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Potsdam-Mittelmark: Letzte Chance für die vergessenen Lichtspiele

Eines der wichtigsten historischen Häuser in der Beelitzer Altstadt soll vor dem Verfall gerettet werden

Von Eva Schmid

Beelitz – Früher gab es rund 330 Plätze, heute steht nur noch ein Stuhl mitten im großen Kinosaal von Beelitz. Früher, das war vor fast 100 Jahren – zur Blütezeit des Zentrallichtspieltheaters im ehemaligen Deutschen Haus in Beelitz. Ein dicker roter Samtvorhang erinnert an den Glanz vergangener Zeiten. Steif vor Staub und Dreck ist er seit Jahrzehnten nicht mehr aufgezogen worden. Von den Wänden bröckelt der Stuck. Die Decke in dem großen Kinosaal an der Berliner Straße ist teilweise eingestürzt. Nur vier Holztürme bewahren die Konstruktion vor dem Einsturz.

Jedes Mal wenn Jürgen Stoye in dem historischen Saal steht, kommt er ins Schwärmen. „Der Raum ist traumhaft von seinen Proportionen, hier kommt viel Licht rein und der Stuck ist zum Teil auch noch gut zu erkennen.“ Zusammen mit Architekt Jürgen Götz besichtigt er das Haus, das fast schon einer Ruine gleicht. Stoye ist der neue Investor des Deutschen Hauses und will einem der letzten großen Schandflecke in der Beelitzer Innenstadt zu neuem Glanz verhelfen. Der alte Kinosaal und die Gaststätte der Familie Lintow sollen wiederhergestellt und saniert werden. Kino wird es dort aber nicht mehr geben, kündigt Stoye an. Derzeit sucht der aus Berlin stammende Investor nach einem Architekten aus der Region, mit dem er seine Vision umsetzen kann. Mit Rettung von heruntergekommenen Bauten kennt Stoye sich aus: Er hat wie berichtet in Michendorf unter anderem das Volkshaus und den Vierseitenhof in Wildenbruch, in dem er selbst lebt, restauriert. Sein Vorhaben ist ambitioniert: „Das Deutsche Haus ist noch stärker heruntergekommen als das Michendorfer Volkshaus es je gewesen ist“, sagt Stoye.

Am liebsten würde er gleich loslegen – je mehr Zeit verstreicht, umso mehr zerfällt das Einzeldenkmal in der Berliner Straße. Stoye muss derzeit noch den Kaufvertrag aushandeln. Seit Jahren hat er das Haus im Auge. Lange hatte er mit der damaligen Besitzerin verhandelt. Bis sie ihm kurzerhand und überraschend absagte. Erst vor wenigen Wochen sei Bürgermeister Bernhard Knuth auf ihn zugekommen und habe ihn gefragt, ob er die Sanierung übernehmen wolle, erzählt Stoye.

Ambitioniert wie der neue Investor waren auch die ehemaligen Gasthausbesitzer Anna und Rudolf Lintow: Bereits 1911 entschlossen sie sich, den Saal als Kino zu nutzen, erzählt der Beelitzer Stadthistoriker Manfred Fließ. Der erste Stummfilm wurde im Januar 1912 gezeigt. „Das ist unglaublich früh im Vergleich zu anderen Lichtspielhäusern in Potsdam-Mittelmark“, so Fließ. Auch der Saal war für seine Zeit sehr modern: „Es gab dort einen extra Vorführraum“, weiß Filmhistoriker Ralf Forster vom Potsdamer Filmmuseum. Normalerweise wurde die Filmapparatur für Kinoabende aufgebaut und stand im Saal. Da der Nitrofilm schnell brannte, war ein separater Vorführräume ein guter Schutz. „Der Saal war übrigens, wie damals im ländlichen Raum üblich, ein Multifunktionssaal“, so Forster. Ob Kino, Tanz oder Theater – das Publikum wollte unterhalten werden.

In den 20er- und 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts galt Beelitz auch mit seinem etwas später eröffneten und kleinen Venus-Lichtspielen als Filmhochburg. Jürgen Stoye hat noch die Kopie des Plakates, auf dem der ehemalige Besitzer Lintow sein erstes Filmprogramm ankündigt: „ Es wird mein Bestreben sein, stets vom Guten das Beste, was die Filmindustrie hervorbringt, aufführen zu lassen“. Gezeigt wurden zehn Titel, alles Dramen und Komödien. Die Vorstellung kostete 15 Pfennig.

Essen und Trinken im Kino war früher üblich: Ein geschlossener Rollladen trennt heute noch den Saal vom Gasthaus. „Das muss der Ausschank gewesen sein“, schätzt Stoye. In der ehemaligen Gaststätte hinter dem Saal steht noch ein heruntergekommener Tresen. „Bis in die 70-er hat dort Sieglinde Brüning, die Enkelin der Lintows eine Wirtschaft betrieben“, sagt Stadthistoriker Manfred Fließ. Gleich daneben war ein kleiner Laden, in dem Zigarren verkauft wurden. „Und im oberen Stockwerk war eine Pension, in der vor dem Krieg internationale Gäste weilten, danach die Sowjets“, erzählt Fließ. In den einstigen Pensionszimmern, stehen noch immer Bettgestelle, Schränke und Jugendstil-Öfen. Auch die Badewanne und das gute Silbergeschirr sind noch vorhanden. Von den Wänden hängt die Tapete herunter. „Frau Brüning hat einfach alles so belassen wie es einmal war und hat es damit geschafft, dass bis zu ihrem Tod nichts abgerissen und neu gebaut wurde“, so der Historiker.

Vorsichtig läuft Stoye mit dem Architekten durch das Gebäude. Mit einer Taschenlampe leuchtet er den Weg. Jeder Schritt will in dem maroden Bau bedacht sein. Spinnenweben hängen von der Decke, es raschelt und knarzt. Immer wieder klafft ein riesiges Loch im Boden oder der Decke auf. Dass das Haus saniert werden kann, ist für Stoye sicher. Wie viel vom alten Bestand stehen bleiben wird, ist indes ungewiss. „Dafür muss man erst eine ausführliche Erfassung machen“, so Architekt Götze.

Aus den ehemaligen Pensionszimmern und dem angrenzenden Seitentrakt will Stoye Wohnungen machen. Er will nicht nur sanieren und erhalten, sondern auch energieeffizient bauen. Trotz Visionen ist er bei seiner Besichtigung durch das Deutsche Haus erschüttert: „Es tut wirklich weh zu sehen, dass das Haus so heruntergekommen ist.“ Der Verfall muss bereits in den 70er-Jahren begonnen haben, schätzt der Architekt. Und wenn in den nächsten drei Jahren hier nichts geschehen würde, „dann lohnt sich eine Sanierung gar nicht mehr“. Investor Stoye ist wohl gerade noch rechtzeitig gekommen.

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