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Zehn Tage Party in Werders Alstadt. Das Massenspektakel gefällt hier nicht jedem. Die Insel wird zum Baumblütenfest für Autos gesperrt, ohne dass die Bewohner jemals zu ihrer Meinung befragt worden wären.

©  Manfred Thomas

Kritik am Baumblütenfest: Ein Prosit auf das Allgemeinwohl

Um die Kritiker des Baumblütenfestes war es ruhig geworden. Doch inzwischen gibt es neue Argumente gegen Werders größtes Spektakel – besonders aus den Reihen genervter Inselstadtbewohner

Werder (Havel) - Ist die hübsch sanierte Inselstadt für ein Massenspektakel geeignet? Ist es den Anwohnern zuzumuten, zehn Tage Party zu ertragen? Die Fragen stellen sich einige Inselbewohner seit mindestens sechs Jahren. 2008 wurde die Initiative gegründet, die Erfolge des Protestes seien überschaubar geblieben, so Sprecherin Uta Klotz. Einige Bauzäune würden jetzt hier und da die Altstadthäuser vor Wildpinklern schützen. Gelegentlich werde im Rathaus neuerdings vom „Niveau“ gesprochen. Doch darüber hinaus sei vieles beim Alten geblieben, so Klotz, auch beim jüngsten, 135. Blütenfest. „Es ist ärgerlich, dass das Gemeinwohl immer noch an der Zahl der Bierwagen gemessen wird.“

Die Initiative ist nicht mehr aktiv, vielleicht wird sie es aber wieder. Denn zu den Fragen, die sie sich stellte, sind in diesem Jahr neue hinzugekommen, und damit womöglich neue Mitstreiter: Dürfen die Bewohner daran gehindert werden, Werders Altstadt zur Zeit des Baumblütenfestes über die Inselbrücke mit dem Auto zu verlassen oder zu erreichen? Und was passiert eigentlich bei einem medizinischen Notfall von Anwohnern? Es sind Fragen, die zum Beispiel Hans Schroeder-Hohenwarth umtreiben.

Im Frühjahr hat der Pensionär und langjährige Inselstadtbewohner herauszubekommen versucht, wer eigentlich entscheidet, dass die Insulaner an sechs von neun Festtagen in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Vor dem Blütenfest hatte er sich bemüht, die der Sperrung zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen einzusehen. Die Stadt habe ihn auf das Sicherheitskonzept verwiesen, das wiederum nicht öffentlich sei. Ein Geheimpapier, von dem das Verkehrskonzept und somit auch die Sperrung der Insel für Anwohner der Autos abgeleitet wird.

Eine ganze Altstadt tagelang im Ausnahmezustand: Im Gegensatz zu den abgeschirmten Verhältnissen beim Dom in Hamburg, bei der Cannstatter Wasen in Stuttgart, dem Wäldchestag in Frankfurt (Main) oder dem Oktoberfest auf der Theresienwiese in München finde die Baumblüte auch mitten auf der dicht besiedelten, engen Insel statt, so Schroeder-Hohenwarth. Das moniert auch Editha Stürtz-Frase, eine weitere Aktive von 2008, die auf der Insel lebt und dort ein Café betreibt: Die Partymeile passe besser nach außerhalb, in den Stadtwald zum Beispiel. Auch auf den Obsthöfen funktioniere das Fest sehr gut. „Dort gehört es wieder hin“, findet sie.

Als der Festbereich nach der Wende immer weiter auf die Insel ausgedehnt wurde, seien nie die Anwohner gefragt worden, die doch massiv in ihrem Alltag eingeschränkt werden, meint sie: „Wir bekommen vor dem Fest ein Schreiben, das man nicht von der Insel darf, und das war’s.“ Eine Widerspruchsmöglichkeit gebe es nicht.

Mancher, der das ungefragt erdulden müsse, könnte es womöglich als Nötigung, Freiheitsberaubung oder Beschneidung der Bewegungsfreiheit verstehen, meint Schroeder-Hohenwarth. Ein Hinweis zum Prozedere fand er immerhin in der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt. Dort gibt es zum Thema Blütenfest den denkwürdigen Paragraf 13: „Der Festbereich umfasst alle Plätze und Straßen einschließlich der angrenzenden Grünfläche nach der jährlichen Festlegung durch den Bürgermeister. Diese Festlegung wird mindestens zwei Wochen vor Beginn des Baumblütenfestes im Amtsblatt bekannt gegeben.“ Ihn erinnert das einseitige Verfahren an „obrigkeitsstaatliche Manieren“.

Kurz vor dem diesjährigen Fest hatte Schroeder-Hohenwarth nach einer weitgehend ergebnislosen Kommunikation mit der Rathausspitze über Rechtsschutz nachgedacht. Er wollte auf dem Rechtsweg den ungehinderten Zugang zu seinem Wohnhaus durchsetzen. Für eine Anhörung des Rathauses wäre der Antrag aber zu spät gekommen. Schroeder-Hohenwarth sah deshalb von seinem Vorhaben ab, will es aber nicht dabei belassen.

Dass sie nicht mit dem Auto auf oder von der Insel kommen, treibt viele Insulaner um. Uta Klotz hatte nach dem Urlaub an einem Samstagabend des jüngsten Festes nicht über die Brücke nach Hause fahren können, ihr Mann ist schwerbehindert. „Die Polizisten waren sehr kooperativ, aber genutzt hat das nichts, wir mussten laufen und unser Auto mit Gepäck an der Brücke lassen.“ Einem anderen Insulaner war es im selben Zeitraum nicht gelungen, mit dem Auto von der Insel zu kommen. Bürgermeister Werner Große (CDU) erwähnte den Vorfall bei der Auswertungsrunde zum Blütenfest und wunderte sich, warum die Bewohner nicht die Parkmöglichkeiten nutzen, die unmittelbar vor der Altstadt für sie freigehalten werden – freilich ohne auf die Kosten der Anwohnerparkausweise für die Inselbewohner einzugehen.

Schroeder-Hohenwarth will nicht, dass seiner Frau oder ihm dasselbe passiert wie einer älteren Nachbarin: Sie erlitt, nach dem Festbesucher im Obstweinrausch eine Scheibe ihres Hauses eingeschlagen hatten, einen Herzinfarkt und musste fast eine Stunde auf den Notarzt warten, der es nicht so schnell über die Inselbrücke schaffte wie normal. Es ging noch mal gut für die Anwohnerin.

Der 1. Beigeordneten Manuela Saß (CDU) ist der einige Jahre zurückliegende Vorfall bekannt. „Die Dame wurde bis zum Eintreffen eines Notarztes durch Rettungssanitäter betreut“, so Saß gegenüber den PNN. Auch für andere Bewohner der Altstadt sei die medizinische Versorgung im Festbereich gewährleistet. „Zum einen stehen auch für die Anwohner die während der Baumblüte im Einsatz befindlichen Rettungssanitäter und Notärzte zur Verfügung. Und zum anderen werden erforderliche Rettungseinsätze auch über die Koordinierungsstelle aller Sicherheitspartner geleitet.“

Das Sicherheitskonzept thematisiere nicht nur die Sicherheit der Festbesucher, sondern auch die der Einwohner, versichert Saß. Es sei mit allen Sicherheitspartnern abgestimmt und vom Tüv geprüft. Trotz seiner Bedeutung spricht Saß von einem „internen Arbeitspapier“, weder für die Betroffenen noch für die Presse ist es einsehbar.

Also muss man sich auf Saß’ dürre Angaben zum Inhalt verlassen: „Wesentliche Bestandteile des Sicherheitskonzeptes sind unter anderem Festlegungen zur Gefahrenabwehr. Dazu gehören auch notwendige Sperrmaßnahmen, die im Rahmen einer verkehrsrechtlichen Anordnung umgesetzt werden, Standortfestlegungen für Einsatz- und Rettungskräfte, Handlungsvorgaben für besondere Einsatzlagen bis hin zu Evakuierungsplänen.“

Das neue Konzept war nach dem Unglück vor vier Jahren bei der Duisburger Loveparade entstanden. Die Polizei hatte die Sorge, dass Werders Inselbrücke zu einem ähnlichen Flaschenhals werden könnte wie die Duisburger Rampe. Doch gab es für die zum Blütenfest erforderlichen Absperrungen jemals ein Verwaltungsverfahren, an dem die Anwohner beteiligt waren? Wurde die Sicherheit der Festbesucher gegen die Sicherheit der Altstadtbewohner abgewogen? Welche Erfahrungen wurden mit medizinischen Notfällen der Stadtbewohner beim Fest gemacht? Handelt es sich bei der Festlegung des Festbereichs durch den Bürgermeister um einen Willkürakt? Fragen, auf die man gern eine Antwort wüsste, auf die Saß aber nicht eingehen will.

Vorschläge und Wünsche von Hans Schroeder-Hohenwarth seien bekannt und würden geprüft, so die 1. Beigeordnete. „Bitte haben Sie insoweit Verständnis dafür, dass ich nicht beabsichtige, vorab über die Presse zu antworten.“ Doch auch Schroeder-Hohenwarth wartet auf Antwort, seit einem Vierteljahr.

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