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Potsdam-Mittelmark: Eine Fähre feiert Rente

Die legendäre „Tussy I“ soll ab Juni zum Caputher Ausflugsziel werden – und zur Bühne für Ortsfeste

Schwielowsee · Caputh - Am Freitag vor Ostern war es, da tuckerte der alte Motor nach fast einem Jahrzehnt Ruhepause wieder los. Das Geräusch ist Fährmann Karsten Grunow noch vertraut. Auch seiner in Spanien lebenden Mutter? Er wählte ihre Nummer und hielt das Handy ganz dicht an die Maschine. „Und? kennt Du das Geräusch?“ Sicher, Ursel Grunow kannte es. „Na ja, es ist schon so, dass da mal eine Träne aus dem Knopfloch tropft“, sagt Karsten Grunow.

Seit 1942 war die alte Caputher Fähre in Betrieb, für Grunows war sie ein Familienmitglied. Karsten Grunows Großvater Hans Bastian hatte „Tussy I“ entworfen, sein inzwischen verstorbener Vater Klaus Grunow mit seiner Frau Ursel den Fährbetrieb übernommen und schließlich an Karsten Grunow weitergegeben. Karsten Grunow kann die alte Fähre nicht der Schrottpresse überlassen. „Sie hat drei Generationen ernährt.“ So läuft das in der Fährmann-Familie seit 1853, auch Tussy I musste vor neun Jahren von Tussy II abgelöst werden.

Jetzt wird der geschichtsträchtige Kahn, der zwischenzeitlich als Tanzfläche für das Caputher Strandbad gedient hatte, restauriert. Vor gut einem Jahr wurde ihm der Behördentitel „Technisches Denkmal“ verpasst. Doch was der Denkmalbehörde recht ist, ist der Bauaufsicht noch lange nicht billig. Über 5000 Euro, Zeit, Nerven, Ausdauer und Beharrlichkeit hat es gekostet, die Fähre nur am Geltower Fährhafen aufzustellen. Formulare waren auszufüllen, Zeichnungen anzufertigen, ein Strafverfahren abzuwenden und Auflagen zu erfüllen – wie die, dass die Fähre statt auf 30 Jahre alten Eisenbahn-Holzschwellern auf Eisenbahn-Betonschwellern aufgebockt sein muss. Bodenschutz!

Nach der Baugenehmigung investierte Grunow weitere 5000 Euro, um das rostige Artefakt aufzumöbeln. Die Arbeiten, die von seinen beiden Freunden Björn Alte und Rainer Hintze bewerkstelligt und von fast sämtlichen beteiligten Firmen gesponsort werden, stehen kurz vor dem Abschluss. Die Fähre wurde entrostet, gesandstrahlt und dreimal lackiert. Schweißnähte mussten neu gezogen, Planken gesägt und Motorteile gereinigt werden. Der Blitzschutz, ein paar Türen, die Seilwinden und die Umfeldgestaltung fehlen noch.

„Das alles in dem Jahr, in dem die Fähre 65 wird“, freut sich Grunow. Als Altersfalten blieben ihr einige Rostlöcher im Geländer – und die kleine Beule von dem Unfall, als ein Motorboot am helllichten Tage gegen das Führerhaus gefahren war. Voraussichtlich im Juni ist eine Einweihungsfeier geplant, „Muttchen“ wird dann wohl aus Spanien eingeflogen. Zum nächsten Fährfest am 4. August und zum Fahrradsonntag am 16. September soll die Fähre als Kulturbühne zur Verfügung stehen. Und natürlich zum Schwielowsee-Festival im September. Auch in Zukunft soll sie ein Ort für besondere Anlässe und Feiern sein. Für Ausflügler soll noch eine Picknickecke dazukommen – der Platz an der alten Fähre soll Aufenthaltsqualität bekommen. Und das Kulturforum Schwielowsee wird Informationstafeln zur Fährgeschichte und zum Stammbaum der Fährleute anfertigen.

Wenn Grunow über die klappernde Holzbeplankung wandelt, werden Erinnerungen wach – zum Beispiel wie im Jahre 1975 die Fähre wegen eines ins Rutschen geratenen Lasters halb im Wasser verschwand. Wie die offenen Schwimmkörper bei Regen mit Wasser vollliefen und mit der Handpumpe geleert wurden. Wie nach der Wende mit zusätzlichen Planken dafür gesorgt wurde, dass die tiefergelegten Sportwagen nicht aufsetzten. Wie Filmteams Tussy in verschiedenen Serien und Sachbeiträgen zum TV-Star machten. Die Wartung sei einfacher gewesen. Und zierlicher als die neue Fähre sei Tussy I auch, hätte sich besser in die Landschaft eingeschmiegt. „Die steht doch da rotweiß im Wald wie ein Rolls Royce“, meint Grunow.

Das der Motor noch läuft, ist für den Fährmann, der selbst seit 15 Jahren über das Gemünde pendelt, ein Segen. Die SMS, die ihm der Mechaniker geschickt hatte, als Motor und Getriebe verbunden waren, hat er in seinem Handy gespeichert. „Die Hochzeit ist vollbracht.“ Selig tätschelt Grunow den Wasserverdampfer, der an heißen Sommertagen dreimal täglich mit Havelwasser nachgefüllt werden musste. Und ein Kollege, erzählt er, hätte in dem brodelnden Kühlwasser seine Wiener zubereitet. „Im Winter haben wir uns daran unsere Hände gewärmt.“ Vielleicht, träumt Grunow, lässt sich an Tussy I mit einer Endlos-Seilschleife und dem knatternden Motor mal die Funktionsweise einer Seilfähre erklären. Mancher Unfall in der Geschichte hätte vielleicht vermieden werden können, wenn die Freizeitkapitäne darüber Bescheid wüssten.

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