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Landrat Wolfgang Blasig.

© Andreas Klaer

Interview | Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig: „Ich wollte was reißen“

Der SPD-Politiker über seinen gesundheitlich bedingten Rückzug und die Nachwendejahre als Kleinmachnower Bürgermeister.

Herr Blasig, Sie gehören vermutlich zu den wenigen Bürgermeistern in Deutschland, deren Namen jenseits der Grenzen ihrer Kommune zu hören und zu lesen waren. Wie fühlte sich das an: Bürgermeister von Kleinmachnow?
Da muss ich ein bisschen ausholen. In der Wendezeit war ich über das Neue Forum zum Runden Tisch gestoßen. Da gab es Landestische, Kommunaltische. Mit der Kommunalwahl 1990 wurde ich Beigeordneter. Da waren wir mit dem alles beherrschenden Thema „Rückgabe vor Entschädigung“ konfrontiert“.

Das bezog sich auf Häuser und Grundstücke auf dem Gebiet der DDR: Sie sollten den Eigentümern zurückgegeben werden, die vor der Entstehung der DDR im Grundbuch gestanden hatten. Wer dort vielleicht vierzig Jahre gewohnt hatte, musste sich etwas anderes suchen.
Außerdem ging es noch um Wirtschaft, Infrastruktur, Personal... Weil sich herausstellte, dass das Vorleben des Bürgermeisters, vorsichtig gesagt, nicht ohne Brüche war, kam ich bei der Wahl 1993 vom Maschinenraum nach vorne – ohne diesen zu verlassen. Kleinmachnow wirkte wie ein Labor der deutschen Einheit. Kleinmachnow hatte nationale, teils internationale Aufmerksamkeit. Die habe ich allerdings eher als störend empfunden.

Warum?
Wir hatten die wundersame Idee, dass – ohne das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung zu brechen – die Menschen, die „ihre“ Häuser verloren, nicht den Ort verlassen mussten. Auch mit Hilfe der Landesregierung und von Teilen der Bundesregierung konnten wir diesen Stolper Weg installieren, für den eine begünstigende Einheimischen-Regelung galt. So dass sehr viele dieser Menschen wieder zu einem Haus und einem Grundstück kamen. Das war eine kommunalpolitische Solidaritätsaktion, die heutzutage undenkbar wäre. Wir haben ja Menschen, die nicht zu den Ärmsten der Armen gehörten, erstaunlich bereichert. Damals war das durchaus friedensstiftend. Es entwickelte sich ein Miteinander – unter schwierigen Bedingungen. 

Wir haben uns damals anlässlich eines Besuchs von Klaus Töpfer in Kleinmachnow kennengelernt, bei einer Diskussionsveranstaltung im Kulturhaus.
Da kam der Richtige: der Bundesbauminister! Der frühere Umweltminister. Kleinmachnow war bürgerlich und ein bisschen grün angehaucht. Klaus Töpfer war der Mann, der Wege aufgezeigt hat. Mit klarem Kompass einem 450 Frauen und Männer starkem Publikum Wahrheiten zu sagen, ohne ausgepfiffen zu werden. Und Lösungen vorzuschlagen. Das hat mich – auch – dazu bewogen, das Bürgermeisteramt anzustreben. Das Kommunale liegt mir, zwischen einer schief stehenden Parkbank und einer Milliardeninvestition in wenigen Stunden hin und her zu pendeln. Das ist spannend. Aber es kann zehren. Und abschleifen.

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Wie meinen Sie das?
Das war immer meine Sorge: dass man abgeschliffen wird und mit Floskeln über alles hinweggeht und seinen Job aus dem FF beherrscht. Das gibt dann so eine Emotionslosigkeit, die nie die meine war. Ich wollte was reißen. Die Aufmerksamkeit hat mich erstaunt. Ich habe nicht daran gedacht, meinen Bart zu kürzen.

Wenn Sie sich an die heißen Diskussionen und das böse Blut wegen der Rückübertragungen erinnern: Hätte das alles verhindert werden können?
Damals war ich der Auffassung: ein anderes Prinzip, eine gesonderte Verfassung für den Osten et cetera pp –das hätte noch mehr Gräben geschaffen und eine Einheit als Rechts- und Sozialstaat in die Zukunft verschoben. Abgesehen davon, dass die innerdeutsche Einheit – wenn sie jemals bestanden hat – jetzt immer noch nicht da wäre. Was ich damals gar nicht so erkannt habe, war diese tiefe Verbitterung: In jedem dieser Häuser steckte ja ein Stück Lebensleistung. Und die wurde weggenommen. Wer da ein Haus bewohnbar gemacht hatte, der war angekommen. Der hatte Heimat. Damals, mitten im Gewühl, ging es darum, eine Lösung zu finden. 

Haben Sie eine Erinnerung an die Zeit als Bürgermeister, die für Sie bedeutet: Das hat sich wirklich gelohnt, das entschädigt für den ganzen Ärger?
Es ging im Stolper Weg (Anm. d. Redaktion: Für Menschen, die ihre Häuser räumen mussten, wurde die Siedlung am Stolper Weg gebaut) gut voran. Und es war immer, wie bei Sepp Herberger, „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Wir haben das Gewerbegebiet entwickelt. Wir mussten eine Autobahn-Abfahrt erkämpfen. Es gab den Konflikt um die Stammbahn. Das Verhältnis zu Berlin war zu normalisieren. Dann kam die Wahl, 1999. Da hatte ich 89 Prozent am Stolper Weg. Das war eine gewisse Bestätigung. Und als der Rathausmarkt fertig war, kam erbitterte Gegnerschaft zu mir und sagte: „Toll! Jetzt freu’ dich doch endlich!“

Haben Sie öfter mal gedacht, dass es Ihnen reicht mit der Politik?
Nee, ich hab’ das gerne gemacht. Ich konnte was bewirken. Wir haben Schulen gebaut und Straßen. Wir haben den Ort verändert. Manche fragten: Wo ist mein grünes Idyll? Aber das würde man heute auch nicht mehr akzeptieren.

Was nervt am meisten am kommunalen Politikbetrieb?
Das, was mich am Ende bewogen hat, zu sagen: es reicht. Man hat eine Vorstellung von dem, was erreicht werden kann. Aber die nächtelangen Diskussionen, dieses „Es ist alles gesagt, aber noch nicht von jedem“, das belastet. In den frühen 90er-Jahren hielt sich das noch in Grenzen. Bis dann in der Gemeindevertretung Kleinmachnow klar wurde: Debatten sind ein Abklatsch von Bundestagsdiskussionen. Man hat sich gegenseitig blockiert, bloß weil der Falsche den Vorschlag gemacht hatte. Dabei geht es in der Kommunalpolitik darum, mit dem Verstand zu bewerten, was das Richtige ist. Ich hatte dann das Gefühl: Eigentlich bist Du hier aufs Erste fertig. Und dann hat jemand gefragt, ob ich Lust hätte, als Landrat für Potsdam-Mittelmark zu kandidieren.

Was macht Ihnen Sorgen bei Betrachtung dieses Politikbetriebs?
Ich habe immer noch die abstruse Vorstellung, dass man Überzeugung, Vita, Lebensweise in die Kommunalpolitik einbringen sollte. Das wollen sich viele aber nicht zumuten. Sie sagen: Nö, das ist mir zu aufwendig. Das macht keine Freude. Da wirst du am Ende bedroht. Ich kann dazu nur sagen: Versucht es doch mal.

Gehen heute andere Leute in die Politik als kurz nach der Wende?
Ja. Als ich als Landrat mit Kollegen aus ganz Deutschland zu tun hatte, merkte ich: Für manche ist das der Gipfelpunkt der Karriere. Wir aus dem Osten waren Quereinsteiger. Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal oder wohlsituiertes Elternhaus, Jura, aber für eine Spitzenkanzlei hat es nicht gereicht – das ist in der alten Republik üblich.

Welches Amt bietet mehr Möglichkeiten: Das des Bürgermeisters oder das des Landrats?
Ich hatte das Glück, in einer Aufbruchszeit Bürgermeister zu sein. Da hatte man enorme Möglichkeiten. Als Landrat setzt man eher Dinge auf die Schiene. Man schafft Rahmenbedingungen, bringt Menschen zusammen. Und: Man verwaltet ein Budget. Man kann durch Organisation von Geldströmen Entwicklungen befördern – oder verlangsamen.

Haben Sie den Wechsel von der Kommunal- in die Kreispolitik mal bereut?
Nein. Landes- oder Bundespolitik kamen für mich nicht in Frage. Ich wollte Ideen entwickeln, erleben: es funktioniert. 

Wolfgang Blasig in seinem Büro: "Ich habe einen Schuss vor den Bug bekommen."
Wolfgang Blasig in seinem Büro: "Ich habe einen Schuss vor den Bug bekommen."

© Andreas Klaer

Landrat ist ein schöner, altehrwürdiger Begriff. Haben die Leute, genaue Vorstellungen von Ihrem Amt und Ihren Aufgaben.
Es macht den Leuten Spaß, „guten Tag, Herr Landrat“ zu sagen. Aber ich habe im Wahlkampf 2016 gemerkt, dass Leute fragen: Was macht so ein Landrat? Müllabfuhr, Rettungsdienste – alles, was der Kommune für gewöhnlich zugeordnet wird, macht der Landkreis. Der Bürgermeister wird für alles verprügelt, was in der Kommune schiefläuft, der Landrat für die Fehlleistung der Landes-, Bundes- und EU-Politik. Der Bürgermeister ist Staat zum Anfassen. Der Landrat auch, auf einer anderen Ebene.

Wieviel von Ihrer Zeit verbringen Sie mit Verwaltung und wieviel mit Gestaltung?
Die Unterscheidung habe ich nie getroffen. Ohne gute Verwaltung kann man nicht gestalten. Ich kann als Primus inter pares gestalten. Man muss wissen, dass man eine Verwaltung leiten kann.

Wie viele Menschen arbeiten im Kreis?
Ich habe etwa tausend Mitarbeiter. Aber ich sehe die Nachwuchslage mit Sorge. Es gelingt uns kaum, gute Fachleute zu finden. Wenn Verwaltung schlecht wird, werden Entwicklungen chaotisch. Mein Spruch lautet: Besser als Berlin zu sein, ist kein Kriterium der Qualität.

Was hätten Sie gern noch angepackt?
Es gibt Projekte wie einen Verwaltungsneubau, der der modernste in Europa werden soll. Das werde ich nicht mehr erleben – als Landrat.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Ich habe einen Schuss vor den Bug bekommen. Seitdem achte ich mehr auf mich und es wird auf mich geachtet. Ich bin mit mir im Reinen.

Haben Sie schon über die Zeit nach dem März 2022 nachdenken können?
Ich möchte etwas von der näheren und der entfernteren Welt sehen. Ich habe drei Kinder und fünf Enkel. Und ich möchte etwas tun, was ich vor der Wende gemacht habe, da habe ich gezeichnet und gemalt. Es gibt einen Spruch von Camille Corot: Die Malerei ist wie eine Geliebte. Wenn man sich ihr hingibt, hat man alle Wonnen dieser Welt. Wenn man sie vernachlässigt, rächt sie sich bitterlich. Mal sehen, was die Hände noch können.

Das Interview führte Werner van Bebber

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