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Potsdam-Mittelmark: Kälteschutz statt Partyhütte

In den Lodges der Firma My Molo aus Groß Kreutz sollen Festivalbesucher unterkommen. In Berlin bieten sie nun aber Obdachlosen Schutz vor dem Winter

Von Enrico Bellin

Gross Kreutz (Havel)/Berlin - Wie Gartenlauben stehen die kleinen Lodges auf dem Hof der St. Pius Kirche in Berlin, fünf Minuten Fußmarsch vom Strausberger Platz entfernt. Fast einladend sehen sie mit ihrer Holzverkleidung aus. Allerdings sind darin keine Rasenmäher oder anderes Gartengerät untergebracht, sondern Menschen: Die acht Lodges der Firma My Molo aus dem Groß Kreutzer Ortsteil Götz sind Schlafplätze der Kältehilfe, die die Berliner Gemeinde anbietet.

„Wir haben im vergangenen Jahr testweise vier Lodges angemietet. Da sie sich als gut geeignet erwiesen haben, haben wir in diesem Jahr acht genommen“, erklärt Wolfgang Willsch, Diakon der Kirchengemeinde St. Andreas, zu der die Piuskirche gehört. Auf vier Quadratmetern bieten die eigentlich für Festivals gedachten Lodges jeweils einem Menschen in Not etwas Privatsphäre: Ein 1,40 Meter breites Bett, darunter Platz für die Habseligkeiten, dazu gibt es eine kleine Garderobe.

Insgesamt 20 Menschen können derzeit jede Nacht einen Schlafplatz neben der Kirche erhalten, die meisten in Gemeinschaftsräumen im Pfarrgebäude. Die Schwelle für Hilfsbedürftige, sich tatsächlich Hilfe zu holen, sei bei den Lodges allerdings geringer als in den Gemeinschaftsräumen mit für sechs Menschen. „Wenn man lange draußen gelebt hat, ist es schwierig, wieder in Räumen und zusammen mit anderen Obdachlosen zu schlafen“, so Willsch. In den kleinen Holzhäuschen hingegen können sie die Tür zumachen. Für Winternächte seien die Hütten ausreichend isoliert, kleine Elektroheizungen sorgen für annehmbare Temperaturen. Ganz so warm wie in festen Häusern ist es dem Diakon zufolge trotzdem nicht, was die Bewohner aber nicht störe. „Wer sich hier stabilisiert, kann auch länger in einer Hütte bleiben und so wieder eine Art Heimatgefühl bekommen“, sagt Willsch. Die Kältehilfe ist das unterschwelligste Angebot für Obdachlose: Im Gegensatz zu Wohnheimen müssen sie keinerlei Papiere vorzeigen, um dort wohnen zu können. „Wir gehen davon aus, dass hier niemand freiwillig herkommt“, sagt der 51-Jährige.

Am Pfarrhaus wurde ein kleines Außenbad für die Bedürftigen hergerichtet, im Keller gibt es eine Gemeinschaftsküche für alle 20 Bewohner. Sie sollen einen geregelten Tagesablauf lernen, mit den Dauergästen wird etwa ein Putzplan erstellt. Ein früherer Schlafraum wird derzeit zum Gemeinschaftszimmer umgebaut. „Das ist nur durch die Anmietung der Lodges möglich, sonst hätten wir zu wenig Platz für die Bedürftigen“, so der Diakon. Größere Container könne sich die Gemeinde nicht leisten, zudem fehlt für sie der Platz.

Die Kirche zahlt an die Götzer Firma die Transportkosten für die Holzhäuschen und eine symbolische Miete von 1,50 Euro pro Lodge und Nacht. Dazu kommen die Kosten für den Strom, den die Heizungen verbrauchen. Ein Teil des Geldes soll durch Crowdfunding aufgebracht werden. Derzeit sind aber erst sechs Prozent der angesetzten 6 177 Euro für das fünfmonatige Projekt gedeckt.

30 Holzlodges hat das Unternehmen My Molo derzeit, die meisten davon stehen in einer Halle in Götz. „Von Mitte Mai bis Ende September touren wir mit den Lodges von Festival zu Festival und arbeiten dafür mit einer Spedition zusammen“, sagt Unternehmensmitgründer Fritz Ramisch. Der 30-Jährige hatte wie berichtet gemeinsam mit zwei Freunden die Idee für die mobilen Unterkünfte. Die drei hatten es satt, bei Festivals auf matschigen Wiesen zu zelten. In diesem Jahr seien sie mit ihren Unterkünften unter anderem auf den Festivals in Wacken, im dänischen Roskilde bei Kopenhagen und beim Nova Rock-Festival in Österreich vertreten gewesen. Oft mieten die Veranstalter die Lodges. „Manche sind sich aber unsicher, ob das auch wirklich angenommen wird. Dann vermieten wir die Lodges und beteiligen die Veranstalter am Umsatz“, so Ramisch. Wer auf einem viertägigen Festival eine Lodge für bis zu zwei Personen mieten will, zahlt dafür 500 Euro.

Die Nachfrage sei inzwischen dermaßen gewachsen, dass im kommenden Jahr 50 zusätzliche Lodges gebaut werden sollen. Wie auch die zuletzt hergestellten Unterkünfte sollen sie mit acht Quadratmetern doppelt so groß werden wie die alten und zwei Einzelbetten haben. Die Wände sind einklappbar, sodass die ganze Lodge zum Transport nur zusammengefaltet werden muss. Die Modelle, die neben der Kirche stehen, müssen noch aufwendig montiert werden. Zwar können sie auch zusammengebaut transportiert werden, dann passen aber nur vier auf einen Laster – von den Klapp-Häuschen sollen hingegen 20 auf der Ladefläche Platz finden. „Die Praxis hat gezeigt, dass zwischen den Festivals oft gar nicht genug Zeit ist, die Lodges ab- und wieder aufzubauen.“ Fritz Ramisch zufolge sind die Klapphäuser das Ergebnis des Lernprozesses der ersten Jahre. Die Firma ist bisher recht klein geblieben: Neben drei Festangestellten gibt es noch einen Mini-Jobber. Mit wachsendem Erfolg könne sich das natürlich ändern.

Für Ramisch und Diakon Wolfgang Willsch haben die Unterkünfte auf jeden Fall Potential, im Winter in größerem Stil in der Kältenothilfe eingesetzt zu werden. „Das ist die einzige Möglichkeit, noch zusätzliche Unterkünfte in Innenstadtgebieten zu schaffen“, ist Willsch überzeugt. In zehn Minuten ist man von seinem Kirchhof mit der U-Bahn am Alexanderplatz, auch der Ostbahnhof ist nicht weit. „Da können die Menschen in ihrem gewohnten Umfeld bleiben.“ Willsch zufolge versucht der Senat, Quartiere für die kalten Monate eher in den Außenbezirken Berlins zu schaffen. „In Reinickendorf können die Leute aber nicht Flaschen sammeln, um sich irgendwie über Wasser zu halten“, sagt der Diakon.

Seit den 90er-Jahren ist er in der Kältehilfe, sein Blick auf die Bewohner habe sich seither verändert. „Es ist natürlich schön, wenn wir jemanden zu einer festen Wohnung und einem geregelten Leben verhelfen können.“ Doch einige Menschen seien nun einmal Nomaden, auch in der westlichen Gesellschaft. Für sie werde man immer Angebote wie die Kältehilfe brauchen.

Das Crowdfunding ist unter www.betterplace.org/p57852 zu finden

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