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KulTOUR: „Kassins Früher“ auf der Spur

Die Gartenkunst der Hugenotten ist jetzt in Langerwisch zu bestaunen

Michendorf · Langerwisch - Refuges nannten die Hugenotten seit dem 16. Jahrhundert all jene Orte, wo man ihnen Schutz vor dem katholischen Frankreich gewährte, in England, Holland, Skandinavien, den USA, Südafrika oder Deutschland. Wohin es die hart bedrängten Protestanten aus Frankreich auch verschlug, brachten sie neben der calvinistischen Theologie auch ihre Kultur mit, ihr Wissen. Besonders auffällig und rätselhaft ist ihr Verhältnis zu Landbau und Botanik.

Hugenotten wie Bernard Palissy (1510-1590) wollten den Garten Eden auf Erden (zugleich als Refugium für verfolgte Christen) nachbauen, sein Zeitgenosse Jean Bauhin gilt als erster Obstkundler der Neuzeit, der Edelmann Olivier de Serres (1539-1619) erfand als „Vater der französischen Agronomie“ auch die „Kräuterspirale“. Von der Landwirtschaft über die biologische Systematik bis zu weltgreifenden Forschung gibt es eigentlich keinen Bereich, wo nicht Hugenotten tätig waren, meist sogar als Pioniere.

Dies alles und noch mehr kann man jetzt als Ausstellung in einem unscheinbaren Anwesen neben der Feuerwehr in Langerwisch bestaunen. Als Refuge der französisch-sprachigen reformierten Gemeinde Berlins diente es mit seinem „interkulturellen Garten“ in den letzten zehn Jahren als Glaubens-Treffpunkt, wobei auch vor einer Woche, als diese wichtige Exposition eröffnet wurde, zahlreiche Schwarzafrikaner zugegen waren. Zusammengestellt hat sie der „Pfarrer der Reformierten Kirche Frankreichs“ und flammende Pflanzenökologe Otto Schäfer. Dazugehörig ein noch unvollendeter „Hugenottengarten“ mit Aurikel, Tulpen, Wiesenschaumkraut und einigen der bereits erwähnten Nutzpflanzen.

Er führt die botanische Vorliebe der Hugenotten theoria cum praxi direkt auf die Psalter und das neue Testament zurück – das Bild von Christus als Gärtner ist allgegenwärtig. Wahrlich eine Kulturgeschichte ohne Ende: Das Usambara- oder Afrikaveilchen erinnert an ein wichtiges Kapitel deutsch-calvinistischer Kolonialgeschichte, aber auch an den in Potsdam bekannten Namen Saint-Paul Illaire. Schwiegermuttersessel, Weihnachtskaktus, der nach Pierre Magnol benannte Baum, den er nie sah – geballte Information auf 30 gut gestalteten Schautafeln, sehr beeindruckend.

Gartenarchitekten wie Charles de l Ecluse, Albrecht von Haller (1708-1777) oder eben Caspar Bauhin gründeten die botanischen Gärten zu Leiden, Göttingen und Basel, sogar die Pariser Tuilerien und Versailles werden den weltbürgerlichen „Glaubensbrüdern“ gutgeschrieben. In der Tat, durch sie kamen der artischockenähnliche Cardy und Stiel-Mangold in das damals als „Welthauptstadt der Botanik“ geltende Genf. In Großbritannien erinnert die Bohnensorte „Refugee“ an ihr Wirken, Dänemark verdankt der Kolonie Fredericia den Anbau der Kartoffel, Südafrika den Wein. Brandenburg-Preußen schätzte um 1600 nicht nur die Melonenkultur unter Glas in Berlin, sondern auch die Seidenraupenzucht nebst Maulbeerbäumen, zahlreiche Obstsorten wie die Werdersche Kirsche „Kassins Frühe“, Blumenkohl und Tabak in der Uckermark, wo es noch heute noch eine Hugenotten-Gemeinde gibt.

Sogar die weltberühmten (damals mit Gold aufgewogenen) Zwiebelkultur in Holland und Dänemark geht auf die umtriebigen Calvinisten zurück. Unter den Wissenschaftlern entdeckte Jean Senebier (1742-1809) die Photosynthese, die Sippe De Cancolle schuf in Genf das weltgrößte Herbar, auch Alexander von Humboldt gilt den Hugenotten als einer der Ihren, mütterlicherseits.

Die Ausstellung ist bis zum Sommer geöffnet, Anmeldung unter (033 205) 50 051.

Gerold Paul

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