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Erfinder der Blinden-Schreibmaschine: Schneller schreiben als sprechen

Vor 70 Jahren starb der Erfinder der Blindenschreibmaschine, Oskar Picht, in Bergholz-Rehbrücke. Seine Erfindung gab sehbehinderten Menschen ein großes Stück Lebensqualität

Nuthetal - Auf geniale Weise kombinierte er Schreibmaschine und Blindenschrift und schuf so ein Gerät, das noch heute für viele Blinde und Sehbehinderte zu den größten Erfindungen zählt. Vor 70 Jahren wurde der Pionier und Erfinder der Blindenschreibmaschine, Oskar Picht, auf dem Friedhof Bergholz-Rehbrücke zu Grabe getragen. Am 4. April wird ihm im Rahmen einer Feierstunde an seinem Grab gedacht. Die traditionelle Osterwanderung des Sozialwerks Potsdam wird Mitglieder des Vereins, blinde und sehbehinderte Menschen, von Potsdam nach Bergholz-Rehbrücke an die 2003 errichtete Ehrengrabstätte von Picht führen.

„Viele Menschen wissen gar nicht, wer Oskar Picht war und dass er hier gestorben ist“, sagt der sehbehinderte Autor und Schriftsteller Kurt Baller. Neben Ortsbürgermeisterin Ute Hustig und dem Geschäftsführer des Sozialwerks, Reinhard König, wird auch er am Grab des Erfinders eine Rede halten und dem einstigen Blindenlehrer gedenken. Bis zu seinem Tod 1945 verbrachte der aus Pasewalk stammende Picht seine letzten Lebensjahre in einem Feierabendheim für Blinde in Bergholz-Rehbrücke. Heute ist dort das Deutsche Institut für Ernährungsforschung untergebracht.

Braille-Schrift und Schreibmaschine in Verbindung

Picht, selbst zeitlebens sehbehindert, hatte schon früh den Wunsch Lehrer zu werden. In der Blindenanstalt Steglitz bei Berlin arbeitete er zunächst als Blindenlehrer. „Ihm fiel auf, wie schwer es für seine Schüler war, mit der Braille-Schablone zu schreiben“, weiß Baller. Schon die 1825 von dem Franzosen Louis Braille entwickelte Schrift erleichterte das Leben der Blinden und Sehbehinderten enorm, sagt er. Doch erst die Erfindung der Schreibmaschine brachte die bis dahin stark eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten der Betroffenen voran. „Mit den Sechs-Punkt-Reihen von Braille war schon alles möglich – Buchstaben, Noten, Zahlen. Der Nachteil: Die Schablone musste spiegelverkehrt ins Blatt eingedrückt werden“, sagt der 67-Jährige. Das erforderte eine hohe Konzentration.

Picht verband Elemente der von Braille erfundenen Schrift mit technischen Bestandteilen einer Schreibmaschine. 1899 entstand sein erstes Modell, das sich im Vergleich zu dem zuvor in den USA entwickelten Braille-Writer als wesentlich zuverlässiger und brauchbarer erwies. Am 6. Mai 1901 bekam Picht für seine Erfindung das erste Patent. Seitdem entwickelte er seine aus sieben Tasten bestehende Maschine stetig weiter. Bis 1932 waren bereits 2000 Geräte verkauft. „Ein toller Mechanismus, jetzt war es möglich, schneller zu schreiben als zu sprechen“, schwärmt Baller, auch wenn der Journalist und Autor selbst die Maschine kaum nutzte. Noch in den 80er-Jahren wurden Maschinen nach Pichts System hergestellt: Die mit der Punktschrift versehenen sechs Tasten ergeben, in verschiedenen Varianten gleichzeitig gedrückt, alle Buchstaben des Alphabetes. Dazu besitzt die Maschine eine Leertaste. Später erfand Picht auch eine Stenografie-Schreibmaschine für gerollte Papierbögen.

Ein Meilenstein in der Kommunikation

Kurt Baller behilft sich zwar heute mit einem Computerprogramm. Früher, so sagt er, hatte er in seinem Arbeitszimmer aber eine Mercedes-Schreibmaschine aus dem Jahr 1929 und ein Lesegerät stehen, das ihm die Zeilen stark vergrößerte. Anderen hilft eine solche Technik nicht, da sie gar nichts mehr erkennen können. Sie sind noch immer auf Pichts Erfindung angewiesen, um ihre Gedanken auf Papier bringen zu können.

Ein Meilenstein in der Kommunikation, die gerade für Blinde und Sehbehinderte so wichtig ist, da sie oft nur über wenige soziale Kontakte verfügen, sagt Baller. „Wenn man nicht sieht, rücken Dinge wie Anfassen, Fühlen und Erklären in den Vordergrund“, erklärt er. Etliche, zumeist historische Bücher hat Baller schon verfasst, ohne technische Assistenz wäre das nicht möglich. Außerhäusige Recherchen könne er jedoch nicht allein bewältigen. Besuche in Archiven und Bibliotheken realisiere er mit Menschen, die ihm vorlesen, erzählt er. 1639 wurde ein Blinder als „Wunder von Potsdam“ sogar urkundlich erwähnt, fand Baller heraus. Hans Bottell ging damals in die Geschichte ein. Als er eines Morgens erwachte, konnte der an einem Grauen Star erkrankte Potsdamer plötzlich wieder sehen.

Die Schreibmaschine bringt Lebensqualität

Heute gibt es solche Wunder nicht mehr, sagt Baller, aber eine Reihe chirurgischer Möglichkeiten. Auch die Kommunikationsmittel entwickeln sich kontinuierlich fort. Doch auch, wenn die Computertechnik in hochentwickelten Industrieländern die Blindenschreibmaschine mehr und mehr verdrängt, sei die zu DDR-Zeiten von Robotron vertriebene „Erika-Picht“ in Entwicklungsländern nach wie vor „ein Renner“, sagt Baller.

Zwar gebe es inzwischen moderne Technik wie Computer mit einer Braille-Zeile zur Eingabe der Blindenschrift und akustischer Sprachausgabe, die auch blinden Menschen eine vollwertige Arbeit am Computer ermöglicht. Doch könnten sich diese Entwicklungen nur wenige Menschen leisten.

Rund 165 000 Blinde und Sehbehinderte leben derzeit in Deutschland. Für viele von ihnen bedeute daher Pichts Schreibmaschine auch heute noch ein großes Stück Lebensqualität.

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