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Unmenschlich. Das Völkerrecht galt für russische Kriegsgefangene im Nationalsozialismus nicht. Auf dem Foto sind Gefangene in der heutigen Ukraine zu sehen, die auf ihren Abtransport warten.

©  dpa

NS-Arbeitslager für Kriegsgefangene: Flecken in Kleinmachnows Idylle

Am Stolper Weg gab es ein NS-Arbeitslager für Kriegsgefangene. Zwei Namen sind damit verbunden.

Kleinmachnow – Ihre Blechnäpfe hielten sie immer bettelnd durch den Zaun, erinnerten sich später Zeitzeugen an die russischen Gefangenen im Lager Dreilinden Maschinenbau GmbH, einer Außenstelle der Firma Bosch in Kleinmachnow. Außer Zeitzeugenberichten gebe es nur wenige Unterlagen über diesen Teil des Außenlagers, berichtete der Vorsitzende des Heimatvereines, Rudolf Mach, kürzlich auf einer Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion. Bekannt ist, dass seit 1942 auch Soldaten aus der Sowjetunion dort am Stolper Weg in einem stark bewachten Areal untergebracht waren. Über diese „Russenzuweisungen“ , wie sie im Amtsdeutsch des Potsdamer Rüstungskommandos bezeichnet wurden, gibt es kaum Zahlen. Geschätzt 500 Männer und Frauen sollen dort interniert gewesen sein, 1943 wurde das „Ostarbeiter-Lager“ vergrößert. Zur Bewachung waren Gestapo-Beamte abgestellt worden.

Dass die Idylle Kleinmachnows braune Flecken hat, sorgte vor Jahren für Aufsehen, seither wurden immer neue Details zu den Verstrickungen des Ortes mit dem NS-Regime bekannt. Besonders der Umgang mit russischen Kriegsgefangenen, in dessen Folge es drei Millionen Todesopfer zu beklagen gibt, ist ein Kapitel, das die Fäden der Geschichte wie in einem Brennglas bündelt. Rudolf Mach nannte zwei Namen, auf die die Heimatforscher jüngst stießen und die im engen Zusammenhang mit dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 stehen: Hermann Reinecke (1888 - 1973; PNN berichteten) und Bernhard Bechler (1911 - 2002). Beide lebten für einige Jahre in Kleinmachnow und gehörten zur Militär-Elite der Wehrmacht. Der Kommissarbefehl war im Einvernehmen mit Reinecke, General der Infanterie der Wehrmacht, ergangen. Dieser Befehl galt als offizielle Richtlinie für die Behandlung politischer Kommissare der Roten Armee. Diese seien nicht als Kriegsgefangene zu behandeln, sondern sollten ohne Verhandlungen erschossen werden, lautete der Befehl.

Der zielte darauf ab, die „Träger der feindlichen Weltanschauung“ zu vernichten, damit der Feind rasch zusammenbricht und der Blitzkrieg beschleunigt wird. General Reinecke, zuständig für die ideologische Ausrichtung der Wehrmachtführung, legte im September 1941 noch mit einem Grundsatzbefehl nach, dass „der Waffengebrauch gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen in der Regel als rechtmäßig gilt“. Zum engen Kreis der Verantwortlichen für den Kommissarbefehl gehörte auch Bernhard Bechler, der seinerzeit Adjutant bei General Eugen Müller in der Wehrmachts-Rechtsabteilung war und als Zeuge den Befehl unterzeichnete, später für dessen Vervielfältigung sorgte. Der Kommissarbefehl, so gab Bechler später zu Protokoll, habe zu ersten harten Auseinandersetzungen zwischen Hitler und einigen militärischen Befehlshabern geführt. Mit diesem Befehl setzte Hitler Recht und Gesetz außer Kraft, denn die Anordnung widersprach dem Völkerrecht. General Reinecke, den die Alliierten im Sommer 1945 in Luxemburg verhafteten und dem 1948 beim Nürnberger Prozess besonders der Kommissarbefehl angelastet wurde, erhielt lebenslänglich. Doch schon sechs Jahre später wurde er begnadigt und in den Ruhestand samt Pension entlassen.

Allerdings kehrte er nicht mehr in das Haus im Kleinmachnower Meisenbusch 52 zurück, sondern lebte bis zum Tod 1973 in Zehlendorf, wie der Heimatverein recherchierte. Bernhard Bechler kam 1945 mit sowjetischen Truppen nach Deutschland zurück. Er war bei der Schlacht um Stalingrad in Gefangenschaft geraten, wechselte die Seiten und gründete das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) mit. Später offenbarte er einmal, ihn habe dort die Erscheinung Wilhelm Piecks so beeindruckt, dass „ich von hohem Herzen Kommunist wurde“. Auch für den Hass der Rotarmisten brachte er nun Verständnis auf. Bechler zog 1947 nach Kleinmachnow, wurde Innenminister des Landes Brandenburg, später Generalmajor der Volkspolizei und hatte bis 1971 hohe Ämter in der Militärakademie der Nationalen Volksarmee inne.

In seiner Karriere sei Bechler stets um eine blütenreine Weste bemüht gewesen und habe „die gleiche Ergebenheit für die neuen Machthaber gezeigt wie vordem für Hitler“, schrieb seine erste Frau Margarete Bechler später in ihren Erinnerungen. Von ihr hatte sich Bechler nach Kriegsende scheiden lassen und nur kurz darauf im Kleinmachnower Standesamt seine Sekretärin geheiratet. Auch alle anderen familiären Bindungen, wie zu Mutter, Bruder und Schwester kappte er. Bechler erhielt in der DDR hohe staatliche Auszeichnungen, so den vaterländischen Verdienstorden in Silber und Gold. Auch als antifaschistischer Widerstandskämpfer wurde er geehrt. Ruhiger wurde es allerdings, als 1978 das Buch seiner Exfrau im Westen erschien, das Bechler als kalten Karrieristen mit brauner Vergangenheit schilderte. An Diskussionen über Bechlers Vergangenheit hatte die DDR kein Interesse.

Kirsten Graulich

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