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Flüchtlingsunterkunft "Haus Polygon" in Michendorf.

© Andreas Klaer

Flüchtlingsunterkünfte während der Coronakrise: Gefahr auf engem Raum

Der Kreis Potsdam-Mittelmark sieht sich auf Corona-Ausbrüche in Flüchtlingsunterkünften vorbereitet. Die Verantwortlichen der Häuser stehen vor einer großen Herausforderung.

Von Eva Schmid

Wer ins Haus will, muss sich ausweisen, täglich müssen Flure, Türgriffe, Treppengeländer desinfiziert werden. An den Wänden hängen gleich in mehreren Sprachen die neuen Regeln. Die Coronakrise hinterlässt auch in den mittelmärkischen Flüchtlingsheimen ihre Spuren. Seit Mitte März gilt in den Häusern ein Betretungsverbot für Fremde. Es gilt Abstand zu halten. Doch wie ist das möglich, wenn Küche, Bad und Toiletten von bis zu 200 Menschen gemeinsam genutzt werden?

Verdachtsfälle können aus Platzgründen nicht isoliert werden

„Viele Menschen auf engem Raum, das ist eine Herausforderung“, sagt Fabian Gunkel vom Verein Soziale Arbeit Mittelmark, der das Haus Polygon in Michendorf betreibt. Zumindest bis zum Mittwoch vor den Osterfeiertagen war Gunkel kein Verdachtsfall in der Einrichtung bekannt. In Michendorf leben aktuell rund 240 Menschen, vor allem Familien mit kleinen Kindern. Sollte es einen Verdachtsfall geben, könnte die Person nicht in der Unterkunft isoliert werden, sagt Gunkel. Das würde aus Platzgründen nicht funktionieren.

In Potsdam wurde jüngst eine komplette Gemeinschaftsunterkunft mit rund 140 Menschen unter Quarantäne gestellt, weil die infizierte Familie Kontakt zu vielen Bewohnern des Hauses hatte. So eine drastische Maßnahme will sich Gunkel nicht ausmalen, er ist froh, dass bisher alles glimpflich verlaufen ist. „Die Bewohner sind bis jetzt erstaunlich ruhig“, so Gunkel. Sollte es zu einem Verdachtsfall oder einer Infektion kommen, sei zudem auch der Kreis für eine Isolation zuständig. „In den Unterkünften sind Isolierungsmöglichkeiten in den Häusern, aber auch separat, vorbereitet“, so Kreissprecher Kai-Uwe Schwinzert. Der Landkreis habe sich frühzeitig auf die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen mit den Gemeinschaftsunterkünften verständigt.

Gemeinsame Nutzung von Küche und Bad erhöht die Ansteckungsgefahr

Zehn Einrichtungen gibt es derzeit im Kreis, davon werden in acht die Küchen und teilweise auch die Sanitärbereiche gemeinsam genutzt. So zum Beispiel in der Unterkunft in Bad Belzig, die ebenfalls von Gunkels Verein betrieben wird. Durch die gemeinsame Nutzung von Küche und Bad kann die Ansteckungsgefahr erhöht werden. Die Lage in Bad Belzig beschreibt Gunkel aufgrund der Coronakrise schwierig. Auch in Bad Belzig leben über 200 Geflüchtete.

Es gilt, Abstand zu halten, doch das geht praktisch kaum. Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, hat das Land auch Betreibern von Flüchtlingsunterkünften eine Handlungsanweisung gegeben. Darin steht zum Beispiel, dass Türklinken, Geländerläufe und weitere Kontaktflächen täglich desinfiziert werden müssen – idealerweise von einer speziellen Reinigungsfirma.

Tägliche Desinfektion der Kontaktflächen ist nicht möglich   

„Die Forderungen sind in der Realität so nicht umzusetzen“, sagt Thomas Kaminsky, der für den Internationalen Bund zuständig für die Flüchtlingsunterkünfte in Teltow, Stahnsdorf, Werder (Havel) und Neuseddin zuständig ist. „Wir kommen ja schon nicht mehr an die benötigten Mengen an Desinfektionsmittel ran.“ In den sechs Unterkünften, die der Internationale Bund im Kreis betreibt, leben insgesamt 1061 Geflüchtete. Bis zum gestrigen Freitag gab es weder Verdachtsfälle noch Menschen, die in Quarantäne sind, sagte Kaminsky auf PNN-Nachfrage.

Die Sozialarbeiter vor Ort würden viel mit den Bewohnern sprechen, ihnen erklären, dass man nicht zu zehnt in der Küche stehen dürfte. „Aber die Kochzeiten sind nunmal beschränkt“, so Kaminsky. Man könne die Bewohner schlecht am Morgen oder Nachmittag ihr Mittagessen zubereiten lassen. Dennoch herrsche „eine absolute Disziplin“ in den Heimen. Die Geflüchteten hätten den Ernst der Lage verstanden. Und würden sich auch freiwillig beim Reinigen der gemeinschaftlichen Flächen in den Häusern einbringen, so Kaminsky. Manche Häuser seien so sauber wie nie zuvor gewesen. Er rechne dennoch damit, dass es Verdachtsfälle in den Unterkünften geben wird – trotz der Vorsichtsmaßnahmen. So wurde der Wachschutz an vielen Orten verstärkt, um den Zugang von Fremden zu kontrollieren.

Die Bewohner wünschen sich Kontakte nach draußen

Wie die Geflüchteten das Leben im Heim unter Corona-Regeln wahrnehmen, weiß Mihrican Cayakar. Sie ist die Ehrenamtskoordinatorin der Gemeinde Michendorf und bringt Geflüchtete mit engagierten Ehrenamtlichen zusammen, koordiniert Hilfsangebote und hat ein offenes Ohr für Wünsche und Sorgen. „Viele Bewohner kommen ja nur noch zum Einkaufen raus, sie sitzen in ihren Zimmern, haben zusätzlich die Kinder zuhause und sagen, ihnen sei langweilig.“ Anlaufpunkte für Bewohner des Hauses Polygon waren bisher das Montagscafé oder die Nähzeit im Familienzentrum Michendorf – beides ist aufgrund der Einschränkungen nicht mehr möglich. 

„Die Bewohner wünschen sich Kontakt zu Michendorfern, zu Deutschen, auch um die deutsche Sprache nicht zu verlernen.“ Daher sucht die Ehrenamtskoordinatorin derzeit Interessierte, die Lust und Zeit haben über Whatsapp, Telefon oder Email mit einer Familie in Kontakt zu treten, sich gegenseitig vom neuen Alltag zu erzählen – „im Gespräch zu bleiben, hilft.“ Cayakar hat auch zwei Nähmaschinen für die Flüchtlingsunterkunft in der Potsdamer Straße organisiert, dort werden jetzt fleißig Gesichtsmasken genäht – für die Bewohner des Hauses, aber auch für die Gemeinde.

Geflüchtete nähen Masken für sich und für andere Einrichtungen

Genäht wird derzeit auch auf der Jugendhöhe in Werder (Havel), dort hat das Netzwerk Neue Nachbarn sich dafür eingesetzt, dass Nähmaschinen durch Fördergelder ins Haus kommen. „Es herrscht große Solidarität unter den Bewohnern, aber auch mit den Menschen aus Werder“, beschreibt Jan Stehn vom Netzwerk die Situation im Heim. So würden Familien Masken für Einrichtungen in Werder nähen, es gibt Angebote, für ältere Menschen Einkäufe zu erledigen. Das seien sinnvolle Aktivitäten, die die Integration und das Miteinander fördern würden, so Stehn.

Das große Ziel des Netzwerks ist es, die bereits vorhandenen Küchenanschlüsse in den Wohnungen des Heims endlich zu nutzen. Bisher müssen die rund 170 Bewohner noch immer in einer Gemeinschaftsküche ihr Essen kochen. „Dass das zuvor nicht zugelassen wurde, ist unverständlich. In der jetzigen Situation ist es unverantwortlich.“ Das Netzwerk hat sich bereits an das Gesundheitsministerium und den Kreis gewandt. Aus der Baubehörde hieß es, dass das Vorhaben eine Umnutzung wäre, die nicht zugelassen sei.

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