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Das Dach eines Hauses in der Nähe des Bombenfundortes in Stahnsdorf.

© Ottmar Winter

Gesprengte Fliegerbombe in Stahnsdorf: Mangelhafte Abstimmung schuld an Desaster

Große Schäden nach der Bombensprengung: Hätten sie vermieden werden können? In diesem Fall nicht, sagt Sprengmeister Mike Schwitzke, denn die Fehler wurden im Vorfeld gemacht. Ein Überblick.

Von Enrico Bellin

Stahnsdorf - Der Fundort der Fliegerbombe, die in der Nacht zum Samstag in Stahnsdorf gesprengt werden musste, war noch nicht ausreichend auf Munitionsreste abgesucht worden. Hätten die Schäden an vielen Häusern vermieden werden können? Und bekommen Stahnsdorfer trotzdem Geld von ihren Versicherungen?

Warum wurde die Erde, unter der die Bombe lag, bewegt? Gab es keine Untersuchung?

Die Antwort ist komplex: Das Unternehmen Bonava errichtet auf der Fläche in der Wilhelm-Külz-Straße sechs Mehrfamilienhäuser mit 66 Wohnungen. Eine Munitionsfreigabe für die Fläche gab es vom Landkreis nicht – dies heißt, dass das Areal vor Beginn der Arbeiten noch nicht von Kampfmittel-Spezialisten untersucht worden war. Bonava hat daraufhin nach eigenen Angaben gemäß den Auflagen einen Kampfmittelexperten beauftragt, den Boden zu untersuchen, bevor Erdarbeiten ausgeführt werden. Mit der Untersuchung auf Kampfmittel sowie mit den Erdarbeiten seien Subunternehmer beauftragt worden, so Bonava. Am besagten Freitag, als die Bombe gefunden wurde, sollte eigentlich nur Erde, die bereits durch den Experten untersucht worden war, bewegt werden, um eine Grube zu verfüllen, so schilderte Bonava am Dienstag in einer Pressemitteilung. Der Kampfmittelexperte sei an diesem Tag nicht anwesend gewesen. Die schon geprüfte Erde habe jedoch nicht ausgereicht. Deshalb sei Boden eines zweiten Bauabschnittes ausgehoben worden, der noch nicht abschließend freigegeben worden war. „Dieses Vorgehen unseres Nachunternehmers war leider nicht mit uns abgestimmt und zu diesem Zeitpunkt auch nicht vorgesehen. Bei diesen Arbeiten im zweiten Bauabschnitt ist die Fliegerbombe entdeckt worden“, heißt es in der Pressemitteilung. Auch Mike Schwitzke vom Kampfmittelbeseitigungsdienst, der die Bombe in der Nacht zum Samstag gesprengt hatte, bestätigte am Dienstag diese Schilderung der Bonava gegenüber den PNN. Der Landkreis, der für die Bauaufsicht zuständig ist, konnte am Dienstag auf Anfrage noch keine Auskünfte geben, ob auf der Baustelle bis Freitag alle Vorgaben eingehalten wurden und der Kampfmittelexperte wie von der Bonava geschildert Untersuchungen durchgeführt hat.

Ein Garagentor wurde von der Wucht der Detonation eingedrückt.
Ein Garagentor wurde von der Wucht der Detonation eingedrückt.

© Andreas Klaer

Was wäre anders gelaufen, wenn der Experte die Bombe gefunden hätte?

Hätte der von der Bonava beauftragte Kampfmittelexperte die Bombe gefunden, bevor der Bagger sie berührt hätte, hätte der Kampfmittelbeseitigungsdienst deutlich mehr Zeit für die Evakuierung des Sperrkreises rund um den Fundort gehabt und die Sprengung besser vorbereiten können, so Mike Schwitzke. „Wäre die Berührung der empfindlichen Bombe mit dem chemisch-mechanischen Langzeitzünder unterblieben, hätten wir die Räumung besser koordinieren können.“ Eventuell hätte man die Bombe auch besser abdecken können. Bei ihrer Explosion waren mehrere Häuser beschädigt worden, zwei gelten weiterhin als unbewohnbar. Vor der Sprengung war ein Entschärfungsversuch misslungen. Schwitzke warnt jedoch davor, zu suggerieren, man hätte Schäden an den Häusern verhindern können: Wäre die Bombe vor der Detonation besser abgedeckt worden, hätte sich die Druckwelle eventuell stärker im Erdreich ausgebreitet und Risse in den Bodenplatten der Häuser verursacht. „Das hätten die Bewohner vielleicht nicht gleich gesehen“, so Schwitzke. Spätestens beim nächsten Starkregen hätte dann jedoch Wasser im Keller gestanden. Eventuell wären die Schäden sogar größer geworden, als sie nun ausgefallen sind. „Eine kontrollierte Sprengung einer 500-Kilo-Bombe in dicht bewohntem Gebiet gibt es nicht“, so Schwitzke.

Wer zahlt nun für die Schäden, wenn es ein Fehlverhalten auf der Baustelle gab?

Stahnsdorfer müssen sich trotz eines möglichen Fehlverhaltens auf der Baustelle keine Sorgen darüber machen, auf dem, an ihren Häusern entstandenen Schäden sitzenzubleiben. Das sagte Kathrin Jarosch vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) den PNN am Dienstag. „Die Stahnsdorfer können ihre Schäden trotzdem an ihre Versicherer melden, die die dann auch übernimmt.“ Schäden am Haus werden von der Gebäudeversicherung, Beschädigungen im Inneren von der Hausratversicherung übernommen. Der Versicherer wiederum prüfe in jedem Fall, wer den Schaden verursacht hat. Wenn sich herausstelle, dass die Bonava oder ihr Subunternehmen ursächlich für die Explosionsschäden sei, könne dies ein Fall für deren Betriebshaftpflichtversicherung werden. Die Stahnsdorfer bekommen auch dann ihr Geld von ihrer jeweiligen Versicherung zurück, die sich den Betrag eventuell von der Betriebshaftpflicht zurückholen will. Die Bonava selbst konnte am Dienstag noch keine Angaben zu Versicherungs- und Haftungsfragen machen, da man selbst noch in der Prüfung sei.

Wie wurde der Schaden in ähnlichen Fällen reguliert?

Der letzte große Fall von Schäden durch eine Bombenexplosion, der dem GDV bekannt ist, war eine Sprengung nach einem Bombenfund im Münchner Stadtteil Schwabing im Jahr 2012. Eine 250-Kilogramm-Bombe – also halb so groß wie das Stahnsdorfer Exemplar – war dort zunächst mit Stroh bedeckt und zwei Tage nach dem Fund zur Explosion gebracht worden. Das Stroh entzündete sich, eine Boutique brannte völlig aus. Weiterhin wurden unter anderem ein Tonstudio und ein Getränkemarkt beschädigt. Der Versicherer Axa ersetzte seinen Kunden den Schaden in Höhe von rund 400 000 Euro, verklagte dann aber die Stadt München, die federführend für den Einsatz zuständig gewesen sei und schwere Fehler gemacht habe. Es folgte ein langer Rechtsstreit. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hat, haben sich dann 2019, also nach sieben Jahren, die Prozessbeteiligten auf einen Vergleich geeinigt, dessen Inhalt nicht öffentlich wurde.

Wann wird in Stahnsdorf wieder gebaut?

Auf der Baustelle waren auch am Dienstag noch Statiker, Vermesser und weitere Experten gewesen, wie die Bonava mitteilte. Die Auswirkungen der Detonation würden noch untersucht. „Die Bauarbeiten ruhen, bis alle Prüfberichte vorliegen“, so das Unternehmen. „Wir gehen davon aus, dass wir im Laufe der nächsten Woche Näheres zum weiteren Bauablauf sagen können.“ Nach ursprünglichen Plänen sollte der Bau der 66 Eigentumswohnungen bis Ende nächsten Jahres abgeschlossen werden.

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