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Spargel-Drive-In. Vom Stand direkt ins Auto verkaufen Mitarbeiter des Spargelhofs Buschmann und Winkelmann das  Edelgemüse. 

© Andreas Klaer

Landwirtschaft in Coronazeiten: 20 Prozent Umsatz fehlen

Die Landwirtschaft leidet unter den geschlossenen Restaurants – und unter den harten Auflagen für Erntehelfer.

Von Enrico Bellin

Potsdam-Mittelmark - Ab dieser Woche wird es die ersten Erdbeeren aus der Region zu kaufen geben, genügend Erntehelfer dafür stehen bereit. Auf den Spargelfeldern allerdings fehlen nach wie vor ausländische Helfer. Und der ausbleibende Verkauf an Restaurants und Caterer trifft alle Erzeuger hart: Rund 20 Prozent des Umsatzes fehlen sowohl den Spargelbauern als auch der Schoonhoven-Gruppe mit ihren rund 1000 Mitarbeitern. So kann man die derzeitige Situation in der Landwirtschaft der Region nach PNN-Recherchen zusammenfassen.

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„Wir werden in der nächsten Woche mit der Erdbeerernte aus dem geschützten Anbau beginnen, die Früchte reifen jetzt“, sagt Ernst-August Winkelmann vom Klaistower Spargelhof. Auf 15 Hektar baut er Erdbeeren an, vier davon sind mit Folien und Fließen geschützt, sodass die Früchte früher reifen. Genügend Erntehelfer für die im Vergleich zum Spargelanbau kleineren Flächen sind da. Über Preise habe er sich noch keine Gedanken gemacht, sagt Winkelmann.

Deutlich weniger Umsatz

Denn derzeit gibt es einfach zu viel anderes zu erledigen. Die wirtschaftliche Situation sei ernst, aber noch nicht existenzbedrohend, sagt Geschäftsführer Winkelmann. „Wie sich die Lage für unseren Betrieb in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt, kann ich aber noch nicht einschätzen.“ Das Hofrestaurant ist geschlossen. Zwar können Kunden fertige Essen abholen, an schönen Sonntagen kämen bis zu 1000 Gäste dafür, sagt Winkelmann. Doch insgesamt habe er trotzdem deutlich weniger Umsatz als mit geöffnetem Restaurant.

Auch essen zum Mitnehmen wird in Klaistow am Drive-In  verkauft.
Auch essen zum Mitnehmen wird in Klaistow am Drive-In  verkauft.

© Soeren Stache/dpa

Da sowohl Erntehelfer als auch der Gastronomieabsatz wegen der Corona-Restriktionen fehlen, werden in Beelitz 20 bis 30 Prozent weniger Spargel geerntet als im Vorjahr. Das bestätigen sowohl Winkelmann als auch Spargelbauer Jürgen Jakobs, der zudem Vorsitzender des Spargelvereins ist. Auf Winkelmanns Feldern arbeiten derzeit 600 Erntehelfer, knapp drei Viertel davon stammen aus Rumänien und Polen.

Wie berichtet hatte allein Winkelmann Hunderte Bewerbungen von Menschen, die arbeitslos oder in Kurzarbeit sind. Etwa 200 Deutsche arbeiten nun bei ihm auf den Feldern oder im Verkauf. Bisher habe er damit gute Erfahrungen gemacht, nur äußerst selten habe jemand die schwere Feldarbeit aufgegeben. Allerdings schafften diese Freiwilligen bei Weitem nicht die Erntemenge, die ein geübter Spargelstecher vom Feld holt. Eine eigene Abteilung wurde gegründet, um die Bewerber in den Betriebsablauf zu integrieren. Sie dürfen aus Quarantänegründen nicht mit den ausländischen Erntehelfern in Kontakt kommen. Und die Welle der Bewerber von Ende März sei noch immer nicht abgearbeitet. In dieser Woche beginne auch die Ernte von grünem Spargel, dafür würden noch einmal rund 50 Bewerber angeschrieben.

Jürgen Jakobs, Chef vom Spargelhof Jakobs und Vorsitzender des Spargelvereins.
Jürgen Jakobs, Chef vom Spargelhof Jakobs und Vorsitzender des Spargelvereins.

© Patrick Pleul/dpa

Insgesamt sind Jürgen Jakobs zufolge bei allen Höfen in Beelitz höchstens drei Viertel der Erntehelfer da. Der Verkauf an den Ständen und an den Einzelhandel laufe gut, könne die weggebrochenen Umsätze der Gastronomie aber bei Weitem nicht aufwiegen. Mitarbeiter, die zuvor im Restaurant gearbeitet haben, verkauften das Gemüse derzeit an Ständen. Auch viele Studenten seien dabei im Einsatz. Zwischen sieben und zwölf Euro kostet das Kilogramm an den Ständen, wie auch in den Vorjahren. Die wirtschaftliche Situation der Spargelbauern sei von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. „Wir können ja noch froh sein, dass wir unter freiem Himmel arbeiten. Anderen Branchen geht es in der Coronakrise ja noch schlechter“, so Jakobs.

Ernten bislang in Quarantäne

Doch besonders in kleineren Betrieben, die über kein Verwaltungspersonal verfügen, ist die Lage derzeit schwierig, wie der Werderaner Obstbauer Frank Wache den PNN schildert. In drei Wochen beginnt seine Freilanderdbeerernte – die an sich gut zu werden verspricht, das Wetter der vergangenen Tage hat laut Wache mitgespielt. Mindestens fünf Helfer aus Polen benötigt er für die Ernte. Doch: Wenn sie nach Deutschland einreisen, müssen sie Wache bislang auch hier zwei Wochen in Quarantäne. Die verbringen sie auf dem Feld, wo sie abgetrennt von anderen Menschen arbeiten müssen. Sie dürfen sich nicht im öffentlichen Raum bewegen, Wache muss daher auch ihre Einkäufe erledigen. Und mehr Wohncontainer aufstellen, damit möglichst eine Einzelunterbringung sichergestellt wird. Allerdings gab es am Sonntag gute Nachrichten aus Polen, das Land wolle die 14-tätige Quarantäne bei der Rückkehr nach Polen zumindest bei Berufspendlern abschaffen.

Berufspendler aus Polen bei ihrer Rückkehr nicht mehr in Quarantäne müssen.
Berufspendler aus Polen bei ihrer Rückkehr nicht mehr in Quarantäne müssen.

© Sebastian Gabsch PNN

Ob er deshalb auch höhere Preise verlangen kann, steht für Wache noch nicht fest. Im Vorjahr zahlten die Kunden drei bis 3,50 Euro für 500 Gramm. Jetzt müsse man abwarten, was große Anbieter wie Karls Erdbeerhof aus Elstal machen. Der hatte zur Erleichterung der Werderaner Bauern in den vergangenen Jahren keinen Preiskampf eingeleitet.

Schon vor Jahren aus dem Erdbeeranbau zurückgezogen hat sich die Schoonhoven-Gruppe, die unter anderem um Glindow unter der Marke Havelfrucht große Apfelplantagen im Umfang von etwa 100 Hektar bewirtschaftet und auch Him- und Brombeeren anbaut. Die sind jedoch erst ab etwa Juni erntereif, die Ernte der kleinen Früchte ist sehr arbeitsintensiv. Man müsse noch abwarten, wie sich die Lage bei den Erntehelfern bis dahin entwickle, sagt Geschäftsführer Gerrit van Schoonhoven den PNN. Sein Unternehmenskomplex beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter, davon etwa 200 Erntehelfer. Wie berichtet gab es in Betriebsteilen nahe der polnischen Grenze Ende März Probleme, da die Mitarbeiter bislang wegen der geschlossenen Ländergrenze nicht mehr pendeln konnten. Für sie habe man zwischenzeitlich Wohnungen angemietet. Sie würden jetzt zwei bis drei Wochen durchweg arbeiten und dann ins polnische Zuhause fahren, wo sie bislang für zwei Wochen in Quarantäne müssen. In den Gewächshäusern in Grenznähe werden derzeit Gurken, Auberginen und Paprika geerntet. Auch die Tomatenernte beginnt in den nächsten Tagen. „Wir können die Produktion und die Ernte sichern“, so van Schoonhoven.

Umsatzverlust wegen geschlossener Gastro

Doch in einigen Betriebsteilen, die sich mit dem Service rund um die Belieferung der Gastronomie befassen, ist die Lage derzeit schwerer. Beschäftigte müssten Überstunden abbauen oder Urlaub nehmen. Denn auch bei Schoonhoven fehlen wegen der geschlossenen Restaurants 20 Prozent des Umsatzes, nur Einrichtungen wie Krankenhäuser werden durch den Gastronomieservice noch beliefert. Auch der Umsatz mit Obst und Gemüse im Einzelhandel, an den das Tochterunternehmen Fruchtexpress liefert und wo die Produkte etwa unter der bekannten Marke Werder Frucht vermarktet werden, sei der Umsatz im Vergleich zu den Vorjahren nicht gestiegen. Existenzbedrohend sei die Lage aber nicht. „Wir hoffen, durch Maßnahmen wie den Überstundenabbau fit für die Zeit nach Corona zu sein“, so van Schoonhoven.

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