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Potsdam-Mittelmark: Fund im Wald

In Caputh wurde ein Relikt der DDR-Grenzanlage gefunden. Nun steht der Schlagbaum-Fuß in Dreilinden.

Kleinmachnow - Niemand hatte die Absicht, eine Mauer zu bauen. Und niemand ist gerne eingesperrt. Beides aber geschah in der DDR. Das Land wurde damit zu einem streng bewachten Gefängnis, das „Politbüro“ stellte die Aufseherschaft.

Angesichts von Streckmetallzäunen, Mauern und Gitter gab es auch manchen Ausbruchsversuch, gut oder böse endend. Mal suchte man die Flucht mit einem Ballon, dann im Inneren einer ausgestopften Deko-Kuh, oder jemand preschte per Lkw mit voller Wucht in eine Sperranlage hinein. All das wurde staats- und stasiseitig ausgewertet, man war ja an der Perfektionierung der Grenzsicherungsanlagen interessiert. Und so erfand man Rollsperren, Passagensperrtore, Sperrschlagbäume und anderes Ungetüm.

Als die Mauer dann fiel, hatten es alle sehr eilig, auch die letzten Reste davon wegzuräumen und zu vernichten. Aus den Augen, aus dem Sinn? Ein paar Aktivisten blickten weiter als das freiheitstrunkene Volk: Irgendwann würde keiner mehr eine Vorstellung von diesen betoneisernen Grenz-Gespenstern haben. Also sammeln, schützen und bewahren, was noch übrig ist. Auch den zerlederten Führungsturm der Grenzübergangsstelle (Güst) Kleinmachnow/Dreilinden im jetzigen Europarc. Seines Geschickes nahm sich der Verein Checkpoint Bravo in eigener Regie an, und machte aus ihm ein Museum samt Begegnungsstätte, die selbst nach 25 Jahren Einheit 4000 bis 5000 Besucher jährlich zählt, ehemalige Transitler und Geflohene, Eingesperrte und Neugierige. Der Besuch von Schulklassen, beklagt Vereins-Chef Peter Boeger, habe sehr nachgelassen.

Vielleicht ändert sich das durch ein bemerkenswertes Fundstück, auf das die Vereinsmitglieder an diesem frühen Montagmorgen schon sehnsüchtig warten. Der Transport durch das Holzfachzentrum Potsdam verzögert sich etwas, aber so lange kann man sich den ehemaligen Kommandantenturm mit seiner Dauerausstellung „Freundwärts Feindwärts“ ansehen. Dort steht etwa das überlebensgroße Gerippe einer Grenz-Fernsprechanlage, Spiegel am Stiel, um den Westautos quasi unters Chassis zu schauen, Trainingswaffen für die Stasi, auch leicht vergammelte Ehren-Orden.

Das Obergeschoss ist bis auf Bauchhöhe kugelsicher konstruiert, rundum erzählen Schautafeln von der Geburt dieser Grenze bis zu ihrer Befreiung. Auch Einzelschicksale sind hier dokumentiert, obwohl es nach Boeger gar nicht so leicht ist, die Akten auszuwerten, denn die Stasi hatte alle Vorgänge nach Namen – und nicht nach dem Ort eines Geschehens – sortiert. Er muss es wissen, schließlich ist er bei der Bundesbehörde für Stasiunterlagen am Berliner Alexanderplatz beschäftigt. Selbstschuss-Anlagen sind übrigens nicht unter den Exponaten, vielleicht wäre das auch zu gefährlich. Dafür wird das Turmgeviert heute mit einem kleinen grünen Grenzzaun gegen Kröten und Reptilien verteidigt.

Nun, mit guter Verspätung kommt der Fund aus dem Wald an. Und mit ihm der Finder, Jörg Kirchhoff, Mitinhaber der Brau-Manufaktur Forsthaus Templin und zugleich Jagdpächter der Kiesgrube von BZR Richtung Caputh. Und eben dort, in diesem kuhligen Gelände, entdeckte er den mehr als zwei Tonnen schweren Betonklotz, der vielleicht zum Schreddern zu groß war. Wie er dorthin kam, weiß selbst Wolfgang Bernhardt nicht, Denkmalschützer einst und Mitglied im Bravo-Verein. Das gelb-schwarz markierte Unding wurde als „Gegenlager eines Sperrschlagbaums Typ Salzwedel“ identifiziert. Es könnte von der Grenzüberwachung – kurz „Güs“ – Dreilinden, aber auch von der Glienicker Brücke stammen. Dort gab es ja Versuche, mit einem schweren Lkw „durchzubrechen“. „Typ Salzwedel“ war quasi die Antwort der Stasi auf diesen Vorfall.

Als dann dieser Hart- und Spezialbeton per Autokran seinem letzten Ruheplatz zuschwebt, glaubt man unter den Anwesenden gewisse Glücksgefühle zu erkennen, auch wenn der Jäger und die Männer vom Holz alles alleine ausrichten müssen. Nun liegt der Grauklotz am Rechtsknick des Turmweges, da, wo zehn Info-Außentafeln auf braunrostigen Stahlstelen Wind und Regen trotzen. Ruhe in Frieden.

An diesem nasskalten Morgen treffen sich Tendenz und Gegentendenz im gemeinsamen Spiel: Einerseits sieht man, wie schnell Geschichte zur Archäologie zerrinnt, andererseits das Bemühen, etwas von dem zurückzuholen, was einst mit so viel Euphorie beseitigt wurde. Wer hätte das vor 25 Jahren gedacht.

Aber auch tragische Schicksale verblassen in der Zeit. Jenes von 1973 etwa, als ein Ehepaar mit ihrem 15 Monate alten Baby in einer präparierten Kiste floh. Bei der Grenzkontrolle wollte das Kind schreien, die erschrockene Mutter hielt ihm den Mund zu. Sie kamen „rüber“, doch der Junge war tot, erstickt von der Hand seiner Mutter. Auch das ist ein Exempel zum Thema, frage jeder selber, wofür.

Gerold Paul

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