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Kunst-Kirche. Die Petzower Schinkelkirche ist seit Jahren entweiht und wird für wechselnde Ausstellungen genutzt. Das Werderaner Standesamt traut auch Paare in der Kirche.

© Manfred Thomas

KulTOUR: Schurken wissen nichts!

In der Petzower Schinkelkirche sind seit Sonntag die Werke des Künstlervereins Stilus zu sehen

Werder (Havel) - Natürlich sehnt sich jeder „nach den schönen Orten“ dieser Welt, die Glück und Friede ohne Not und Kummer verheißen. Aber wo sind sie, kann man sie einfach so erreichen? Oder bedarf es gewisser Hilfsmittel, Drogen etwa, oder jenes Branntweines Absinth, der seit eh als Künstlertrunk galt und dorthin führt, wo selbst die Wahrheit scheinbar wohnt, wenn auch nur in absurdem Gewande? Der Verein Kulturpunkt Stilus e.V. ist diesen existenziellen Fragen im 22. Jahr seines Bestehens nachgegangen: Wo sind die schönen Orte, und wie absurd ist die Wirklichkeit? Geistreiche, obwohl nicht unbedingt neue Gedanken.

Aus diesem fruchtbringenden Thema entsprang ein gar wunderliches Werk, unter „Zu den schönen Orten: Absicht. Absinth. Absurd“ seit Sonntag in der Schinkelkirche Petzow zu sehen, die Gruppe mit Sitz in Schönwalde (Havelland) ist jeden Herbst hier präsent. Laut Satzung hat man sich ja verpflichtet, gesellschaftlich-philosophische Fragen zum Positiven hin zu ventilieren, Toleranz und so. Ein spielerischer Zugang ist hier und da natürlich möglich. Bei Olaf Kaminski zum Beispiel, Musiktherapeut und Maler aus Berlin. Ihm ist das Schalkige gegeben, das Augenzwinkern mit Hintersinn, und so zitiert er Heinrich Mann, wonach die Erkenntnis ein Licht sei, „ausgestrahlt von der Tugend“. Als Umkehrschluss: „Schurken wissen nichts!“ Zweie davon hat er mit schrillen Farben hingemalt, ein geflügeltes Zweibein und einen weiß-bauchigen Gelbzahn. Gut getroffen! Aus Absurdistan direkt stammt Ellen Ernst’s Bild, wo sich einer müßig in der Wüste räkelt – als gäbe es keine anderen Sehnsuchtsorte. Ihr Bild erinnert an frühere Zeiten doppelt, an die roten Verbrecher, und an den verschollenen Ruhm eines uralten Reiches.

Satirische Collagen, gar mit einem Korkenzieher, erfindet Thomas Wiersberg. Es soll sich um Porträtfotos aus Reisepässen handeln, von Avalon, Mordor, der „Bananenrepublik“. Ach, was doch so ein bisschen Abstand ausmacht!

Dejo Denzer will den Betrachter direkt zu den „schönen Orten“ führen, dies in Form eines Absinth-Schreins, mit einem selbstgefertigten Ablassbrief zum Lutherjahr, darin einem alle „Missetathen wider den guten Geschmack“ auf zehn Tage erlassen werden. Anderes auch. Helga Lehner zeigt Fotos vom „Schillerkiez“ am Tempelhofer Feld, die zwischen Abraum und Kultur alles Absurde schon in sich tragen. Ähnlich Gabriele Tille-Tagge mit Fotos aus dem Verbund Berlin-Frankreich: Da kommen die Wölfe heim, da sieht man „Trash People“, wie sie wörtlicher nicht genommen werden könnten. Der Maler Fred Tille versucht durch farbgrelle Übermalung, das scheinbar absurde Arkadien der Romantik zu verbessern, woraus freilich nicht viel Neues wird. Auch Dietmar Steinkamps Großformate können als recht kompliziert und strukturverliebt angesehen werden. Mehr Absicht als absurd, aber sie gehören genauso dazu, und hierher wie die nicht uninteressanten Fotomontagen von Ekhard Gaede: Er sieht die schönen Orte in Australien, Perth zum Beispiel, wenn auch nicht „rein“.

In toto ein richtig interessantes und wohl gefügtes Bild- und Ideen-Ensemble dieses Mal. Ein Wort noch zur Rezeption. Der kecke Spruch „Nur Schurken wissen nichts“ scheint den Besuchern zu gelten. Jenen, die nicht sehen wollen oder allzu rasch vorübergehen, ohne Muße, und ohne das inspirierende Gläschen Absinthus, welches hier eigentlich dazugehört. Man sieht immer nur, was man weiß, und ist ja selber nichts anderes. Gerold Paul

Schinkelkirche Petzow, bis 19. November sonntags von 11 bis 17 Uhr, am 29. Oktober bis 18 Uhr

Gerold Paul

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