer, intensiver und individueller Beziehungen positive Bindungserfahrungen entwickelten. „Die Bindung ist überlebenswichtig für uns Menschen, wie die Luft zum Atmen. Wenn uns das gelingt, können uns später auch andere Dinge gut im Leben gelingen.“

Doch inwieweit ein Kind eine neue Bindung eingeht, hänge sehr mit seinen bisherigen Erfahrungen zusammen. „Pflegekinder haben mindestens einen erheblichen Beziehungsabbruch erlebt, den mit ihrer Herkunftsfamilie“, weiß Gunkel. Manche erlebten auch mehrere. „Mit jedem Abbruch steigt das Risiko, das das Bindungsangebot nicht mehr so leicht angenommen wird.“ Daher sei es wichtig, dass für das Kind so schnell wie möglich eine dauerhafte Perspektive gefunden werde.

Meist haben die leiblichen Eltern oder das Jugendamt das Sorgerecht

Oskar etwa war ein halbes Jahr alt, als er zu Myriam und ihrem Mann in Pflege gekommen ist. Oskar ist nicht sein richtiger Name, aber Pflegemutter Myriam möchte nicht, dass er, wie auch ihr Familienname, in der Zeitung zu lesen ist. Seit rund vier Jahren ist der Junge bei dem Ehepaar. „Für uns ist er wie ein eigenes Kind“, sagt die 49-Jährige. Da das Paar keine eigenen Kinder bekommen konnte und für eine Adoption zu alt war, bewarben sie sich als Pflegeeltern. An den Anfang erinnert sich die 49-Jährige noch gut. „Man erfährt relativ wenig über das Kind, was es alles erlebt oder welche Krankheiten es hat.“

Bei Oskars Mutter werde vermutet, dass sie in der Schwangerschaft getrunken habe, sagt Myriam - ein Fall, den die Fachstelle des Landkreises nach eigenen Angaben nicht selten hat. Das sogenannte Fetale Alkoholsyndrom, unter dem alle Folgen des Alkoholkonsums während einer Schwangerschaft auf die Entwicklung des Kindes zusammengefasst werden, zeige sich erst ab dem fünften Lebensjahr oder noch später immer deutlicher, beispielsweise durch Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu einer Behinderung. „Es ist nicht etwas, was man dem Kind von Anfang an ansieht“, sagt Gabriela Anger, Diplom-Psychologin und Teamleiterin bei der Fachstelle. Ob eine solche Schädigung bei Oskar vorliegt, sei unklar. „Bislang haben wir keine Defizite in der Entwicklung festgestellt“, sagt Myriam.

Anders als bei einer Adoption bleibt bei der Pflege das Sorgerecht in der Regel bei den leiblichen Eltern oder beim Jugendamt. Die Übertragung des Sorgerechts ist für Pflegeeltern dennoch nicht ausgeschlossen. Und noch etwas unterscheide sich erheblich von der Adoption, sagt Anger. „Pflegeeltern müssen jederzeit damit rechnen, dass eine Rückkehr zu den leiblichen Eltern möglich bleibt.“ Manchmal seien Kinder nur vorübergehende Zeit in der Pflegefamilie. Manchmal bliebe die Bindung aber ein Leben lang. (dpa)

Anna Kristina Bückmann

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