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Kinderzeit in Glindow: Ohne festes Drehbuch

Beim Ferienprojekt des Vereins Zuckerbaum stehen Geschwister schwerkranker Kinder im Mittelpunkt.

Glindow - Eva sägt und sägt, aber das letzte Stückchen Holz will einfach nicht herunterfallen. „Probier’s doch mal mit dieser Säge“, schlägt Musikpädagogin Kerstin Minkwitz vor. Nun funktioniert es, Eva kann an ihrer Querflöte weiterbasteln. Die Sechsjährige gehört zu den 15 Kindern, die am Geschwisterferienprojekt des Werderaner Vereins Zuckerbaum auf der Glindower Streuobstwiese teilnehmen. Zum inzwischen fünften Mal bietet der Verein mit dem Projekt Geschwistern schwerkranker Kinder eine Woche lang ein unbeschwertes Ferienprogramm.

„In den Familien bleibt meistens wenig Zeit für das gesunde Kind“, erklärt die Vereinsvorsitzende Karin Wiserner. Der Verein Zuckerbaum macht darum explizit Angebote für die sogenannten Schattenkinder, die es gewohnt sind, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, weil ihre Eltern sich um das kranke Geschwisterchen kümmern müssen. 365 Tage im Jahr, oft schon mehrere Jahre über.

Die Streuobstwiese in Glindow gehört der Vereinsvorsitzenden persönlich, sie stellt sie gern für die Ferienwoche oder auch für private Geburtstagsfeiern der Geschwisterkinder zur Verfügung. Das Thema der diesjährigen Geschwisterferienwoche ist „Theater und Musik unterm Apfelbaum“. Der Verein kooperiert dazu mit der Potsdamer Musikschule „Johann Sebastian Bach“ und dem Verein Kinderhilfe. Der Verband deutscher Musikschulen finanziert das Projekt im Rahmen der Initiative „Kultur macht stark – Bündnisse für Bildung“ des Bundesbildungsministeriums. Zum Abschluss der Ferienwoche wird am heutigen Samstag auch die Potsdamer Bildungsbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) erwartet.

Die Kinder, die zwischen fünf und 16 Jahre alt sind und aus Berlin, Potsdam und dem Umland kommen, werden während der Projektwoche jeden Morgen mit einem Bus zu Hause abgeholt und zur Streuobstwiese gefahren. Eltern und Geschwister dürfen mitkommen. Auch für die Eltern ist die Woche eine willkommene Gelegenheit, dem Alltag zu entfliehen, sich mit anderen Familien auszutauschen. Viele von ihnen können sich keinen Urlaub leisten – aus finanziellen Gründen oder weil es am Ferienort keine Möglichkeit gäbe, das kranke Kind so zu versorgen wie zu Hause.

Nachdem die Kinder mit Kerstin Minkwitz Flöten, Rasseln, Trommeln und andere Instrumente aus Pappe, Holz oder PVC-Rohren gebaut haben, haben ab Mitte der Woche die Theaterpädagogin Julia Zimmermann und der Schlagzeuglehrer Jörg Schönrock von der Potsdamer Musikschule das Kommando auf der Streuobstwiese übernommen. Sie probten mit den Kindern ein Theaterstück auf Grundlage des Kinderbuches „Die große Wörterfabrik“. „In dem Buch geht es darum, dass jedes Wort Geld kostet“, erklärt Zimmermann. „Darum haben manche Menschen nur ganz wenige Wörter, andere ganz viele.“

Für die Kinder sei das ein Szenario, mit dem sie sich leicht identifizieren können. In ihren Familien haben sie oft nicht viel Raum, sich Gehör zu verschaffen. Das Theaterstück soll keinem festen Drehbuch folgen, sondern in Improvisationsübungen gemeinsam mit den Teilnehmern entstehen. In der ersten Übung soll es um die Frage gehen: „Was passiert, wenn ich nicht die richtigen Wörter habe?“ Die selbstgebauten Musikinstrumente sollen dann während des Stückes ebenfalls zum Einsatz kommen.

Viele der Kinder seien es gewohnt, sich durchgehend um ihre Eltern und Geschwister zu sorgen, sagt Karin Wiserner. Die Pädagogen auf der Streuobstwiese müssen darum besonders behutsam vorgehen, denn in dieser einen Woche soll es schließlich einmal ausschließlich um die Bedürfnisse der Kinder gehen. Das bedeutet etwa, dass es keinen verbindlichen Ablaufplan für alle gibt: Wenn jemand mal nicht am Morgenkreis teilnehmen, kein Instrument bauen oder bei einer Theaterprobe nicht dabei sein möchte, dann darf er oder sie auch gern in einer der vielen bunten Hängematten liegenbleiben, die zwischen den Apfelbäumen aufgespannt sind. Keins der Kinder soll an den Aktivitäten teilnehmen müssen, aber auch keins ausgeschlossen werden. „Zwei der Mädchen haben am ersten Tag noch gesagt, sie wollen nicht zum Morgenkreis kommen, weil sie ,durchsichtig’ seien“, erzählt Wiserner. Offenbar fühlten sich die Mädchen so, weil ihnen bisher wenig Beachtung geschenkt worden war. „Wir haben sie dann erstmal in der Hängematte liegen gelassen, aber am zweiten Tag habe ich das einfach spaßhaft aufgegriffen und gesagt: ,Da kommen zwei durchsichtige Mädchen!’“ Das habe die Stimmung gelockert und nun nähmen die Mädchen auch gern an gemeinsamen Aktivitäten teil.

Am Ende der Ferienwoche sollen die Kinder dieses Jahr zum ersten Mal ein Projektergebnis präsentieren: Eltern und Geschwister sind dann zu einem Familienbegegnungstag eingeladen, bei dem die Projektteilnehmer ihr Theaterstück präsentieren werden. Auch Noosha Aubel, die Potsdamer Beigeordnete für Bildung, Kultur und Sport, wird das Projekt an diesem Tag besuchen. Für die Kinder soll die Veranstaltung auch eine Gelegenheit sein, ausnahmsweise einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.

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