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1979 wurde zum 100. Jubiläum des Baumblütenfestes opulent mit einem Umzug gefeiert. Vorher gab es den wohl nicht. 

© Sammlung Baldur Martin

"Ein Trinkerfest ersten Ranges": Alkohol war beim Baumblütenfest schon immer ein Problem

Eine Chronik von Baldur Martin zeigt, was beim Werderaner Baumblütenfest tatsächlich Tradition hat - massenweise Betrunkene gab es bereits um die Jahrhundertwende.

Von Enrico Bellin

Werder (Havel) - Haben die Werderaner schon vor dem Baumblütenfest Obstwein verkauft? Kam früher wirklich eher die Arbeiterklasse zum Alkoholgenuss in die Stadt? Und war der Festumzug stete Tradition beim Volksfest? Diese und weitere Fragen hat Werders Ortschronist Baldur Martin in einem 48-seitigen Buch im Auftrag der Stadt geklärt, welches ab sofort kostenlos in der Tourist-Information ausliegt. „Wenn man von Traditionen spricht, wie viele Werderaner das in diesen Tagen tun, sollte man sie auch kennen“, begründet Bürgermeisterin Manuela Saß (CDU) den städtischen Auftrag für das Werk mit einer Auflage von 300 Exemplaren.

Baldur Martin.
Baldur Martin.

© Enrico Bellin

Baldur Martin will mit seinem Werk ebenfalls zur Versachlichung der Debatte um die Zukunft des Festes beitragen, welches wie berichtet in diesem Jahr nicht stattfindet und ab 2021 in neuer Form gefeiert werden soll, an der derzeit gearbeitet wird. „Es werden Behauptungen in den Raum geworfen, etwa dass die Werderaner auch schon vor dem ersten Baumblütenfest Obstwein verkauft haben“, so Martin bei der Buchvorstellung. Das erste Baumblütenfest wird 1879 gefeiert – doch die 50.000 Besucher haben noch keinen Obstwein getrunken, wie Martin bei der Recherche in mehreren Archiven erfahren hat. „Die wichtigsten Getränke waren Bier – in Werder gab es ja mehrere Brauereien –, Traubenwein und Saft“, so der Ortschronist. Erst 1891 habe es nach einer Missernte die Order des Regierungspräsidenten gegeben, auch nicht verkaufsfähiges Obst zu verwerten. Ein Jahr später wurde die erste größere Obstpresse nach Werder gebracht.

Massenweise Betrunkene gab es schon 1907

Baldur Martin zufolge hält sich auch der Glaube, dass es schon immer einen Umzug zu Beginn des Volksfestes gab. „Viele Menschen sagen ja, das war schon immer so’, wenn etwas zehn Jahre lang gemacht wurde.“ Den ersten nachweisbaren Umzug gab es aber erst 1979 zum 100. Festjubiläum, und auch danach wurde er lange Zeit noch keine Tradition. Erst 1996 wird der nächste Umzug in der Chronik erwähnt.

Auch sei es nicht die Arbeiterklasse aus den Berliner Mietskasernen gewesen, die zu den ersten Festen in die Blütenstadt strömte. Vielmehr habe die um die Wende zum 20. Jahrhundert wachsende Mittelschicht der Hauptstadt die neu entstehenden Höhengaststätten bevölkert.

Ausgelassen gefeiert hat die Mittelschicht aber anscheinend: „Ich habe noch nie so zahlreiche und schwer Betrunkene gesehen wie dort an einem Sonntagabend“, schreibt etwa der Berliner Arzt Magnus Hirschfeld 1907 und spricht von einem „Trinkerfest ersten Ranges“. Einige Werderaner ärgert das, 1924 etwa fordert der SPD-Stadtverordnete Nikolaus Osterroth, den Wein doch mit Wasser zu strecken und mindestens 2,50 Mark pro Becher zu verlangen. Immer wieder gab es Bemühungen, das Niveau des Festes zu heben, zuletzt 2010 – ohne langfristigen Erfolg. An den glaubt Baldur Martin aber jetzt, da diesmal die Stadt selbst die Veränderungen herbeiführen will. 

Versuch einer Chronologie der Baumblütenfeste in Werder (Havel). Dr. Baldur Martin, Herausgeber: Stadt Werder (Havel). Kostenlos in der Tourist-Info Werder, Plantagenplatz 9, 14542 Werder (Havel)

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