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KulTOUR: Wo die Wahrheit zuhause ist Kleine Bühne spielt Arsen und Spitzenhäubchen

Michendorf - Zwölf? Dreizehn?

Michendorf - Zwölf? Dreizehn? So ganz genau wissen es die guten alten Damen Abbey und Martha auch nicht mehr. Kein Problem, wäre nicht Neffe Jonathan dazwischengekommen, der es auch mit den „Zwölfen“ hielt. Wer also hat mehr? Diese Frage wird schließlich zu einem Wettstreit. Die Rede ist, ganz klar, von den berühmten Leichen im Keller, wie sie der deutschstämmige US-Amerikaner Joseph Kesselring 1939 in seiner herrlichen Kriminalkomödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ hineingearbeitet hat. Der Klassiker aller Klassiker unter den Krimis, mithin ein gefundener Schmaus für eine so alerte Truppe wie Die Kleine Bühne Michendorf.

Am Wochenende hatte die sehenswerte Inszenierung von Christine Hofer im Gemeindezentrum Zum Apfelbaum eine so gut besuchte wie stark umjubelte Premiere. Worum geht es? Abbey (Ortrud Mayhöfer) und Martha (Marlies Hanowski) Brewster haben die Angewohnheit, ältere, alleinstehende Herren von ihrem Lebensgeschick zu befreien, indem sie ihnen mit aller Liebenswürdigkeit Holunderwein kredenzen, der nicht nur blau, sondern auch mit Arsen und Strychnin vergiftet ist. So können sie wenigstens nicht mehr vereinsamen. Ihr leicht verrückter Neffe Teddy (Marcus Hagen Heinemann) mit seinem Präsidententick begräbt sie dann im Keller, Stück um Stück. Ganz unschuldig erzählen sie ihrem Neffen Mortimer (Andreas Link) davon, einem Theaterkritiker. Und dann erscheint noch ein Familienmitglied, nämlich der gesuchte Mörder Jonathan (Felix Zühlke) samt Dr. Einstein (Udo Herath), seinem Visagisten. Dieses Pärchen nun kann ebenfalls zwölf Leichen nachweisen...

Das Stück lebt vom trocken-englischen Humor, andererseits von dem Satz, wonach die Wahrheit so schwer zu erkennen sei, weil sie unglaubhaft wirkt. So berichten die beiden Spitzbehaubten einem Officer ganz offen von den Zwölfen im Keller, man glaubt es ihnen zum Jux des Publikums nicht - bis zuletzt wieder ein so frisch verwitweter älterer Herr kommt und ihnen seine Einsamkeit beichtet. Natürlich bekommt auch Nummer 13 im Bühnenbild von Dirk Seesemann ein Gläschen vom Holunderwein.

Weil die Regie mehr auf Typen und auf Situationen gesetzt hat, entsteht ein herrlich leichtes Spiel mit vielen Einfällen, wie dem Trompetenstück „Road Jack“, die Wanted-Suche der Polizei nahe am Publikum oder die hübschen Auftritte der nachtbehemdeten Damen vom Chor der Truppe. Die Guckkastenbühne wird mit viel Lust und Laune bespielt, obwohl die Akustik die beste nicht ist. Eine lange Rampe führt zum Leichen-Keller hinab.

Natürlich ließe sich zu dem turbulenten Vielpersonenstück noch vieles mehr sagen, stellvertretend für eine gute und vor allem überzeugende Ensembleleistung mögen hier die beiden Spitzenhäubchen stehen, die gar so hübsch vor sich hintippelten. Das Stück wird ernst genommen und lustvoll gespielt, dem Publikum mit manchem Extra ein kleines Vergnügen geboten – längst ein Markenzeichen von Christine Hofer, nur dass es diesmal nirgends wie aufgesetzt wirkt.

Die Schlussszene muss allerdings nachgebessert werden, sowohl in den Arrangements, wo die Vorderbühne besser ausgenutzt werden muss, als auch dramaturgisch. Da wuselt es noch zu viel, das Hauptthema verliert sich. Ansonsten dürfte diese „kleine“ Theaterproduktion ein richtig großer Renner werden. Gegenwart ist ja stets da, wo die Wahrheit unglaubwürdig erscheint, ob nun im Himmel oder auf Erden. Auch deshalb sei diese Art von Arsen jedermann zum Gebrauche empfohlen. Ihr zuliebe, der Wahrheit! Gerold Paul

Nächste Aufführungen in der Potsdamer Straße 64 in Michendorf am Freitag und Samstag um 19.30 Uhr und am Sonntag um 17 Uhr, Karten kosten 14 Euro

Gerold Paul

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