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Was tun, wenn Mama nicht mehr da ist? Kinder gehen anders als Erwachsene mit ihrer Trauer um einen nahestehenden Familienangehörigen um.

© imago/Photocase

Kindertrauergruppe in Potsdam-Mittelmark: Wenn Kinder trauern

Die Stahnsdorferin Sabine Elvert will eine Kindertrauergruppe in Teltow gründen. Der Bedarf sei groß in Potsdam-Mittelmark - die Skepsis der Erwachsenen aber auch.

Von Eva Schmid

Stahnsdorf/Teltow - Mit dem Anzünden einer Kerze fängt es an, jedes Kind hat seine eigene – für Mama, Papa, den Bruder oder die Schwester. Familienangehörige, die nicht mehr da sind. Die Stahnsdorferin Sabine Elvert kümmert sich um trauernde Kinder, die ein nahes Familienmitglied verloren haben. Im kommenden Jahr will sie in Teltow eine Kindertrauergruppe gründen. Der Bedarf in der Region sei groß, die Skepsis der Erwachsenen aber auch, sagt die 45-Jährige.

Wie erklärt man Kindern den Tod?

Wie gehen Kinder mit dem Verlust eines engen Familienmitgliedes um, wie kann man sie trösten, wie erklärt man ihnen den Tod? All das sind Fragen, die sich Jahre zuvor Sabine Elvert selbst gestellt hat. Damals war ihr Vater gestorben, erzählt die Mutter dreier Kinder. Ihr ältester Sohn war damals neun Jahre alt und stellte viele Fragen. Zum Teil auch unpassende, zumindest die Erwachsene als unpassend empfinden. „Er wollte auf der Beerdigung zum Beispiel wissen, ob die teuren Zähne von Opa auch mit im Grab liegen.“

Fragen wie diese sind in den Gesprächen mit Sabine Elvert erlaubt. Kinder seien neugierig, sie interessiert, was mit dem Körper des Verstorbenen passiert, sie wollen wissen, wo der Verstorbene nach dem Tod ist, ob er wiederkommt, ob er einen noch hören kann. Der ausgebildeten Familien- und Trauerbegleiterin geht es vor allem darum, dass Kinder ihre Gefühle zeigen dürfen. „In Situationen, in denen eine Familie wegen eines Todesfalls durcheinander ist, sind Eltern kaum in der Lage, sich um ihr trauerndes Kind zu kümmern.“

Trauer der Kinder bleibt unverarbeitet

Und Kinder seien so sensibel, dass sie schnell merken würden, dass ihre Fragen Mama oder Papa schnell zum Weinen bringen. „Sie hören auf Fragen zu stellen, versuchen ihre Eltern zu trösten, ihre Trauer aber bleibt unverarbeitet.“

Die Frau mit den schwarzen Haaren und hellen Augen ist seit rund vier Jahren in Schulen und Kitas in der Region Teltow unterwegs. Dort spricht sie ganz offen die Themen Tod, Sterben und Trauer an – auch wenn viele Lehrer, Erzieher oder Eltern nicht verstehen, warum man die Kinder ohne konkrete Vorkommnisse mit dem Thema belasten müsse. Dann sagt Sabine Elvert ihr Mantra auf, das sie nicht müde wird zu wiederholen: Für Kinder sei es besser, sich vor als nach dem Todesfall eines Familienmitglieds mit dem Thema Sterben zu befassen. Denn kommen Kinder zu einer Beerdigung zum ersten Mal auf einen Friedhof, sehen sie die vielen weinenden Menschen, die dunklen Bäume um sich herum, dann sei das zu viel auf einmal. „Waren sie zuvor bereits auf dem Friedhof, um ein Grab zu pflegen, haben sie davor schon Bilderbücher zu dem Thema gelesen, dann können Kinder damit besser umgehen.“ Das empfiehlt Sabine Elvert auch, wenn es der gesamten Familie gut geht.

Fast jedes Kind erlebte schon Todesfälle in der Familie

Die Stahnsdorferin, die einst als Verkäuferin gearbeitet hat, ist fasziniert, wie junge Menschen mit Trauer und Tod umgehen. In vielen Projekttagen und -wochen an Schulen und Kitas in und um Teltow habe sie erlebt, wie erleichtert viele Kinder auf ihr offenes Ohr reagierten. Spätestens mit zwölf Jahren hätte jedes Kind bereits von einem Todesfall in der Verwandtschaft berichten können. „Sie waren froh, dass sie gefragt worden sind, wie es ihnen dabei erging.“

Dass der Bedarf in Teltow so groß sei, zeige das Interesse an der noch aufzubauenden Kindertrauergruppe (siehe Kasten). Dafür gebe es bereits vier Anmeldungen für die acht Plätze. Es sind vor allem Familien, die nach Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow ziehen. In der Region jedoch gebe es bisher nur eine Trauergruppe für Erwachsene und eine Gruppe für Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Für Kinder gebe es bisher kein Angebot. 

Auch in Potsdam gibt es eine Kindertrauergruppe

Die nächste Kindertrauergruppe treffe sich in Potsdam – vielen alleinerziehenden Eltern ist das jedoch zu weit weg.

Warum Sabine Elvert sich für die Trauerarbeit entschieden hat, erklärt sie mit wenigen Worten. Der Umgang der Kinder mit dem Thema würde sie berühren. Ihre Fantasie, ihre Offenheit. Und wenn Kinder trauern dürfen und den Umgang damit lernen, „dann werden das später auch starke Erwachsene“. Das treibe sie an – Menschen in schwierigen Situationen Auswege zu bieten.

Die Auswege werden bei Sabine Elvert oft mit den Händen geschaffen. „Kinder verarbeiten im wahrsten Sinne des Wortes ihre Trauer“, erklärt die Stahnsdorferin. Beim Basteln, Malen oder Gestalten würden sie etwas schaffen, woran sie sich später festhalten können. Sei es ein selbst dekoriertes Grablicht, einen Erinnerungsstein, ein Traumfänger, der einen an den geliebten Verstorbenen erinnert. 

Sabine Elvert will die Kinder dazu bringen, über ihre Gefühle zu sprechen und sie zu akzeptieren. Erst dann könne man gemeinsam einen Weg suchen, wie die Trauer verarbeitet werden kann.

Jedes Kind trauert anders

Wie schnell Kinder lernen mit ihrer Trauer umzugehen, sei sehr unterschiedlich, sagt Sabine Elvert. Das variiere von wenigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren. Und jedes Kind trauert anders: manche werden ruhiger, in sich gekehrter, manche reagieren wütend, manche erzählen jedem von ihrem Verlust. Eines ist ihnen gemeinsam: Das Festhalten an Ritualen. Sabine Elvert hält kurz inne bevor sie die Kerze vor sich auf dem Tisch ausbläst. Jetzt steigt ihr Wunsch zu ihrem Vater auf, das haben die Kinder ihr so erklärt.

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