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Verfolgt. Das Kaufhaus Jacob in der Torstraße bestand mindestens bis Ende 1938, als es im Novemberpogrom verwüstet wurde. Das Schicksal von Inhaber Max Jacob ist ungeklärt. Zwei seiner drei Kinder wurden nach Auschwitz deportiert und kamen um.

© AG Stolperstein

Jüdische Bürger in Werder (Havel): Gegen das Vergessen

Engagierte Werderaner arbeiten in einem Gedenkbuch die Geschichte jüdischer Bürger in der Nazizeit auf.

Werder (Havel) - In der kleinen Stadt sei er als Jude zu sehr angefeindet und bekämpft worden, sodass er sich dort mit seinem kleinen Geschäft nicht mehr halten konnte. Infolge von Boykottmaßnahmen habe sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Die kleine Stadt, von der Bruno Lemer 1957 in einer eidesstattlichen Versicherung schrieb, ist Werder. Der Ort, den Lemer, Inhaber eines Konfektionsgeschäfts in der Brandenburger Straße, im Jahr 1935 verlassen musste. Ihm und seiner Familie gelang zwei Jahre später die Emigration nach Frankreich, wo sie Krieg und Holocaust in Verstecken überlebten. Sämtlicher Privat- und Firmenbesitz musste zurückgelassen werden. Bruno Lemer selbst flüchtete mit einem gefälschten tschechoslowakischen Pass über die Niederlande nach Paris. Dort starb er 1993 im Alter von 92 Jahren.

Lemers Geschichte ist eines von 200 Schicksalen, die acht interessierte Werderaner in den vergangenen fünf Jahren unter Federführung von Hartmut Röhn recherchiert haben. Der pensionierte Professor der Literaturwissenschaft hat auch Geschichte studiert und lebt seit gut sieben Jahren in Werder. Das Resultat der vielen ehrenamtlichen Arbeitsstunden wird nun in Buchform erscheinen. „Jüdische Schicksale. Ein Gedenkbuch für die Stadt Werder (Havel) und ihre Ortsteile“, lautet der Titel. Am Mittwoch, dem 7. Dezember, wird es um 18 Uhr im Kunstgeschoss in der Uferstraße 10 vorgestellt.

Die Entstehung des Buchs hat eine lange Vorgeschichte: Im Jahr 2005 hatte der damals 84-jährige Berliner Klaus-Günter Grothe beim Rathaus angefragt, ob er einen Stolperstein für Hans-Peter Olschowski verlegen darf. Grothe und Olschowski hatten die Mittelschule in Werder besucht und waren Freunde. Doch bis in Werder Stolpersteine zum Gedenken an die in der Nazizeit getöteten jüdischen Mitbürger verlegt wurden, dauerte es noch neun Jahre. Erst 2012 gab es von den Stadtverordneten für das europäische Gedenkprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig grünes Licht. Acht Stolpersteine wurden bislang vor den letzten frei gewählten Wohnsitzen der Todesopfer verlegt.

Doch die Recherchen der AG Stolperstein zu Olschowski zeigten noch mehr. „Das Schicksal der jüdischen Einwohner Werders in den 1930er- und 1940er-Jahren war ein weitgehend unerforschter Teil der Stadtgeschichte“, sagt Joachim Thiele, Mitglied der Arbeitsgruppe Erinnern und Bewahren – wie die Stolperstein AG inzwischen heißt. Und es gab viel mehr jüdisches Leben in Werder als zunächst angenommen: Hartmut Röhn sagt zwar, dass in Werder keine jüdische Gemeinde bestand, ebenso wenig wie ein Friedhof oder eine Synagoge. Aber: „In den 1920er-Jahren lebten etwa 100 jüdische Bürger in Werder.“ Das entspreche etwa dem durchschnittlichen Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung Deutschlands in dieser Zeit. „Ein Teil von ihnen konnte in der Nazizeit emigrieren, andere wurden deportiert und getötet.“

Mehr als 200 Namen von Personen aus der Stadt Werder und ihren heutigen Ortsteilen wurden überprüft. In das Gedenkbuch aufgenommen wurde jedoch nur ein Teil von ihnen, nämlich diejenigen, bei denen sich ein eindeutiger Werder-Bezug feststellen ließ, sei es, dass sie in Werder oder einem seiner heutigen Ortsteile gewohnt haben oder Grundbesitz hatten. Dazu war viel Fleißarbeit in Archiven notwendig. „Es sollte auch deutlich werden, welche menschlichen, sozialen, aber auch wirtschaftlichen Einbußen selbst eine Kleinstadt wie Werder durch den Verlust ihrer jüdischen Mitbürger erlitten hat“, so Röhn.

Erinnert wird im Buch auch an die jüdischen Werderaner, für die bereits Stolpersteine verlegt wurden – beispielsweise Käte und Kurt Jacob, die im Januar und März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort offenbar unmittelbar nach der Ankunft umgebracht wurden. Ihr Vater Max Jacob hatte bis Ende 1938 ein Warenhaus in der Torstraße auf der Insel betrieben. Auch Hans-Peter Olschowskis Schicksal wird erzählt, der im April 1945 im KZ Dora-Mittelbau umkam.

Dass sich Werder mit diesem Teil seiner Geschichte noch immer schwertut, wird indes in der Einleitung des Buches deutlich. Dort findet sich der Hinweis, dass die Stadt Werder an einer Unterstützung des Drucks kein Interesse gezeigt habe.

Buchvorstellung am 7. Dezember um 18 Uhr im Kunstgeschoss Werder

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