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Basteln an Lebensmitteln. Wie dick- oder dünnflüssig muss Marmelade sein, um vielen Kunden zu gefallen. Versuche dazu gibt es im Labor der Herbafood. An einer eigenen Eismaschine probieren Lebensmitteltechnologen, wie Fasern von Zitrone oder Apfel die Eiscreme langsamer schmelzen lassen.

© Andreas Klaer

Lebensmitteltechnologie aus Werder: Bis auf die letzte Faser

Wo aus Äpfeln und Zitronen alles rausgeholt wird: Ein Besuch bei den Lebensmitteltechnologen der Werderaner Herbafood.

Von Eva Schmid

Werder (Havel) - Sie stecken in Eis, Schinken, Bier und Keksen: Die Reste von ausgepressten Äpfeln und Zitronen. Deren Fasern werden in Werder (Havel) weiterverarbeitet und von Lebensmitteltechnologen in allerlei Essbares hineingemischt. Das Ergebnis: Das Eis aus dem Kühlschrank schmilzt cremiger auf der Zunge, der Keks enthält mehr Ballaststoffe, der Schinken wird saftiger, das Bier schmeckt fruchtiger.

In der alten Werderaner Pektinfabrik werden heute Industrielösungen für Lebensmittel hergestellt. Kurz nach der Wende hat der Lebensmittelkonzern Herbstreith & Fox das Werk übernommen und die zur Unternehmensgruppe zählende Herbafood Ingredients GmbH dort platziert. Sie sind Experten für Äpfel und Zitronen, wobei der Apfel in Werder mittlerweile gar nicht mehr vorkommt. „Wir konzentrieren uns heute auf die Zitrone“, sagt Herbafood-Prokurist und Lebensmitteltechnologe David Gebhardt. Der Markt habe sich verändert, die Zitrone sei wichtiger geworden. Die Äpfel würden im zweiten Werk der Herbafood in Neuenbürg, südlich von Karlsruhe, bearbeitet.

Gebhardt hält im Labor ein weißes Pulver hoch. Es sind Fasern, die aus getrocknetem Zitrustrester gewonnen wurden. In einem aufwendigen mechanischen Prozess wird auf dem Werksgelände in Werder der Trester weiterverarbeitet. Ein Recyclingkreislauf, bei dem am Ende alles von der Zitrone genutzt wird, um industriell hergestellten Lebensmitteln zu mehr Glanz zu verhelfen.

„Angefangen hat das Geschäft mit den Fasern in den 70er-Jahren“, erzählt der Prokurist. Da war ballaststoffreiches Essen im Trend, auch weil viele Menschen zu wenige Ballaststoffe damals zu sich nahmen. Herbafood hat zu seiner Gründung 1980 vor allem Hersteller für Nahrungsmittelergänzungen beliefert. „Heute geht es um Themen wie Fett-, Zucker- und Salzreduktion.“

Aber was haben Zitronen- oder Apfelfasern in fett- und zuckerarmen Joghurt zu suchen? „Fasern haben die Möglichkeit Wasser zu binden“, erklärt Gebhardt. So ist der Joghurt, dem das Fett entzogen wurde, nicht wässrig. Er bleibt cremig. Außerdem würden in den Fasern verschiedene Ballaststoffe stecken, die ein „gutes Mundgefühl suggerieren“. „Nehmen sie mal den Zucker aus einem Lebensmittel weg, da fehlt sofort der Körper“, sagt Gebhardt. Werden die Zitrusfasern mit natürlichem Süßungsmitteln wie Stevia angereichert, bringe das mehr Geschmack und lasse den Zuckerwert dennoch sinken.

Wenn Lebensmittelhersteller auf Apfel- oder Zitrusextrakt setzen, dann würden die Verbraucher beim Blick auf die Zutatenliste nicht ins Stutzen kommen. „Es sind natürliche Zutaten“, sagt Prokurist Gebhardt. Pektin, das kenne jeder. Das sei positiv assoziiert. In der Lebensmittelbranche spricht man von „Clean Label“, einer Zutatenliste, die Vertrauen beim Käufer wecken soll – besonders in Zeiten kritischer Konsumenten. Der Umgang mit industriellem Essen ist nach vielen Skandalen nicht umsonst so sorglos wie einst.

Die Fasern aus Werder übrigens stecken in so einigen, sehr bekannten Lebensmitteln. Der Konzern beliefert unter anderem Nestlé, Bahlsen oder die Brauereigruppe zu der Becks gehört. Die Kundenanfragen kommen aus der ganzen Welt. Skandinavische Firmen zum Beispiel würden ihre glutenfreien Lebensmittel mit dem Extrakt, der beim Oxidieren eines Apfels entsteht, bräunlich färben. Für philippinische Kunden hat Herbafood ein Eis mitentwickelt, dass nachdem Öffnen der Verpackung nicht sofort wegschmilzt. Der Großteil der Herbafood-Fasern landet indes in Fleisch- und Wurstwaren. Den Jahresumsatz des Unternehmens will Gebhardt nicht öffentlich machen, aus Angst vor Konkurrenten. Klar ist aber, dass das Unternehmen mit seinen 50 Mitarbeitern am Standort in Werder die Ernährungswirtschaft der Havelstadt aufblühen lässt.

Und die Lebensmitteltechnologen setzen dem traditionellen Obstbau etwas entgegen: Zum heutigen Start der Grünen Woche stehen beide nebeneinander auf der weltweit größten Ernährungsmesse und präsentieren sich dem Publikum. Die einen mit Obstwein und Tannenhonig, die anderen mit Hilfsmitteln, um eine Sauce Hollandaise kompakt zu halten. Zwei Welten, doch Experten in Sachen Obst sind alle beide – jeder auf seine eigene Art und Weise.

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