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KulTOUR: Michendorfs Volksbühne startet in neue Saison: Ein Herz und viele Seelen

Wie hat die Zeit sich doch gedreht! Alles ist anders geworden, doch merkt es kaum noch einer.

Wie hat die Zeit sich doch gedreht! Alles ist anders geworden, doch merkt es kaum noch einer. Zu leise schleichen sich die Veränderungen heran. In den 1970-er Jahren hingegen, der Zeit der Kunstfigur Alfred Tetzlaff, war die Welt noch in Ordnung. So halbwegs jedenfalls – sonst würde das TV-Ekel ja nicht damals schon rumgemault und rumgemotzt haben! Mit Szenen aus Wolfgang Menges Erfolgsserie „Ein Herz und eine Seele“ mit eben jenem Alfred Tetzlaff als Protagonisten startete die neue Intendanz der Michendorfer „Volksbühne“ am Wochenende in die neue Theatersaison.

Die Premiere lief erfolgreich, die Vorstellung am Samstag war ausverkauft. Man kennt und schätzt den Familienpatriarchen Alfred noch immer, obwohl das Internet-Lexikon Wikipedia ihn „reaktionären Spießer“ nennt. Er allein bestimmt, wann der Fernseher angemacht wird, der sagt, was richtig ist und wo es langgeht. Zu den Sozis, von Tetzlaff auch „Anarchisten“ betitelt, jedenfalls gewiss nicht, die wollten den Staat ja doch nur kaputtmachen. Auch gegen Ausländer und „Orientalen“ hatte er etwas. Autor Menge schuf mit diesem Kult-Ekel das Urbild eines Kleinbürgers: Heinz Schubert füllte diese Rolle auf der TV-Bühne der 1970-er Jahre mit Kern und Leben, die Leute haben ihn, wie auch seine begriffsstutzige Gattin Else (damals Elisabeth Wiedemann) nicht vergessen!

Zwei Szenen also zum Saisonstart, „Die Bombe“ zuerst, darin Ehefrau Else – in der Michendorfer Theaterversion gespielt von Tina-Nicole Kaiser – die für einen gewissen Jussef aus der Nachbarschaft ein Paket annimmt. Ein „Orientale“ aus dem Libanon, Alfred wittert sofort eine Paketbombe, damals ging ja tatsächlich die Terrorgruppe „Schwarzer September“ um. Menge nutzt den Aufhänger, um über das Thema „Deutsche und Ausländer“ zu reflektieren, was sich auch in der Michendorfer Inszenierung von Christian A. Schnell als höchst aktuell herausstellt.

Casper von Wasserburg brilliert in der Tetzlaff’schen Titelrolle, spielt dem Original nach, ohne es zu kopieren, lange Monologe scheinen seine Spezialität zu sein. Dabei ist es kein Rampengeschwätz, er verinnerlicht seinen Text wie kein anderer dieser Besetzung mit viel Ausdruck und einer staunenswert überlegenen Ruhe. Tochter Rita (Olivia-Patrizia Kunze) und Schwiegersohn Michael (Tobias Steinhardt) kommen selten über den Status von Stichwortgebern heraus. Hartmut Kühn als Jussuf, bei „Der Fernseher“ auch Monteur, hat zwar etwas Darstellungskraft, doch warum reagiert er dann auf Alfreds dicke Beleidigungen nicht angemessen? Spielte er nur den Statisten? Viel zu dünn!

Thematisch blieb es auch im zweiten Teil aktuell. In der Szene „Der Fernseher“ wurden die verborgenen Hintergründe der Staatspolitik in den Fokus gerückt, die man auch heute kontrovers diskutiert. Stark aufs Wort gestellt, hatte von Wasserburg auch in diesem Part keine Mühe, die Seinen an die Wand zu spielen, nur mit etwas weniger Glanz. Viele Lacher gab es, aber szenisch ginge da mehr. Doch im Ganzen war es ein passabler Start der neuen Theaterdirektion in Michendorf, dafür gab es viel Applaus. Gerold Paul

Nächste Vorstellungen am 27. und 28. Januar, 19.30 Uhr

Gerold Paul

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