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Die Eiche an Kreinsens Haus.

© hkx

Potsdam-Mittelmark: Gefahr aus der Selbstmördereiche

Eichenprozesssionsspinner beunruhigt Geltower Anwohner. Das Rathaus hilft – obwohl es nicht muss

Schwielowsee - Hautrötungen, Schwellungen, Juckreiz, Brennen: Rund um die 300-jährige Eiche in der Petzinstraße zeigen sich die Nachbarn in den letzten Wochen ihre entzündeten Hautstellen. Sie erinnern sich plötzlich wieder daran, dass der Baum bei den Geltowern als „Selbstmördereiche“ bekannt war – angeblich, weil unter der heutigen Straße mal welche begraben wurden. Sie schauen hoch in die Krone zu den nistenden Tauben. Und sie zählen die weißen Gespinstnester in den Ästen. Ein ganzes Dutzend.

Vor ein paar Wochen habe sie ein Nachbar auf die Raupenkarawane am Stamm der Eiche aufmerksam gemacht, erzählt Doris Kreinsen. Eichenprozessionsspinner! Der alte Straßenbaum steht direkt an ihrem Grundstück, ein Drittel ihres Gartens traut sich Kreinsen nicht mehr ohne die alte, kapuzenbewehrte Öljacke zu betreten. Sie ist die Hauptbetroffene in der Straße. Die gut behangenen Erdbeeren und die Kräuterspirale werden in diesem Jahr nicht abgeerntet, wohl auch die Apfelbäume nicht.

Kreinsen klagt über entzündete Hautstellen, am Samstagabend hat es beim Rasenmähen auch ihren Partner erwischt. Als ihre Tochter und ihr elfmonatiges Enkelkind unlängst vorbeischauten, kam der heftige Juckreiz, obwohl sie sich schon nur auf die Terrasse trauten. Die Haare der Raupen sind mit Haken und einem Nesselgift bestückt, sie brechen leicht ab und hängen oft über Jahre mit den Larvenhäuten in den weißen Nestern. „Der Wind trägt das in die ganze Umgebung“, meint Kreinsen. Bei manchen „Opfern“ dauert es zwei Tage, bis die Reizung wieder weg ist. Bei ihrer Tochter, die schon hautkrank ist, hört es gar nicht wieder auf.

Doris Kreinsen hält nichts von Kettensägen, sie mag die alte Eiche. Auf der anderen Seite wundert sie sich, dass die Gemeinde nichts tut. Ein Nachbar hatte sofort das Ordnungsamt alarmiert. Auch Kreinsen ist aktiv geworden, hat der Bürgermeisterin geschrieben. „Ich habe dem Rathaus mitgeteilt, dass ja auch Fußgänger und radelnde Schulkinder in Gefahr sind“, sagt sie. Kindergärtnerinnen würden ihre Krippenkinderwagen durch die Straße schieben. Kreinsen fragt sich, ob die Bekämpfung der Schädlinge nicht unter die Verkehrssicherungspflicht fällt.

Vom Rathaus hat sie bislang nur zugesagt bekommen, dass man am Donnerstag das „Totholz“ aus der Eiche entfernen will. Kreinsen findet es fast gefährlich, in dieser Situation Baumschnittarbeiten durchzuführen. Auf PNN-Anfrage versicherte Vizebürgermeisterin Ute Lietz gestern, dass damit gemeint sei, auch die Nester der Raupen zu entfernen. „Das machen Fachleute.“ Einen Anspruch darauf gebe es aber nicht.

Aus Sicht des brandenburgischen Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft ist in Siedlungsbereichen der Eigentümer in der Pflicht, auf dessen Grund die befallene Eiche steht. Er müsse, so Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade, die Raupen mit geeigneten Pflanzenschutzmitteln bekämpfen. „Chemische Bekämpfungsmaßnahmen sind aufgrund der fortgeschrittenen Larvenentwicklung jetzt nicht mehr sinnvoll“, so Schade. „Zur Reduzierung des allergenen Potenzials der Raupennester können diese mechanisch entfernt werden, am besten ist das Absaugen durch Fachfirmen.“ Eine gesetzliche Verpflichtung zur Beseitigung der Schmetterlingsraupen gibt es außerhalb von Wäldern nicht, wie auch Schade betont.

Rechtlich gesehen sei der Spinner kein Gesundheitsschädling, sagt Schwielowsees Vizebürgermeisterin Lietz. Die Gemeinde habe ohnehin keine Möglichkeit, auf die Dutzenden von Anrufen zu reagieren. Von den dichten Wäldern rund um die Ortsteile hat sich die Larve in die Siedlungen vorgefressen. „90 Prozent aller Anfragen gibt es zurzeit zum Eichenprozessionsspinner“, so Lietz. Die Gemeinde habe eine Fachfirma beauftragt, um zumindest an Kitas, Schulen, Bushaltestellen und auf Spielplätzen die Sicherheit zu gewährleisten. Manchmal werden auch Warnschilder aufgestellt. An der Buswendeschleife in Caputh habe die Feuerwehr nach einem Bürgerhinweis denWaldrand abgesperrt. Die Nester lagen schon auf dem Weg. „In Extremsituationen versuchen wir zu helfen“, so Lietz.

Bis zu sieben Jahre soll es dauern, bis der Spinner sein Werk vollbracht hat und die Eiche abstirbt. Es scheint fast sicher, dass sich bald Gerichte mit dem Thema befassen müssen. „Man kann uns nicht so lange mit dem Problem allein lassen“, sagt Doris Kreinsen. Wird ihr nicht bald geholfen, dann würde sie auch klagen.

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