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Neuseddin: In der Männerdomäne

Sarah Mohr ist eine von zwei Lokführerinnen am Seddiner Rangierbahnhof. Derzeit fehlen der Bahn zehn Azubis, nun wirbt sie für Vielfalt.

Neuseddin - Sarah Mohr ist eine von wenigen Frauen, die Lokomotiven fahren. Der Beruf des Lokführers gilt auch im Jahr 2019 noch als eine der letzten Männerdomänen. Die Deutsche Bahn möchte das ändern – auch aufgrund des Fachkräftemangels. Deshalb wirbt die Bahn für Vielfalt. In dieser Woche schickt sie eine speziell gestaltete Lok aufs Gleis. Die bunt beklebte „Vektron“ fährt durch ganz Deutschland. Die Fahrt beginnt am Mittwochabend im Rangierbahnhof Seddin, dem Arbeitsplatz von Sarah Mohr.

Wenn morgens die Sonne über den Gleisen des Rangierbahnhofs Seddin aufgeht, mag sie ihren neuen Job am liebsten, sagt die junge Frau. Dann macht es ihr auch nichts aus, dass sie bereits um 4.20 Uhr aufstehen müsse, um rechtzeitig zur Frühschicht zu kommen.

In diesem Jahr hat die 21-Jährige ihre Ausbildung zur Lokrangierführerin abgeschlossen. Warum sie diesen Beruf gewählt hat? „Ich habe eine kleine familiäre Vorbelastung“, sagt Mohr und lacht. Sie kommt aus einer Eisenbahner-Familie. Schon ihre Urgroßeltern seien Lokführer gewesen, der Opa ebenfalls.

Sie habe vor allem Herausforderungen gesucht. Da habe es Mohr nichts ausgemacht, dass der Beruf noch immer vor allem von Männern ausgeübt wird. Während ihrer dreijährigen Ausbildung war Mohr die einzige Frau in ihrer Klasse.

Manchmal habe sie sich schon gewünscht, mit anderen Frauen zusammen zu lernen. Doch sie fühle sich auch unter all den Männern wohl. „Es läuft besser als gedacht“, sagt Mohr mit einem Lächeln. Als Lokrangierführerin bereitet sie Wagons und Züge auf ihre Abfahrt vor, fährt die Züge von einem Gleis zum anderen. Dabei ist sie stets mit einem sogenannten Rangierbegleiter unterwegs. Während sie die Lok mit über 6400 Kilowattstunden Leistung steuert, passt der Begleiter am hinteren Ende des Zuges auf, dass nichts schiefgeht.

Nachts ist in Seddin am meisten los. Während des Tages hat der Personenverkehr Vorrang, nachts wird rangiert. Sarah Mohr arbeitet im unregelmäßigen Schichtdienst. Die Frühschicht beginnt bereits kurz nach 6 Uhr. Doch das mache ihr nichts aus. „Das klappt alles“, sagt sie. Um die große Lok auch auf freier Strecke fahren zu dürfen, müsste Mohr eine Weiterbildung machen. Sie sei sich noch nicht sicher, ob sie diesen Schritt gehen wolle, sagt Mohr. Im Moment fühle sie sich in Seddin äußerst wohl.

Ein Lokführer verdient laut Deutscher Bahn AG zwischen 42.000 und 51.000 Euro im Jahr, je nach Berufserfahrung. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Weiterbildung“, sagt Anne Kulecki, die regionale Leiterin der Erstausbildung bei DB Cargo in Seddin. Zum Beispiel sei eine Meisterprüfung bei der IHK möglich.

In Seddin gibt es zwei Lokführerinnen

In Seddin können bis zu 1400 Güterwagen täglich rangiert werden. Der Rangierbahnhof ist etwa fünf Kilometer lang und 300 Meter breit. Er gehört zu den zehn größten Rangieranlagen Deutschlands. Insgesamt arbeiten dort etwa 670 Menschen, davon 416 als Lokführer. Sarah Mohr ist eine von nur zwei weiblichen Lokführerinnen in Seddin. „Ich bin für Frauenpower bei der Bahn“, sagt Kulecki. Die Zahl der Bewerberinnen für kaufmännische Ausbildungen oder das duale Studium seien bereits gestiegen. Doch leider würden sich immer noch nur wenige Frauen für technische Berufe interessieren. Warum das so ist? Kulecki vermutet eine Ursache: „Die Arbeit ist körperlich anstrengend und man wird auch mal schmutzig.“

Doch nicht nur an Frauen mangelt es bei der Bahn. Die Zahl der Bewerbungen ist generell zu niedrig. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, setzt das Unternehmen mittlerweile auch verstärkt auf Quereinsteiger, teilt ein Sprecher der Konzerngruppe mit. Voraussetzung sei eine abgeschlossene Berufsausbildung. Grundsätzlich sei jeder willkommen, betont der Unternehmenssprecher, da spielten Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Orientierung keine Rolle. Die Bahn sei ein Querschnitt der deutschen Gesellschaft und Industrie.

In Seddin werden zehn Azubis gesucht

Zurzeit werden in Seddin 27 Nachwuchs-Lokführer ausgebildet. Zum ersten Ausbildungsbeginn im September 2020 haben sich bereits zwei Bewerber gefunden - zwei Männer. Die Bahn sucht noch zehn weitere Azubis.

Das der Bahn Personal fehlt, hat sich das in den vergangenen Monaten immer wieder durch Zugausfälle auch im Personenverkehr bemerkbar gemacht, auch bei Zügen nach Seddin. Ärgerlich ist das vor allem für die Pendler. Laut Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg pendeln täglich im Durchschnitt 215.592 Arbeitnehmer aus Brandenburg nach Berlin. Gleichzeitig fahren 88.601 Auspendler in die entgegengesetzte Richtung. Zu ihnen gehört auch Sarah Mohr, die im Berliner Ortsteil Schöneberg lebt. Sie fährt allerdings mit dem Auto nach Seddin.

Christoph M. Kluge

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