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Lebensecht. Das frühere Flüchtlingsschiff „Al-hadj Djumaa“ soll, beladen mit lebensgroßen Skulpturen, auf das Schicksal von Geflüchteten aufmerksam machen.

© Ronny Budweth

Kunst in Potsdam: Fünf Stunden neben dem toten Onkel

Das frühere Flüchtlingsschiff „Al-hadj Djumaa“ machte am Wochenende in Potsdam Station – als Mahnmal für mehr Menschlichkeit.

Potsdam - Schon von Weitem sind sie zu sehen. Dicht gedrängt stehen die mannshohen Skulpturen auf dem Deck des kleinen Schiffs. Sogar auf dem Dach sind sie platziert: Männer, Frauen, alte und junge Menschen verschiedenster Ethnien, mit kahlem Kopf und in bunte, gemusterte Tücher gehüllt. Ihre traurigen, sehnsuchtsvollen manchmal auch müden Blicke sind vom Schiff abgewandt. Sie schauen in die Ferne, über das Wasser hin zu den Küstenstrichen die sie mit der gefährlichen Überfahrt erreichen wollen.

Das Schiff „Al-hadj Djumaa“ mit den 70 Kupferfiguren an Deck ist Teil des Projekts „Mit Sicherheit gut ankommen“ der Kinder- und Jugendhilfestiftung „Outlaw“. Seit zwei Monaten ist die „Al-hadj Djumaa“ auf deutschen Flüssen unterwegs, um auf das Thema Flucht und Migration aufmerksam zu machen. Am Wochenende machte das Schiff im Potsdamer Hafen Station. Begleitend dazu informierten Kooperationspartner wie „Terres des hommes“ oder die Flüchtlingsarbeit im Kirchenkreis Potsdam über ihre Projekte, machten Flüchtlinge und Migranten auf einer Bühne Musik oder erzählten von ihren Erlebnissen.

Von Ägypten zur italienischen Küste: Dramatische Tage auf dem Meer

Die Figuren, die symbolisch für die Situation der Flüchtlinge stehen, sind das Werk des dänischen Bildhauers und Künstlers Jens Galschiøt. Die verschiedenen Ethnien sollen zeigen, dass man aus den unterschiedlichsten Gründen zur Flucht getrieben und dieses Schicksal jeden betreffen kann und sich nicht nur auf arme Länder oder Kriegsgebiete beschränkt. Das Fischerboot „Al-hadj Djumaa“ ist nur knapp 14 Meter lang und vier Meter breit. Etwa zweieinhalb Tage war es im Sommer 2013 von Ägypten aus unterwegs zur italienischen Küste.

An Bord: 217 Eritreer und 65 Äthiopier. 282 Menschen auf einem Schiff, das normalerweise einer Crew von etwa sechs Personen Platz bietet. Am schlimmsten muss es unter Deck gewesen sein. Tief nach unten geht es durch die rund ein Quadratmeter große Luke. Der klitzekleine Raum, in dem man sich nur hockend oder sitzend aufhalten kann, ist vielleicht drei Meter breit. Mehr als 40 Frauen und Kinder kauerten in der engen Kammer. „Das war zu ihrem eigenen Schutz“, wie Felix Mennen, Skipper und „Outlaw“-Mitglied , erzählt. „Das war sicherer, damit sie nicht über Bord fallen konnten.“

„Die Erzählungen übersteigen die eigene Vorstellungskraft"

Die sanitären Bedingungen waren katastrophal. Da kaum Bewegungen möglich waren, mussten sich die Menschen dort erleichtern, wo sie standen, hockten oder saßen. „Die Erzählungen der Flüchtlinge übersteigen die eigene Vorstellungskraft“, sagt Mennen. „Einer hat mir erzählt, wie er fünf Stunden neben seinem toten Onkel stand. Die Leiche stand auch die ganze Zeit.“ Dennoch sei es ein „glückliches“ Schiff gewesen, sagt Mennen. Weil die Überfahrt schnell ging und das Schiff, im Gegensatz zu den billigen Schlauchbooten, mit denen die Flüchtlinge heute den Weg über das Mittelmeer suchen, sehr stabil gebaut ist. Alle Flüchtlinge sind nach Kenntnissen von Mennen wohlbehalten angekommen und leben heute in Deutschland, den Niederlanden oder Skandinavien.

Die nächste Station der „Al-hadj Djumaa“ ist Neuruppin, danach geht sie in Berlin vor Anker.

Sarah Stoffers

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