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Potsdam-Mittelmark: Im Namen der Erinnerung

Heute wird ein Stolperstein in Rehbrücke zum Gedenken an Alice Bloch gesetzt

Nuthetal – „Sara“ – es waren womöglich vier Buchstaben, die der Rehbrückerin Alice Bloch, verheiratete Bönicke, zur Zeit der Judenverfolgung in Deutschland zum Verhängnis wurden. Eine NS-Frauenschaftsführerin hatte der Gestapo in den 1940er Jahren gemeldet, dass Alice Bloch auf einem Arbeitsamtspapier nicht den Zwangsvornamen „Sara“ beigefügt hatte, wie es Juden seit 1939 auferlegt worden war. Ob dies der Anlass war, blieb unklar: Die Jüdin Alice Bloch wurde jedenfalls verhaftet. Sie war dem NS-Staat schon länger ein Dorn im Auge. Ihr Mann, ein Arier, hatte lange versucht, seine schützende Hand über die Künstlerin und Mutter seines Sohnes zu legen. Am 20. November 1943 wurde Alice Bloch mit 45 Jahren im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Heute erhält sie einen Stolperstein – den ersten in Rehbrücke. Knapp 65 Jahre nach dem Tod Blochs ist es der privaten Initiative Rüdiger Klärings zu verdanken, dass der Stein am letzten Wohnsitz der Rehbrückerin gesetzt wird. Der kleine goldene Stolperstein wird ab heute Nachmittag in der Jean-Paul-Straße 18 an ihr Schicksal erinnern.

Geboren wurde die Lausitzerin 1898 in Forst. In ihren gemeinsamen Studienjahren an der Königlichen Kunstschule Berlin lernt Alice Bloch ihren späteren Mann, Gerhard Bönicke, kennen. Die Innenarchitektin und Kunstgewerblerin gründet 1929 mit ihm in Rehbrücke ihr Architektur-Atelier. Im selben Jahr heiraten sie. Nach eigenen Entwürfen wird ihr Haus errichtet, das sich zu einem Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen entwickelt.

1935 wird ihr Sohn geboren. Doch als deutscher Ehemann unter der braunen Herrschaft zu seiner jüdischen Frau zu stehen, galt als frevelhaft. Noch im selben Jahr wird die Familie aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen, ein Jahr später auch aus der Reichsschriftkammer. Die finanzielle Existenz der Familie ist bedroht. Das Berufsverbot zwingt die Eheleute zu Gelegenheitsarbeiten. Gerhard Bönicke ist als „unzuverlässiger Volksgenosse“ für „wehrunwürdig“ erklärt. Trotz der schwierigen Lebensumstände und der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden, helfen Alice Bloch und ihr Mann in Rehbrücke einigen verfolgten Juden, verstecken sie sogar im eigenen Haus. 1939 entscheiden sich die jungen Eltern, mit ihrem Kind in Deutschland zu bleiben – ein schicksalhafter Entschluss.

Bis zu seinem Tod im Oktober 2004 ist Blochs Sohn Jan-Michael nie mit den Ereignissen seiner Kindheit und dem Tod der Mutter fertig geworden. Erst in der jüngeren Vergangenheit hatte er die Kraft gefunden, sich mit den Tagebuchaufzeichnungen seiner Mutter auseinanderzusetzen. Sein Vater gab ihm bis zu dessen Tod 1981 nicht die Chance, die Geheimnisse um das Leben und Wirken der Mutter aufzuhellen. Sein Sohn machte daraus ein Buch, ohne genau auf Namen und Orte einzugehen.

Bereits seit 1953 trägt eine Straße in Bergholz-Rehbrücke den Namen der ermordeten Jüdin Alice Bloch, nun soll der Stolperstein die Geschichte um die Künstlerin wieder in Erinnerung rufen. Denn Erinnerung ist wichtig, sagt Rüdiger Kläring: Das wieder aufkommende braune Gedankengut ruft Unverständnis bei ihm hervor, „wir müssen gegen das Vergessen angehen“. Durch Freunde war Kläring auf das Stolperstein-Projekt von Gunter Demnig aufmerksam geworden – eine Kunstaktion zum Gedenken an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus. Fast 15 000 Steine sollen in der Zwischenzeit in ganz Europa verlegt worden sein.

Bereits am Vormittag wird Rüdiger Demnig sieben weitere Stolpersteine in Potsdam verlegen – für die Erinnerung.

Das Buch von Jan-Michael Bönicke alias Elias Gutenfeld ist im Fachhandel unter dem Titel: „Jonathan wider die Geier oder Was das Leben eines ,Halbjuden“ prägte“, erhältlich.

Ute Kaupke

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