zum Hauptinhalt

KulTOUR: Wenn Leute sterben, singen sie Lieder Wolf-Ferrari-Quartett mit Passionsmusik in Caputh

Schwielowsee - Erhebende Momente sind selten. Sie sorgen im Wortsinn dafür, dass sich die Seele des Menschen ein wenig vom Boden löst, von der Schwere.

Schwielowsee - Erhebende Momente sind selten. Sie sorgen im Wortsinn dafür, dass sich die Seele des Menschen ein wenig vom Boden löst, von der Schwere. Das kann durch mancherlei Mittel geschehen. Eines davon ist die Musik, und eine der besten Adressen, solch erhabene Momente zu schaffen, ist das Wolf-Ferrari-Quartett. Nicht zum ersten Mal stimmte dieses exzellente Streicher-Ensemble sein Publikum bei den „Caputher Musiken“ auf die Passionszeit ein, immer auf ganz besondere Weise.

Die Berliner gelten nicht nur als wahre Artisten ihrer Kunst, sie haben auch ein großes Herz für die neue Musik, und dazu ein Gespür für dramaturgische Wirkungen wie weit und breit keiner. Aus ihren Konzerten geht man immer erhoben hinaus, auch letzten Samstag. Was für ein Unterschied zu den kreuzbraven Gesängen, wo man die Passion oft zu Tode pflegt und mit der Kreuzigung enden lässt!

Unter dem Titel „...songs are sung“ gab das Wolf-Ferrari-Quartett diesmal Passions- und Meditationsmusik mit Werken von Henryk Mikolaj Górecki (1933-2010) und Johann Sebastian Bach. Seine besondere, tief hineingehende Wirkung erreichte sein 75-minütiger Vortrag durch den alternierenden Ablauf seiner Teile: Mit „Komm süßer Tod, komm selge Ruh“ eröffnete ein Lied aus Schemellis „Musicalischem Gesangbuch“ von 1736 den Abend im Gemeindehaus gleich neben der Kirche, dann folgte der erste Part aus Goreckis Streichquartett Nr. 3 op. 67, das erst 2005 vollendet wurde. Fünfmal Liedgut also aus dem Barock, abwechselnd fünf Sätze aus der Feder eines polnischen Katholiken, hochmodern, zutiefst dramatisch, das Neueste vom Neuen, hier kam Substanz zu Substanz, ganz wunderbar.

Wie immer gab auch diesmal Wolfram Thorau (Violine) eine kompakte Einführung in das Konzert. So erfuhr man nicht nur, dass der Pole den Titel des Opus nach einem russischen Gedicht wählte, darin es heißt, „wenn Menschen sterben, singen sie Lieder“. Man hörte auch von der völlig anderen Haltung des Barockmenschen zum Tod, „heitre Todesfreude“ als Stichwort.

Neben dem ersten Violinisten spielten Lili Nguyen-Huu (2. Violine) und Yair Lantner (Viola). Uwe Hirth-Schmidt am Violoncello hatte bei diesem erlesenen Konzert vielleicht am meisten zu tun, sowohl Bach als auch Gorecki gaben der Bass-Stimme ja einen besonders hohen Stellenwert. Zweimal Lieder also ohne Gesang, wobei Opus 3 in seiner Intention keine echte Passionsmusik war. Mit der feinfühligen Interpretation von Wolf-Ferrari wurde sie es.

Gorecki war ja ein Meister des spirituell orientierten Minimalismus, also kurze Sentenzen, unendlich viele Wiederholungen. Reine Akkorde bei jeder Coda, reinigend. Bereits im ersten Satz drang dieser heraufziehende, immer wieder abbrechende Schmerz unter allerdüstersten Cellotönen spürbar in einen hinein, das Largo des 2. Satzes eine reine Entrückung, im Folgesatz sägende Dissonanzen über die Schmerzgrenze hinaus, ungeheure Kraft und Intensität im vierten, der Schlusssatz Largo schien sich fast nur aus Fermaten zu bestehen.

Das ist die Passion, das war kaum noch auszuhalten zwischen Pein und Erhebung. Wie klug Schemellis Bach-Lieder dazwischen, die Melodiestimme von „Es ist vollbracht“ wurde anfangs nur von der ersten Violine gespielt, sonst reinstes Pizzicato! Hier war gar nichts sentimental und tränenrührig, es geht also!

Stark war das, erhebend, erhaben! Das Publikum dankte dem Ensemble doppelt, zuerst mit langem Schweigen, dann mit reichlich Applaus. Gerold Paul

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false