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Leben in der Anstalt: Was Zeitzeugen in den Beelitzer Heilstätten erlebten

Die frühere Lungenheilklinik in Beelitz-Heilstätten beschäftigte einst bis zu 500 Menschen. Über die Arbeit, das Leben dort und die russischen Kollegen erzählen Zeitzeugen von damals.

Von Eva Schmid

Beelitz - Er wollte nicht in die LPG eintreten, hatte keine Lust auf Subbotniks und Politik. Der Landarbeiter Emil Neye heuerte bei den Russen an, als Heizer in der ehemaligen Lungenheilklinik in Beelitz-Heilstätten. Damals wurden kräftige Männer gesucht, zum Entladen der rußigen Kohlewaggons. 17 Jahre alt musste man sein, das schrieb das Jugendschutzgesetz vor. Neye war 16 und machte sich bei seiner Bewerbung einfach älter – nur, um seine Ruhe zu haben. Vielleicht nicht die schlechteste Idee: Denn wer auf dem Gelände des alten Sanatoriums einst arbeitete, der fand hier durchaus Komfort. Es gab ein Schwimmbad, eine Kegelbahn, ein Kasino und ein gut bestücktes Russenmagazin, so hieß der einstige Lebensmittelladen auf dem Gelände. Im Russenmagazin gab es exotische Früchte und Kamtschatkakrabben. Die soll Stalin ja angeblich vor Murmansk, in der Nähe zur norwegischen Grenze hat ansiedeln lassen, um seine Armee zu verpflegen.

Es sind Geschichten von Zeitzeugen, Innenansichten von Angestellten, die über das einstige Anstaltsleben berichten. Am Mittwoch wurden sie vom Beelitzer Förderverein Heizkraftwerk vorgestellt. Der Verein hat die Zeitdokumente in einem kleinen Büchlein zusammengefasst. Es enthält Kurzgeschichten von Beelitzer Kindern, die mit Russenkindern die Kohleberge herunterrutschten, die Abzeichen mit den Sowjets austauschten. Es sind Geschichten von Beelitzern, die von den „Freunden“, wie die Streitkräfte genannt wurden, gerne mal für einen Gefallen einen Stockfisch zum Dank vor die Haustüre gelegt bekommen haben. „An Silvester kamen sie auch, und wollten eine Uhr gegen Wodka tauschen“, erinnert sich Elke Seidel, die einst in den Heilstätten als Ärztin arbeitete und heute mit anderen Ehrenamtlichen eines der wenigen, gut erhaltenen Denkmäler auf dem Gelände – das alte Heizkraftwerk – pflegt. In dem Buch geht es neben der täglichen Arbeit auch um die enge Beziehung zwischen russischen und deutschen Kollegen, wo doch offiziell nicht gewünscht war, dass man sich außerhalb der Arbeit traf. Wahrscheinlich auch deshalb, weil die sowjetische Verwaltung viel schlechter bezahlte, deren Angestellte viel ärmlicher leben mussten.

Die Heilstätten hatten nicht nur ihren Patienten einiges zu bieten

Dabei klingen die Erzählungen von einst alles andere als ärmlich: Die ehemalige Lungenheilanstalt, in der über 100 Jahre Menschen kuriert wurden, hatte nicht nur für ihre Patienten einiges zu bieten. Das ganze System war darauf ausgerichtet, autark zu funktionieren. Im Heizkraftwerk wurde Strom und Wärme erzeugt. Es gab eine eigene Schule, eine Kirche, eine Gärtnerei, Fleischerei und Bäckerei.

Mithilfe einer Eismaschine sorgten Wassermänner, so nannte sich der Beruf damals, dafür, dass Eis produziert wurde. Mit den kalten Blöcken wurden die Lebensmittel frisch gehalten – Kühlschränke gab es damals noch nicht. Die Kranken sollten nicht nur durch Medikamente, gute Luft und Ruhe genesen. Auch gutes Essen war wichtig.

Auch Hitler und Honecker waren in den Heilstätten

Zu den wohl prominentesten Patienten gehören Adolf Hitler, der wegen eines Granatsplitters im Oberschenkel 1916 nach Beelitz kam, und Erich Honecker: Er suchte 1990 für kurze Zeit Zuflucht bei der sowjetischen Armee. War die Anstalt zunächst ein Sanatorium für Tuberkulosekranke, wurde sie im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Lazarett genutzt. Die Nazis und auch die Sowjetarmee ließen ihre Soldaten hier behandeln. Bis Mitte der 1990er-Jahre wurden neben Soldaten und deren Angehörigen auch russische Diplomaten, die in ganz Westeuropa arbeiteten, nach Beelitz eingeflogen.

Herausgegraben hat die Geschichten der Förderverein Heizkraftwerk. Eine ABM-Kraft, die der Verein zur Wendezeit angestellt hatte, sollte das Zeitzeugenprojekt angehen und fertigstellen. Das hat der Journalist Heerke Hummel aus Werder (Havel) auch gemacht, 1999 waren alle seine Texte fertig geschrieben, verschwanden aber daraufhin in der Schublade. Erst zum 20-jährigen Bestehen des Vereins fiel einem der Mitglieder wieder ein, „dass es da noch so Papiere gibt“, erzählt Elke Seidel am Mittwoch bei der Buchvorstellung. Drei Monate später war das mittlerweile 17 Jahre alte Projekt endlich fertig.

Darin erzählt der Heizer Neye nicht nur, wieso er bei den Russen anheuerte, sondern auch, dass auf dem Gelände alles blitzte und blinkte. „An und in allen Gebäuden herrschte peinlichste Sauberkeit“, schreibt Neye. Eine ehemalige Köchin wiederum kritisierte, dass von ihrem doch sehr schmalen Lohn auch noch ein Verpflegungsgeld abgezogen wurde. Immer wieder wurde wohl von Wurst und Brot oder dem leckeren Essen für die Patienten genascht. Daher durften die Angestellten auf dem Gelände so viel essen wie sie wollten – kontrollieren konnte man das bei zeitweise bis zu 500 Angestellten sowieso nicht. Wer Essen herausschmuggelte, dem drohten Strafen. Besser man kaufte im Russenmagazin, da gab es mehr als einfache Brot und Wurst.

Der Förderverein gibt bei einer Führung am Freitag, der letzten in diesem Jahr, weitere Infos zum Leben in der Anstalt. Treffpunkt ist um 14 Uhr im Innenhof des Heizkraftwerkes

Heerke Hummel: Beelitz-Heilstätten. In den Augen von Zeitzeugen. 58 Seiten, 5,50 Euro, erhältlich in der Beelitzer Tourist-Info und dem Uhrengeschäft Hartwig Frankenhäuser, Poststraße 13

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