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Wolfgang Weber holt für Besucher des Heimatmuseums gern rohe Kaffeebohnen und den alten Röster hervor, die Küche wird bald durch einen Kühlschrank komplettiert.

© A. Klaer

"Feuer und Flamme" in Potsdam-Mittelmark: Michendorfs versteckter Schatz

50 mittelmärkische Mussen zeigen am Samstag ihre Schätze. Darunter auch die Michendorfer Mühle. Ein Besuch vor Ort.

Von Enrico Bellin

Michendorf - Eine Mühle mitten im Ort und trotzdem gut versteckt: 50 Meter den Wolkenberg hoch, scharf rechts an der Förderschule Norberthaus vorbei, über den Wohncampus der Caritas und in einer 90-Grad-Kurve nach links abbiegen. Erst dann baut sich die 1889 errichtete Mühle vor dem Betrachter auf, in der seit 18 Jahren das Michendorfer Heimatmuseum untergebracht ist.

„Ganz nach oben gehen, das ist hier wie bei Rapunzel – nur mit Tür“, sagt Verena Hiller, Vorsitzende des Michendorfer Heimatvereins. Sie und Mühlenchef Wolfgang Werner führen durch die Ausstellung. Nach 58 Stufen steht man in einer Küche, eingerichtet mit Utensilien der vergangenen 100 Jahre, die die Michendorfer dem Verein gespendet haben. Während das Gewürzregal mit eingebautem Eierhalter noch auf den ersten Blick seinen Zweck verrät, wird es bei der gusseisernen abgedeckten Pfanne mit Drehkurbel, die Wolfgang Weber in der Hand hält, schon schwieriger: Der Röster für Kaffeebohnen durfte um 1900 in keinem gehobenen Haushalt fehlen. „Man hat aus dem Küchenofen oben Ringe herausgenommen, dann den Röster über das Feuer gehängt und fleißig gedreht“, so der 71-Jährige. Die rohen Bohnen dazu, die aussehen wie Erdnüsse, bekam man im Kolonialwarenladen Michaelis im Ortszentrum.

Noch immer geben die Michendorfer Dachbodenfunde ab: So kommt bis zum Samstag, an dem das Heimatmuseum zur Aktion „Feuer und Flamme“ geöffnet ist, noch der „Eisfink Spar-Kühler“ in die Küche: Wolfgang Weber hat den Schrank in der Größe einer Picknick-Kühlbox, in dessen eine Hälfte man Eiswürfel legen musste und der in den 1920er-Jahren die Kühl-Lösung für kleine Küchen war, erst vor wenigen Tagen von einem Freund abgeholt.

Gegenstände des Alltags und auch Raritäten

Neben solchen Alltagsgegenständen zeigt das Museum absolute Raritäten, wie sich gegenüber der Küche zeigt. Im Raum der Vereine und Kulturschaffenden hängt die Silbermedaille, die der Michendorfer Hans-Dieter Brüchert bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal gewonnen hat – komplettiert von Wettkampfhose und Schuhen. Die waren damals schon von Adidas, auch für DDR- Sportler. „Als Prämie für den Gewinn hat Brüchert sogar einen Wartburg bekommen“, sagt Verena Hiller. Da eine Mühle wenig Platz bietet – auch wenn die am Wolkenberg schon 1925 ihrer Flügel beraubt und als Wohnhaus umgebaut wurde –, hängen direkt neben den Olympia-Devotionalien Erläuterungen zu den örtlichen Malern. So wird etwa Richard Muth gewürdigt, der Landschaftsmaler und Grafiker hat unter anderem für die Firma Sarotti Werbung gestaltet. Seine Werke sind in einer Sonderausstellung in der Potsdamer Straße 57 zu sehen.

Ein Stockwerk tiefer wird dem Besucher erst einmal eine Schultüte in die Hand gedrückt: Der Heimatverein hat hier das typisches Klassenzimmer einer Dorfschule nachgebaut. Auf den Tischen liegen Abakus und Holzfedertasche. Beim ersten Blick auf das Lehrerpult erahnt man: Lehrer war kein einträglicher Beruf. Keine 30 Zentimeter Platz sind zwischen Schreibpult und Rückenlehne, ein Pädagoge mit Bauchansatz hätte da keine Chance. „Mein Vater ist 1910 geboren. Er musste als Schulgeld noch Lebensmittel für den Lehrer mitbringen“, sagt Wolfgang Werner. Er wohnt sein Leben lang schon unterhalb der Mühle, die in einem weiteren Raum noch an Handwerke wie Schumacher und Töpfer sowie an die Bauern- und Waldarbeitertradition rund um Michendorf erinnert.

Dabei hat er auch einen Großteil der Stationen des Hauses miterlebt: Nachdem der Besitzer einer benachbarten Villa die Mühle zum Aussichts- und Wohnturm umgebaut hatte, wurde sie zu DDR-Zeiten als Wohnheim genutzt: Erst für Frauen, die in der Nachbarschaft Ausbildungen machten, dann für Ordensschwestern. Sechs Mädchen mussten sich eine kleine Kammer im obersten Stockwerk teilen. In den 60er-Jahren machte Werner auf dem Gelände eine Ausbildung zum Maurer, Mittagsverpflegung gab es in der Mühle im Erdgeschoss. „Zur Wendeltreppe gab es damals noch eine Extra-Tür, damit wir jungen Burschen nicht zu den Ordensschwestern ins Zimmer gehen konnten“, so Weber.

Michendorfer Mühle bei "Fleuer und Flamme"

Seit fünf Jahren ist er für die Mühle verantwortlich, die sonst jeden zweiten Sonntag im Monat geöffnet ist und zum fünften Mal an der Aktion „Feuer und Flamme“ teilnimmt. Im Vorjahr hätten etwa hundert Besucher den Weg in die Langerwischer Straße 27 gefunden, bis 22.30 Uhr habe man am Feuer gesessen. Auch in diesem Jahr soll es einen Grill geben, den die benachbarte Caritas ebenso stellt wie die Zelte für Besucher. Die Freiwillige Feuerwehr bringt Bierzeltgarnituren vorbei.

„Wir wollen jetzt auch mehr für Kinder bieten“, sagt Verena Hiller. So hat das Atelier der benachbarten Behindertenwerkstatt geöffnet, Kinder können dort selbst malen. Ein Glücksrad der Verkehrswacht ist auch da, wer Verkehrszeichen erkennt, bekommt kleine Überraschungen. Falls es zu nass wird, stehen Extra-Zelte der Verkehrswacht bereit.

Nachmittags gibt es Kaffee und Kuchen, den die Damen des 130 Mitglieder starken Heimatvereins selbst backen. Am Abend wird Stockbrot über dem Feuer geröstet. Verena Hiller macht dazu noch Käse-Lauch-Suppe, selbst das Schmalz für die Brote brät sie selbst aus – „Gekauftes gibt es bei uns nicht.“ Und wer nach dem Essen noch kann, geht mit Wolfgang Werner die Wendeltreppe der Mühle hoch, genießt den Blick aus den Luken aufs nächtliche Michendorf und fühlt sich ein bisschen wie Rapunzel.

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