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Rosmarie Priet leitet in Potsdam die Opferberatung und Traumaambulanz.

© privat

Interview | Rosmarie Priet von der Opferhilfe Brandenburg: "Keiner hat das Recht, so etwas zu tun"

Die Leiterin der Potsdamer Opferberatung, Rosemarie Priet, über die mutmaßliche Vergewaltigung in Kleinmachnow und warum es so wichtig ist, sich Hilfe zu suchen.

Von Sarah Stoffers

Frau Priet, zu Ihnen kommen oft Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden oder andere Formen sexueller Gewalt erlebt haben. Wie häufig sind solche Übergriffe in Brandenburg?

Zieht man die offizielle polizeiliche Kriminalstatistik heran, also das sogenannte Hellfeld, dann hat es im Jahr 2019 in Brandenburg insgesamt 2127 angezeigte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gegeben. Da sind natürlich nicht nur Vergewaltigungen, sondern auch sexuelle Nötigungen und andere Straftaten im Bereich des Sexualstrafrechts erfasst. Aber es ist dennoch eine relativ hohe Zahl. Wie man weiß, ist das Dunkelfeld erheblich höher. Man sagt, dass nur circa zehn Prozent aller Vergewaltigungen angezeigt werden. Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Das hat aber auch mit dem neuen Sexualstrafrecht zu tun, das Ende 2016 auf den Weg gebracht wurde. Seitdem gilt der Grundsatz "Nein heißt Nein", das hat die Schwelle, eine Anzeige zu erstatten, verringert.

Warum gehen viele dieser Frauen nach der Tat nicht zur Polizei und erstatten Anzeige?

Das hat damit zu tun, dass wir es meistens mit Tätern zu tun haben, denen das Opfer bekannt ist. So ein Fall wie in Kleinmachnow am vergangenen Wochenende, der fremde Täter im Park, das kommt tatsächlich seltener vor. Es ist häufiger so, dass Täter und Opfer sich kennen. Dass sie sich in einem Club kennen gelernt haben. Oder dass der Täter der Partner ist, ein Freund, ein Kollege. Und bei diesen Fällen zögern die betroffenen Frauen häufig, die Tat anzuzeigen, weil sie sich schuldig fühlen und glauben, etwas nicht richtig erkannt zu haben. Und sie haben auch Angst, dass man ihnen nicht glaubt. Gerade wenn der Täter aus dem eigenen sozialen Umfeld kommt, wird dem Opfer schnell eine Mitschuld gegeben. Und auch Abhängigkeiten können der Grund sein, dass keine Anzeige erstattet wird. Wenn es sich bei dem Täter etwa um den Chef oder den Ehemann handelt.

Was raten Sie den Betroffenen? Sollten Sie eine Anzeige erstatten?

Wir drängen Frauen nicht, die Tat zur Anzeige zu bringen, sondern wir erklären ihnen die Schritte und den Ablauf des Strafverfahrens. Es ist wichtig, dass die Betroffenen selber entscheiden, ob sie eine Anzeige machen wollen. Deshalb gibt es auch die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung. Die bietet in Potsdam das Klinikum "Ernst von Bergmann" an. Ich rate Betroffenen, auch wenn sie noch keine Anzeige stellen wollen, trotzdem möglichst sofort die Spuren sichern zu lassen und sich ärztlich versorgen zu lassen. Und dann sollten sie versuchen, mit jemandem zu sprechen, zu dem sie Vertrauen haben. Sie sollten damit nicht alleine bleiben. Sie sollten Hilfe in einer Beratungsstelle wie der unsrigen suchen. Und sie sollten sich vor allem klar machen, dass sie nicht schuld sind. Keiner hat das Recht, egal wie vorher der Kontakt zueinander war, so etwas zu tun.

Was sind die Fragen und Probleme mit denen die Betroffenen zu Ihnen in die Beratungsstelle kommen?

In Fällen, in denen der Täter noch nicht gefasst ist oder die Angst vor einer weiteren Begegnung da ist, geht es den betroffenen Frauen darum, wie sie Schutz und Sicherheit bekommen. Meistens beschäftigt die Betroffenen jedoch die Frage, wie sie mit diesem massiven Einschnitt im Leben klarkommen, wie sie die Tat überwinden können. Sie leiden unter Ängsten, Alpträumen, Scham- und Schuldgefühlen, Niedergeschlagenheit und so weiter. Die Frauen glauben oft, dass das eigene Leben nun komplett zerstört ist. Natürlich hat so eine Tat gravierende Folgen. Aber es gibt Viele, die das bewältigen können. Diesen Mut, diese Zuversicht möchte ich auch den Frauen mitgeben. Dass wenn man sich traut und sich Hilfe sucht, man damit fertig werden kann. Man muss nicht sein Leben lang darunter leiden.

Was raten Sie den Angehörigen und Partnern? Wie können sie den Betroffenen helfen?

Wir beraten auch die Angehörigen, weil sie ganz direkt miterleben, wie es den Betroffenen geht. Sie sind die wichtigste Unterstützung für die Betroffenen, können aber auch selbst überfordert sein. Wichtig ist immer zu signalisieren, „ich bin da, wenn du sprechen möchtest, habe ich ein offenes Ohr. Aber wenn du nicht reden möchtest, dränge ich dich auch nicht dazu.“ Den Betroffenen sollte es überlassen werden, ob und wann sie sich öffnen wollen. Auch weil es großen Stress bedeutet, sich an die Tat zu erinnern. Darum sind auch Erholungsphasen sehr wichtig. Das Thema einfach mal in Ruhe zu lassen. Wichtig ist auch, der Betroffenen nicht zu signalisieren, sie habe etwas falsch gemacht. Sondern zu betonen, „Nein, der Täter hat die Verantwortung, Du hast keine Schuld.“ Und die Angehörigen sollten die Betroffenen generell selbst entscheiden lassen, wie sie mit den Folgen der Tat umgehen wollen. Nach der Erfahrung von Ohnmacht und Ausgeliefertsein geht es darum, wieder die Kontrolle über das eigene Leben zurückzuerlangen. Man kann Vorschläge machen, aber man sollte nie drängen.

Wie können sich Frauen vor solchen Übergriffen schützen?

Wenn eine Tat wie in Kleinmachnow geschieht, dann macht das vielen Frauen Angst. Maßnahmen, um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen, können sein einen Alarmknopf bei sich zu tragen, das Handy griffbereit zu haben oder auch eine bessere Ausleuchtung sogenannter öffentlicher "Angsträume". Ein Selbstverteidigungskurs kann das Selbstbewusstsein stärken. Aber ob sich ein Täter davon abschrecken lässt, hat man nicht in der Hand. Empfehlungen für ein vermeintlich richtiges Verhalten bergen im Übrigen die Gefahr, die Verantwortung für die Tat den Betroffenen zuzuschreiben und Mitschuldvorwürfe zu verstärken. Prävention hingegen sollte vielmehr auf gesamtgesellschaftlicher Ebene erfolgen und bei der Täterentwicklung ansetzen.

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