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KulTOUR: Wilhelmshorster Gipfeltreffen

Die Lyrikreihe „Poesiealbum“ gibt es seit 50 Jahren. Ihr neuer Band wurde im Huchel-Haus vorgestellt.

Michendorf - Es war eine beinahe historische Begegnung: In Wilhelmshorst kamen am vergangenen Donnerstag die beiden wichtigsten Kulturträger des Ortes zu einer Art Pulitzer-Ereignis zusammen, das Peter-Huchel-Haus und der Märkische Verlag Wilhelmshorst, der seit zehn Jahren die Lyrikreihe „Poesiealbum“ herausbringt. Anlass war ein nostalgisch-gegenwärtiges Ereignis, nämlich der 50. Geburtstag der Reihe. Lutz Seiler hatte zu diesem Behuf nicht nur den Verleger Klaus-Peter Anders von nebenan zu sich ins Huchel-Haus geladen.

Mit dabei war auch die Herausgeberin des aktuellen Bandes, Kathrin Schmidt – zu DDR-Zeiten selbst in dieser populären Reihe als Autorin präsent, was einem literarischen Ritterschlag glich. Matthias Weichelt, Chefredakteur von „Sinn und Form“ wie einst Peter Huchel, moderierte die illustre Gesellschaft mit Grandezza.

Band eins des „Poesiealbums“ war 1967 Bertolt Brecht gewidmet, das letzte August von Platen im Sommer 1989, nur landete es nicht in den Geschäften, sondern auf der Deponie. So erging es vielen Büchern damals. Als die Edition 1990/91 eingestellt wurde, lagen 275 Ausgaben vor, Gesamtauflage 5,5 Millionen. Wobei die einzelnen Hefte, teils zweisprachig, schmal, gediegen und stets mit einer tollen Grafik versehen, in einer Anzahl von 8000 bis 40 000 Exemplaren gedruckt wurden. „Bückware damals“, so Anders, „da bekam der Kiosk höchstens eins ab.“

Nach der Wende erschien noch ein Heft, dann war vorerst Feierabend. 2007 übernahm der Wilhelmshorster Verleger die Rechte samt Layout und legte los. Seine erste Ausgabe war Peter Huchel gewidmet, in dessen Haus er als Bub ein- und ausging. Wolfgang Hilbig, Mario Wirz, Reiner Kunze und viele andere folgten im Zweimonatsrhythmus. Abonnenten bekommen Sonderausgaben, alles zum kleinen Preis von vier Euro. Er hat auch die Reihe „Verfemte Dichter – Verbrannte Bücher“ eingeführt.

Das neueste Heft ist als Nummer 334, wie schon bei Paul Celan und Rose Ausländer, der rumäniendeutschen Dichtung gewidmet. Dazu hat sich die Herausgeberin Kathrin Schmidt des unbekannten Lyrikers Immanuel Weißglas angenommen. Er wurde 1920 zu Czernowitz in eine deutsch-jüdische Familie hineingeboren, ging mit Paul Celan („Todesfuge“, Album 137) zur Schule, verteidigte diesen noch, als man ihn des Plagiats bezüglich der Phrase „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ bezichtigte. Das Original („Der Tod ist ein deutscher Meister“) stammt tatsächlich von Weißglas!

Freilich war Dichten nicht sein Hauptberuf, er arbeitete in diversen Berufen, überlebte zudem die rumänischen Lager in der Ukraine. Er starb 1979 in Bukarest. Seine Verse sind undatiert und immer wieder überarbeitet – eine gute Chance, so die Herausgeberin, ihn im Ur-Sinn des Poesiealbums wirken zu lassen, ohne Chronologie und Kommentare.

Doch bevor sie Weißglas las, trug sie den Sonettenkranz „Das Boot setzt über“ aus eigener Feder vor, wobei dieses Gefährt eine bittere Metapher für unsere Gesellschaft mit all ihren „Staatsdichtern und Rudelschwimmern“ darstellt. Schön kritisch, auch wenn sich manche Idee im Dickicht der Zeilen verlor. Dann folgte Weißglas selbst, „curriculum mortes“, „Der Nobiskrug“, „Drei Buchen“. Alles mit Blick auf den Tod, und trotzdem frisch wie am Tage des Werdens. Wie sagte Matthias Weichelt tief beeindruckt: „Dieser Mann bedient keinen Kanon, er baut sich einen auf!“ Gerold Paul

Gerold Paul

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