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KulTOUR: Unter die Haut gegangen

Der Cellist und Bariton Wilfried Staufenbiel im Caputher „Haus der Klänge“

Schwielowsee · Caputh - Neben den Veranstaltungs-Giganten wie Schloss, „Caputher Musiken“ und der wachsenden Zahl Bildender Künstler gibt es in der idyllischen Gemeinde Caputh auch noch das „Haus der Klänge“, eine bescheidene, aber auch stille Größe für sich. Christine Rasch und Jürgen Motog haben sich in der Bergstraße eingerichtet. Sie sind Fans der skandinavischen Kultur, des Musikalischen schlechthin, zudem auch Veranstalter kleineren Umfangs, wobei ihre Kinderprogramme zu den ganz feinen gehören. Das Hinterhaus ist zugleich ein sehenswertes „Instrumentenmuseum“, vom Psalmodikon Jahrgang 1850 bis zur Nickelharpa jüngsten Datums scheint im holzverkleideten Obergeschoss der ganze musikalischen Norden vertreten zu sein.

Jetzt war der bekannte Sänger und Cellist Wilfried Staufenbiel mit dem Programm „Kleine Melodie“ bei ihnen zu Gast. Welche Entdeckung für den, der ihn nicht kannte! In Grimma geboren, studierte er das Cello, musste aber den Bogen wegen eines Unfalls eine Zeitlang an den Nagel hängen. So stieg er in den Gesang ein, was man als Glücksfall bezeichnen darf. Sein tiefer, sehr mächtiger Bariton scheint in der tibetanischen Stimmschule gelernt zu haben. Er singt vom Mittelalter bis zur Gegenwart jeden Schwierigkeitsgrad, sein Cello spielt alles, was er ihm befiehlt, er komponiert original und in Contrafraktur, und schreiben kann er auch noch.

„Kleine Melodie“ handelte eigentlich immer von ihm selbst. Zuerst der Yoga-Baum mit einem gregorianischen Stück, das sofort unter die Haut ging. Das Cello setzt ein, dazu Gesang, das Cello ebbt, die Stimme allein – Volumen und Bandbreite bis zum Kehlvibrato, ein „Sanctum“, toll. Weitere Stücke aus seinem

Mittelalter-Programm folgten, eigenwillig stets in der Notierung, überzeugend allemal. Ein jüdisches Lied, die Vertonung von Morgensterns Gedicht „Das Knie“, ein überraschender Choral von Bach für Solostimme und Instrument, das haute einen fast um.

Das Cello mal gestrichen, mal gezupft, mit der Stimme tremoliert oder als Vocalise, was immer Staufenbiel auch vortrug, war stets ein Original, selbst noch bei fremden Vorlagen. Erstklassige Tonfärbung auch in der Atonalität, welche er der archaischen Harmonik gleichstellte.

Zwischen den Musikstücken immer wieder autobiographische Texte. Einer war besonders berührend: Schon als Schulkind schrieb er Geschichten. Als seine Mutter dahinterkam, steckte sie die Papiere vor seinen Augen in den Ofen. Er wollte schreien, konnte es nicht. Später brach es aus ihm heraus: „Du verbrennst ja lebendige Menschen!“ Deshalb hatte er „Klage“ geschrieben, ein vocaliser Schrei zum Cello, tief aus dem Inneren und so erschütternd, dass keine Hand sich zum Beifall regte. Ein Ostinato der Sonderklasse. Aber er konnte auch heiter.

Bei einem Privatfest im Prenzlauer Berg, standen plötzlich drei Herren in Ledermänteln an seiner Tür. Mitkommen! Vor dem Haus wurde er erst mal vertrimmt, dann gaben sich die vermeintlichen Stasi-Leute als seine Freunde zu erkennen, ein Spaß nur, welchen er oben zu wiederholen bat. Nach 1989 erfuhr er, dass der Anführer tatsächlich ein Offizier Mielkes war

Tiefgehende Klänge und solcherart Texte machten diesen Sonntagnachmittag zu einem tiefen Erlebnis. Der hölzerne Klangraum gehörte ebenso dazu wie die freundliche Gastgeberschaft der Hausherren. Herrlich war“s dort, mächtig gewaltig, denn der Sohn hatte für die Gäste sogar einen Fanta-Kuchen gebacken.

Gerold Paul

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