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Grenze Teltow-Lichterfelde: Wildwuchs am Mauerstreifen

Ein Lichterfelder klagt gegen Pappeln, die seit der Wende hinter seinem Grundstück hochgeschossen sind. Dort befindet sich die Stadtgrenze zu Teltow. Ein ungewöhnlicher Nachbarschaftsstreit.

Teltow/Berlin - Nein, die Pappeln am Grenzstreifen gab es noch nicht. Früher schaute Wolfgang Paul vom Garten seines Reihenhauses in Berlin-Lichterfelde auf den drei Meter hohen Grenzzaun. Auf dem Ödland dahinter patrouillierten Soldaten. „Die Grenzer haben vor dem Zaun regelmäßig alles niedergemäht und den Streifen freigehalten“, erinnert sich der 79-Jährige. Nach der Wende konnten sich dann Gehölze und Gräser frei entfalten. Erst da begann für Wolfgang Paul der Grenzkonflikt mit den lästigen Pappeln. Als es ihm zu bunt wurde, schritt er zur Tat, jetzt wird das Landgericht zu dem Streitfall an der Landesgrenze entscheiden müssen.

Hinter dem Gartentor seines Grundstücks im Lichterfelder Westfalenring sind in den vergangenen Jahren sechs Zitterpappeln in die Höhe geschnellt. Nicht nur dass sie mittlerweile die Sonnendauer auf der Terrasse des Reihenhäuschens einschränken, die Wurzeln haben sich inzwischen mehrere Meter in den mühevoll angelegten Ziergarten gebohrt. Im Frühjahr treiben sie aus und zerlegen Rasen und Hecke mit Pappel-Sprösslingen. „Die Austriebe verstreuen sich über das ganze Grundstück“, ärgert sich Gattin Jutta Paul.

Nachbar ist die Stadt Teltow

Seit vier Jahren kämpft das Paar nun um den Garten, um Besserung und nicht zuletzt ums Recht. Ein klassischer Nachbarschaftsstreit und doch wieder nicht. Denn Pauls Nachbar ist nicht irgendeiner, sondern die Stadt Teltow. Die hält an dem Grenzbiotop fest, was für die Pauls die Sache erschwert. Zudem trennt Pauls südwestliche Grundstücksgrenze nicht nur Teltow von Lichterfelde, sondern auch Brandenburg von Berlin.

Als die Pauls vor fünf Jahrzehnten ihr Reihenhäuschen in der von der Baugenossenschaft „Neue Heimat“ errichteten Siedlung bezogen hatten, konnten sie von all dem Unheil noch nichts ahnen. Dann fiel die Mauer und die neuen Pappeln, die die Landesgrenze markieren, wollten nicht aufhören zu wachsen. Zunächst schrieb Bauingenieur Paul an den Teltower Bürgermeister, forderte die Beseitigung des Übels ein. Als nichts geschah, nahm er sich einen Anwalt. Mit einer Verhandlung vor dem Amtsgericht Potsdam im Juni vergangenen Jahres erreichte der Streit seinen vorläufigen Höhepunkt.

Beseitigungspflicht ist nicht anwendbar

Das Amtsgericht gab der Stadt Recht und wies die Klage ab. Weil es sich bei den Nachbarn um unterschiedliche Bundesländer handele, käme das Nachbarrechtsgesetz mit seinen Mindestabständen für Baumpflanzungen nicht zum Tragen, sondern das Bürgerliche Gesetzbuch. Doch aus dem ergebe sich keine Beseitigungspflicht. Ludwigs Rechtsanwalt Jens Robbert hält die Auffassung des Gerichts für rechtsfehlerhaft, da sie gegen Grundsätze des „interlokalen Privatrechts“ und auch gegen Nachbargesetze beider Länder verstoße, schreibt er in der Begründung seiner Berufung, die er vorsorglich einlegte.

Vorausgegangen war ein reger Schriftverkehr, den Wolfgang Paul mit der Stadt und diversen Behörden führte. Er hat alles dokumentiert, fotografiert, errechnete das Maß der Verschattung. Mit einem Dreisatz ermittelte er die Höhe der Bäume. Das sei wichtig, erklärt er. Denn die Bäume würden zwar den per Gesetz geforderten Mindestabstand von vier Metern wahren, nach Brandenburgischem Nachbarschaftsgesetz müssten jedoch Abstand und Baumhöhe in Relation gebracht werden und der Abstand mindestens ein Drittel der Höhe betragen. Je höher die Bäume wachsen, desto größer muss der Abstand sein. Paul forderte, die nach seinen Messungen rund 20 Meter hohen Pappeln mindestens regelmäßig auf 16,50 Meter zu stutzen, besser ganz zu beseitigen, auch das Wurzelwerk.

Das Ehepaar Paul ist kein Einzelfall

Der Prozess kam ins Rollen, die Stadt Teltow fuhr immer neue Argumente auf. Zunächst war sie nicht Eigentümer der Fläche, dann für die Fällung der Bäume nicht genehmigungsberechtigt. Zuletzt führte sie den für sie rechtsverbindlichen Grünordnungsplan „Ehemaliger Grenzstreifen“ ins Feld. Der umfasse nicht nur die dort 1995 etwa 1000 gepflanzten Zierkirschen – eine Spende japanischer Bürger zur Wiedervereinigung –, sondern auch die „naturnahe Gehölzfläche“, die zu erhalten und zu entwickeln sei. Für Anwalt Robbert alles Versuche, einen möglichen Präzedenzfall abzuwehren.

Der Fall Paul ist kein Einzelfall. Auch die Nachbarin der Familie klagt über den Wildwuchs am Mauerstreifen, kann sich aber aufgrund gesundheitlicher Sorgen nicht engagieren. Andere wollen es nicht, haben kein Vertrauen in Recht und Gesetz, sagt Robbert. 20 Anlieger sind es allein in Pauls Siedlung, die unmittelbar am Grenzstreifen wohnen.

Folgen der Wiedervereinigung

„Es geht hier um einen klassischen Konflikt aus dem Bereich der Folgen der Wiedervereinigung“, meint Rechtsanwalt Robbert. Die öffentlichen Gebietskörperschaften, die die Verantwortung für den ehemaligen Todesstreifen übernommen haben, ließen diesen verwildern, was zu den strittigen Folgeschäden für angrenzende private Grundstückseigentümer führe. „Es zeigt sich die Tendenz, Folgeprobleme der Maueröffnung einfach unter den Teppich zu kehren.“

Mittlerweile gab es ein Mediationsgepräch, Anwalt Robbert bat um ein zweites, denn bislang habe sich die Stadt Teltow nicht bewegt. Robbert hat für seinen Mandanten angeboten, die Bäume zu fällen und sich die Kosten dafür zu teilen. Ob das Gericht einem weiteren Gütetermin zustimmt, ist jedoch ebenso offen wie die Einwilligung der Stadt.

Sie möchte sich aufgrund des laufenden Klageverfahrens nicht äußern, erklärte Pressesprecherin Andrea Neumann. Das Gericht solle sich „unabhängig auseinandersetzen und entscheiden“.

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