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Nazigeschichte in Wilhelmshorst: „Vater war ein Nazi“

Was hat den Vater getrieben, Nazi-Ideologie frenetisch zu verinnerlichen? In Wilhelmshorst erzählten Kinder von Nazi-Funktionären, wie das Handeln ihrer Eltern ihr Aufwachsen beeinflusst hat.

Wilhelmshorst - Was hat meinen Vater getrieben, die Nazi-Ideologie so frenetisch zu verinnerlichen? Diese Frage hat Ekkehard Schröder nie losgelassen. Der 73-Jährige kennt seinen Vater nur von Fotos und vom Hörensagen. Denn als Erich Schröder, der Wilhelmshorster NSDAP-Ortsgruppenleiter, nach Kriegsende abgeholt wurde, war Ekkehard ein Jahr alt und seine Schwester gerade einmal zwei Tage auf der Welt. Der Vater gilt seither als vermisst.

„Vater war ein Nazi“, so der Titel der Veranstaltung, zu der der Verein Ortsgeschichte Wilhelmshorst am Samstag ins Gemeindezentrum geladen hatten. Die Söhne dreier ehemaliger NSDAP-Funktionäre aus dem Ort stellten sich den Fragen der Historiker Juliane Brauer und Rainer Paetau. „Schuld ist nicht vererbbar“, sagte Paetau zu Gesprächsbeginn, in dessen Verlauf aber deutlich wurde, dass die Schuld der Väter eine große, wenn auch unsichtbare Erblast für die Kinder sein kann.

1958 wurde der Vater für tot erklärt

Die Mutter, so Ekkehard Schröder, sei in den Nachkriegsjahren in ein „endloses Trauerhaus verfallen“. Beim Mittagessen habe es ein Ritual gegeben, bei dem die Kinder auf ihren Tellern stets etwas übrig ließen, falls der „arme Papa Erich“ käme. 1958 wurde er für tot erklärt. Dass der Vater in einem Propagandablatt ein Jahrzehnt zuvor Juden als Ungeziefer bezeichnet hatte, das es auszurotten galt, erfuhr der Sohn erst spät. „Unfassbar“ findet er diese Hinwendung des Vaters zur radikalen Ideologie. Aber da sind auch die Bilder des Kunst- und Tiermalers Erich Schröder, dessen Arbeiten von Biologen und Wissenschaftlern geschätzt wurden. Wie konnte ein Mann, der so sensibel Tiere porträtierte und das Wesen einer Landschaft erfasste, so erbarmungslos auf jüdische Mitbürger und Andersdenkende reagieren? Diesen Zwiespalt gibt es auch in Wilhelmshorst, seit im Jahre 2000 eine Ausstellung mit Werken des Malers Schröder im Gemeindezentrum zu sehen war.

Verwandter bedauerte die Kinder

Seinen Vater befragen konnte auch Ingo Allwardt nicht mehr. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Michendorf, Adolf Allwardt, war 1944 in Russland gefallen. Einmal habe ein Verwandter ihn und die Geschwister bedauert: „Ihr müsst die Suppe auslöffeln, die euch euer Vater eingebrockt hat“. Angefeindet worden seien sie nach dem Krieg jedoch nicht, ein großer Teil der Michendorfer sei nationalsozialistisch eingestellt gewesen.

Trutz Kaysser war bereits eingeschult, als sein Vater Oskar Kaysser 1946 abgeholt wurde. Der war Beamter in Goebbels Propagandaministerium und rhetorisch talentiert. Als Reichsredner sei er durchs Land gezogen, berichtete der Sohn. Die Mutter habe sich in der NS-Frauenschaft engagiert, der Vater sei später im Volkssturm gewesen. Ein Onkel, der heimlich BBC hörte, habe dem Vater von der Lage berichtet. „Da ahnten die Erwachsenen im letzten Kriegsjahr, was auf sie zukommt“.

Kein Hausverkauf an den Sohn eines Nazis

Bis 1949 sei er in der Schule keinen Repressalien ausgesetzt gewesen, erzählte Kaysser. Doch viele Jahre später, er war bereits Arzt und wollte ein Haus kaufen, teilte ihm die zuständige Genehmigungsbehörde mit: „An den Sohn eines führenden Nazis verkaufen wir kein Haus!“.

Der Vater, 1950 aus dem Internierungslager entlassen, sei zwei Jahre später nach Frankfurt am Main geflüchtet, die Eltern hatten sich scheiden lassen und der Vater heiratete im Westen eine andere Frau. Der Sohn ging mit und ihm fiel schnell auf, dass die NS-Zeit dort ganz anders bewertet wurde. Während er in der DDR im Unterricht Filme über Buchenwald und die Gräueltaten der Nazis sah, war das in der Schule im Rheinland kein Thema.

„Dort war der Bürgermeister von vor 1945 auch noch nach 1945 im Amt“. Wenn sich die alten Kameraden trafen, hörte er oft Sätze wie: „Wenn ich damals mit dem Führer...“. Einmal sei ihnen in Königswinter ein früherer Bekannter des Vaters auf einer Straße begegnet und habe ihm einen Posten in einem Ministerium angeboten. Tenor im Westen sei gewesen: Alles vergessen, jetzt wird aufgebaut!

In der DDR habe man versäumt über Rassismus und Antisemitismus zu reden

Im Gegensatz zu dieser Wohlstandsorientierung habe die in der DDR verordnete Ideologie gelautet: Nazis gibt es nur in der BRD! Dabei habe man versäumt, über den noch immer latenten Rassismus und Antisemitismus zu reden. Doch auch mit dem Vater habe er nicht über dessen NS-Zeit reden können, sagte Trutz Kaysser. „Er hat einfach abgeblockt und geschwiegen“. Zwei Jahre später zog der Sohn zurück zur Mutter nach Potsdam.

Das Bild des Vaters hatte Risse bekommen, auch wenn Trutz Kaysser das am Samstagabend nicht so deutlich aussprach. Erinnerungsarbeit kann quälen und die Frage, wie sie sich an seiner Stelle verhalten hätten, begleitete all drei Söhne ein Leben lang. Aber es half auch, die dunklen Schatten auszuhalten. „Wir dürfen andere nicht vorschnell verurteilen, nur weil sie anders aussehen oder anderen Glaubens sind“, plädierte Trutz Kaysser am Schluss für mehr Toleranz in der Gesellschaft.

Kirsten Graulich

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