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Muttermilch: „Ersatzmilch ist ein Kompromiss“

Skadi Springer von der Nationalen Stillkommission über Irrtümer zur Muttermilch an Kitas, die Risiken von Ersatzprodukten und ein Merkblatt, das die Stillkommission zu dem Thema erarbeitet hat

Vor einem Jahr hat die Gemeinde Schwielowsee verboten, Säuglinge in den kommunalen Kitas mit Muttermilch zu füttern. Man war der Meinung, dass Ersatzprodukte einfacher und hygienischer zu handhaben sind. Als Mitglied der Deutschen Stillkommission und Kinderärtztin hatten Sie das bei einem Besuch der Gemeindevertretung für unsinnig erklärt und klare Richtlinien für alle Beteiligten angekündigt. Wie ist der Stand der Dinge?

Wir haben das Thema in der Stillkommission erschrocken aufgegriffen. Vor dem Streit in Schwielowsee waren wir uns der Problematik nicht bewusst. Für uns war selbstverständlich, dass Muttermilch für Kinder das allerwichtigste Nahrungsmittel im ersten Lebensjahr ist und bei Trennung von Mutter und Kind auch eine andere Person abgepumpte oder gewonnene Muttermilch füttern soll und kann. Nach dem öffentlich gewordenen Fall wurde uns bewusst, dass das auch an anderen Kitas ein heißes Thema ist. Die Stillkommission hat deshalb Merkblätter erarbeitet, einmal für die Mütter und einmal für die Betreuer. Diese Merkblätter werden demnächst veröffentlicht und dann bundeseinheitlich empfohlen.

Was steht da denn drin?

Es gibt einmal hygienische Hinweise zum Abpumpen und Abfüllen in die Fläschchen, zur Kennzeichnung der Fläschchen mit Name, Datum und Uhrzeit des Abpumpens. Dann gibt es Hinweise zur Kühlung, die Milch soll auch gekühlt transportiert werden in einer Kühltasche mit Kühlakkus. Dann muss sie in der Krippe im Kühlschrank bei einer Temperatur von fünf Grad und weniger gelagert werden. Da reichen ganz normale Kühlschränke. Es braucht überhaupt keine Extraausstattung, wie das in Schwielowsee überlegt worden war. Wichtig ist die saubere Gewinnung, der saubere Transport, eine durchgehende Kühlkette und die Verwendung der Milch in der Kita bis zum Abend desselben Tages.

Handlungsempfehlungen der Stillkommission gibt es bereits für Muttermilch an Kinderkliniken. Was ist der Unterschied? 

Ja, Handlungsempfehlungen für kranke Kinder in Kliniken existieren seit vielen Jahren, für Frühgeborene oder kranke Neugeborene zum Beispiel. Jetzt brauchten wir eine Handlungsempfehlung für das Personal an Kindereinrichtungen oder in der Kindertagespflege und für die Mütter. Es liegt ja auf der Hand, dass das andere sein müssen. Wir können von gesunden und reifen Säuglingen ausgehen. Und da sind praktikablere Lösungen ausreichend.

Die Nationale Stillkommission hat fast 20 Mitglieder, alles ausgewiesene Experten in der Geburts- und Neugeborenenmedizin. Sie hatten die Merkblätter vorbereitet, waren sich gleich alle einig?

Wir waren uns sehr einig, dass das Thema dringend zu bearbeiten ist und auch im Inhalt der Merkblätter. Damit das alles Hand und Fuß hat und in der gesamten Bundesrepublik Akzeptanz findet, mussten noch verschiedene Experten, vor allem die Hygienekommission des Bundesinstituts für Risikobewertung, konsultiert werden. Die Empfehlung wurde von den Hygienikern aus mikrobiologischer Sicht bestätigt. Auch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wurde hinzugezogen, da liegen die Merkblätter zurzeit. Wir rechnen demnächst mit der Zustimmung und ich gehe fest davon aus, dass wir noch Anfang des Jahres alles veröffentlichen können.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hatte zu dem Thema ja auch ein Merkblatt herausgegeben. Es wurden dem Kitapersonal zum Beispiel Einmalhandschuhe und Mundschutz angeraten und vor Haftungsrisiken gewarnt. Das war einer der Gründe für die Bedenken der Kitas bei diesem Thema. Wie hat sich die DGE im aktuellen Prozess dazu verhalten?

Sie wurde vom Bundesinstitut für Risikobewertung beteiligt. Von hygienischer Seite hat die Hygienekommission dann unserer Version zugestimmt. Die ist nicht mehr das, was die DGE damals herausgegeben hat: Keine Handschuhe, keine extra Kühlschränke und keine Temperaturkontrolle der angelieferten Milch, das ist alles raus. Was auf dem Tisch liegt, ist aus kinderärztlicher Sicht eine ganz pragmatische Lösung, mit der alle gut leben können.

Sind die Kitas auch rechtlich auf der sicheren Seite, wenn Sie sich künftig an die neuen Merkblätter der Stillkommission halten?

Das sind sie. Das ist ja das Ziel: fundierte Empfehlungen, die von allen wichtigen Fachgremien befürwortet worden sind im Gegensatz zu den bisherigen Veröffentlichungen, die nicht mit allen abgestimmt waren, die auf diesem Gebiet Bescheid wissen.

In Schwielowsee war man der Meinung, dass Mutterersatzmilch sicherer ist, und so dachten auch viele andere Kitas. Es gab wohl auch das Gefühl, mit künstlicher Nahrung die Kühl- und Hygieneketten besser im Griff zu behalten.

Das ist der Rückzug auf eine vermeintlich sichere Seite, weil man von der anderen, primären Variante zu wenig weiß. Wie der Name schon sagt: Ersatzmilch ist ein Kompromiss, wenn Muttermilch nicht zur Verfügung steht. Die Wissenschaft hat Kuhmilchmischungen entwickelt, die für das Kind verträglich sind. Aber sie werden niemals die Qualität von Muttermilch erreichen, allein schon was die immunologischen Bestandteile angeht. Muttermilch ist die erste Wahl und auch sicherer als die Verfütterung von Formulanahrung. Das Pulver, das die Industrie liefert, ist zu einem nicht zu unterschätzenden Prozentsatz mit Keimen kontaminiert. Es ist nicht steril. Bei der Herstellung des Pulvers können Erreger einwandern, an denen Kinder schwer erkranken können. Das steht natürlich nicht auf der Verpackung.

Kann man sagen, das Risiko, dass eine Mutter Fehler macht, ist genauso groß wie dass das Pulver verseucht ist?

Ich würde das Risiko als viel geringer einschätzen. Denn die Muttermilch hat antibakterielle Eigenschaften und kann selbst das Keimwachstum hemmen. Wenn da im Umgang ein paar Hautkeime hineingelangen, ist das überhaupt kein Problem, weil die frische Muttermilch Antikörper enthält, die es bei einer Formulanahrung nicht gibt. Wenn es dort Verunreinigungen gibt, breiten sie sich rasant aus.

Viele Kitas haben das dennoch bislang genauso gesehen wie die Gemeinde Schwielowsee. Meinen Sie, dass Sie die Stimmung drehen können?

Ja, und zwar über die Mütter, über die Hebammen und medizinisch-fachliches Personal, die die Mütter alle bestärken in ihrem Wunsch, die Kinder weiter mit Muttermilch zu versorgen, auch wenn sie von ihnen getrennt sind. Wenn das Merkblatt veröffentlicht ist, geht es über die Berufsverbände an alle Berufsgruppen, die mit Stillenden zu tun haben: die Hebammen, die Kinderärzte, die Frauenärzte, die Arzthelferinnen und so weiter. Es wird viele Fachleute geben, die das Merkblatt kennen und den Müttern Mut machen werden, damit an ihre Einrichtungen zu gehen. Die Empfehlungen werden auch im Internet auf der Homepage der Stillkommission zu finden sein und von dort aus hoffentlich schnell Verbreitung finden.

Das Interview führte Henry Klix

Die Leipziger Kinderärztin Skadi Springer ist Spezialistin für Neugeborenenmedizin, langjährige Leiterin der Leipziger Frauenmilchbank und seit 1994 Mitglied der Nationalen Stillkommission.

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