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Dania und Viiktoria verstehen sich gut mit ihren Gastgebern Dorota und Thomas Zimdars (v.l.).

© privat/Thomas Zimdars

Ein neues Zuhause in Kleinmachnow: „Wir hatten einfach großes Glück!“

Seit März leben die Ukrainer Viiktoria und Dania Nevhad in der mittelmärkischen Gemeinde Ein Aufenthalt, der nie so lange dauern sollte.

Kleinmachnow - „Welcome, what would you like to drink?“ Mit diesen einladenden Worten öffnet Viiktoria Nevhad die Tür des Hauses, in das sie gemeinsam mit ihrem Sohn Dania vor fünf Monaten gezogen ist. Es war die Zeit, kurz nachdem der russische Angriffskrieg in der Ukraine begonnen hatte. Eine Zeit, die für Viiktoria und viele andere Ukrainer:innen alles veränderte und nichts mehr so werden ließ, wie es einmal war. Friedlich in ihrem Heimatland.

Eigentlich hatten die 36-Jährige und ihr 14-jähriger Sohn bei Dorota und Thomas Zimdars in Kleinmachnow nur vorübergehend wohnen wollen. Nur für ein paar Wochen, bis es in der Ukraine wieder sicher war, keine Bomben mehr flogen. Daraus wurden nun fünf Monate. Die PNN hatten die beiden und ihre Gastfamilie zu Beginn der Krise besucht und berichtet, wie es bei ihnen Zuhause läuft. Nun gab es einen erneuten Besuch.

Wenn der Krieg zu Ende ist, wollen sie wieder zurück

„Wir leben ständig auf dem Sprung“, sagt Viiktoria im Garten des Hauses. Ihre Gastgeber sind gerade im Urlaub. Viiktorias Schwägerin Katarina Sukhodolska ist mit ihrem Sohn Bogdan (14) und Tochter Oksana (8) zu Besuch. Das Gespräch findet auf Englisch statt. „Jeden Tag, jede Woche müssen wir neu entscheiden, wie es weiter geht. Wir wissen nicht, wann dieser Krieg vorbei ist“, sagt Viiktoria. Für sie und ihren Sohn ist, wie auch für viele andere Ukrainer:innen, klar: wenn der Krieg zu Ende ist, wollen sie wieder zurück. Zurück zu Familie und Freunden, zur Arbeit. Und zurück in ihre eigene Wohnung, in ihr eigenes Haus, wenn das nicht von Bomben zerstört worden ist.

„Viele versuchen zurückzugehen“, weiß Katarina. Sie gingen für ein paar Wochen in die Heimat und kämen wieder, weil ein Leben ohne Angst dort nicht möglich sei. „Wir bekommen dann eine Nachricht: ’Oh Mädels, wir müssen zurück. Es geht hier einfach nicht’“, berichtet Katarina. „Wir nehmen den ersten Zug, wenn der Krieg vorbei ist“, sagt die 35-Jährige. Aber jetzt sei es zu unsicher. „Wir können nicht mal ohne Angst spazieren gehen.“ Besonders wegen der Kinder. „Es ist besser, wenn sie in eine normale Schule gehen. Vielleicht im September, vielleicht wird es nächsten Monat besser. Aber das sagen wir schon, seitdem wir hier sind.“

Ein kurzer Besuch in Kiew

Auch Viiktoria und Dania waren zehn Tage in ihrer Heimat in Kiew und einem Haus in einem Dorf in der Oblast Tschernihiw im Norden Kiews. Bei unserem Besuch sind sie erst wenige Tage zurück in Kleinmachnow. Es war das erste Mal, dass sie ihr Heimatland besuchten, nachdem sie es vor mehr als fünf Monaten verlassen mussten. Viiktoria ist noch immer bewegt von den Eindrücken dort. „Es ist wie in einem Film, wie eine Parallelwelt. Hier triffst du Freunde. Und dort hörst du den Alarm und die Raketen fliegen.“ Sie sei nervös dort gewesen. „Du kannst nicht glauben, dass das in deinem Zuhause passiert. Wir leben doch in der Mitte Europas.“ Viiktoria stockt die Stimme. „Sprich du weiter“, sagt sie zu ihrer Schwägerin. „Mir kommen sonst die Tränen.“

Die Ukrainerin Viiktoria (l.) mit ihrem Sohn Dania sowie Schwägerin Katarina (r.) mit Tochter Oksana und Sohn Bogdan (hinten rechts).
Die Ukrainerin Viiktoria (l.) mit ihrem Sohn Dania sowie Schwägerin Katarina (r.) mit Tochter Oksana und Sohn Bogdan (hinten rechts).

© Thilo Rückeis

Die 36-jährige blonde Frau fühlt sich auch nach fünf Monaten noch sehr wohl bei den Zimdars. „Wir hatten einfach großes Glück! Sie tun so viel für uns. Ich weiß gar nicht, womit wir das verdient haben.“ Viiktoria und Katarina besuchen während der Woche einen Deutsch-Sprachkurs in Teltow. Ihre Kinder gehen in die Maxim-Gorki-Schule in Kleinmachnow. Katarinas Sohn Bogdan hatte bereits Deutsch in Kiew gelernt. Über die Schule, die eine Partnerschule der Kleinmachnower Schule ist, kam auch der Kontakt zu Katarinas Gastfamilie zustande. Auch sie hätten großes Glück mit ihren Gastgebern in Stahnsdorf. „Wir wohnen in einer eigenen Wohnung, mit eigener Küche und eigenem Bad. Wir haben eine sehr gute Situation. Nicht alle haben so ein Glück.“

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Nach dem Deutschunterricht treffen sich Viiktoria und Katarina häufig auf einen Kaffee im Willkommenscafé des Fördervereins Alte Schule Kleinmachnow am Zehlendorfer Damm mit anderen Ukrainerinnen. Einige Mütter erzählten davon, wie es ihnen ginge, dass ihre Gastfamilien langsam an ihre Grenzen kämen. „Es gibt viele Leute, die sich jetzt eine eigene Wohnung suchen müssen“, sagt Katarina. Doch sie fänden keinen bezahlbaren Wohnraum in der Gegend. Sie gingen zum Rathaus, suchten in den sozialen Netzwerken nach Wohnmöglichkeiten oder auch andere private Unterkünfte.

Rund 1500 Geflüchtete aus der Ukraine im Kreis registriert

Nach den jüngsten Zahlen des Landkreises Ende Juli waren rund 1500 Geflüchtete aus der Ukraine im Kreis registriert. Hinzu kommen Menschen, die sich als Touristen ohne Registrierung aufhalten. Der Kreis schätzt die Zahl auf mehr als 3000 Menschen. Allein in Kleinmachnow sind es mehr als 300 Geflüchtete. Sie leben auch nach Monaten noch bei Gastfamilien. Die private Unterbringung war aber nur als Notlösung gedacht. Eigentlich hatte der Kreis zur Entlastung der Gastgeber:innen das NH-Hotel in Kleinmachnow anmieten wollen. 

Doch vor einigen Wochen teilte die Kreisverwaltung mit, dass das Hotel wegen Sicherheitsmängeln nicht mehr zur Verfügung stünde. Nun wurden Zimmer im City Best Hotel in der Gemeinde Seddiner See zwischen Michendorf und Beelitz angemietet. Es geht um 111 Plätze. Einzug: ab dem 10. August. Auf einer Liste des Kreises für Menschen, die dringend einen Wohnraum benötigen, stehen 70 Menschen. Daneben gibt es eine weitere Liste mit Personen, die nicht so dringend Wohnraum suchten. Für die Unterbringung hat der Kreis zunächst die Eilliste abtelefoniert, sagt Kreissprecher Kai-Uwe Schwinzert. Die Resonanz sei verhalten. Einige bräuchten Überlegungszeit. Es sei schon eine Entscheidung, nach Neuseddin zu gehen, glaubt Schwinzert. Insbesondere für die Kinderbetreuung hat der Kreis der Gemeinde Unterstützung zugesagt. Landrat Marko Köhler (SPD) sprach dazu mit Bürgermeisterin Carina Simmes (BVB/Freie Wähler).

Kritik an Unterbringung in Neuseddin

Friederike Linke von der Ukraine-Hilfe TKS (Teltow/Kleinmachnow/Stahnsdorf) ist verärgert, dass es mit dem NH-Hotel nicht geklappt hat. Zu dem neuen Standort in Neuseddin sagte sie: „Dann können die Menschen gleich nach Rheinland-Pfalz ziehen.“ Es sei nochmal ein Umzug. „Sie wurden schon einmal entwurzelt.“ Hinzu komme, dass die Kinder bereits in Schulen in der Umgebung gingen. Die Ukraine-Hilfe engagiert sich mit Unterstützung des Vereins „Begegnungsstätte Alte Schule Kleinmachnow“ für Menschen aus der Ukraine. Der Verein hatte sich nach der letzten großen Flüchtlingswelle im Jahr 2016 gegründet und hat das Ziel, Begegnungen über kulturelle und soziale Grenzen hinweg zu ermöglichen und Menschen beim Ankommen in der Region zu unterstützen.

Friederike Linke von der Ukraine-Hilfe TKS.
Friederike Linke von der Ukraine-Hilfe TKS.

© blumbrich

Rund 50 Ehrenamtliche machen sich Gedanken, wie und wo am besten konkret geholfen werden kann. Im Willkommensladen im NH-Hotel organisieren sie zum Beispiel Kleidung und Schulmaterial und betreiben das Willkommenscafé, das an mehreren Tagen in der Woche geöffnet ist. Der Verein ist auf Spenden angewiesen.

Linke weiß von einigen Betroffenen, dass sie selbst in umkämpfte Gebiete in der Ukraine zurückgegangen sind, weil sie die Trennung von der Familie nicht mehr aushalten oder den Arbeitsplatz nicht verlieren wollen.

Auch Viiktoria würde gerne arbeiten. Aber ihre Agentur in der Ukraine hat die Arbeit auf das Nötigste reduziert. In Deutschland einen Job zu finden, sei wegen der deutschen Sprache noch schwer. Gastgeber Thomas Zimdars, der gerade mit Frau Dorota mit dem Fahrrad durch Südtirol unterwegs ist, findet, die Arbeitsagenturen müssten den Betroffenen gezielt Jobangebote mit englischen Sprachkenntnissen machen, damit sie erst einmal arbeiten könnten. „Der strukturelle Tagesablauf und die Aufgaben fehlen ihnen“, sagt er am Telefon. Vom Jobcenter bekommen die Zimdars für die Unterbringung von Viiktoria und Dania eine Entschädigung von 200 bis 300 Euro.

Viiktoria und Dania können so lange bleiben, wie sie möchten

Das Zusammenleben sei weiterhin gut. „Wir haben genug Platz, um einander auch auszuweichen“, sagt er. Tagsüber arbeiten die Zimdars. Abends wird gemeinsam gegessen. „Aber es ist keine Pflicht, es gibt keine Regeln. Es funktioniert bei uns einfach. Viiktoria ist sehr rücksichtsvoll.“ Auch Dorota beschreibt das Zusammenleben als großes Glück. „Es ist wie eine Art Seelenverwandschaft“, sagt Dorota, die polnische Wurzeln hat. Viiktoria und Dania könnten so lange bleiben, wie sie möchten. „Wir setzen ihnen keine Deadline“, sagt Dorota. 

Natürlich freue sie sich darauf, irgendwann wieder ihr altes Leben zu haben. Doch der Aufenthalt der beiden sei für sie eine Bereicherung. Dann hält Dorota kurz inne. „Wissen Sie, wir sind hier am Reschensee. Hier gibt es einen alten Kirchturm, der aus der Mitte des Sees ragt. Es ist ein schöner Anblick, aber ein trauriges Symbol.“ 

Die Zimdars in Südtirol vor dem Turm mit tragischer Geschichte.
Die Zimdars in Südtirol vor dem Turm mit tragischer Geschichte.

© privat/Thomas Zimdars

Der Kirchturm ist der Überrest des südtiroler Dorfes Graun, das nach dem Zweiten Weltkrieg einer See-Stauung zum Opfer fiel. 677 Hektar Grund und Boden wurden überflutet, fast 150 Familien wurden laut der Region Vinschgau ihrer Existenz beraubt, und fast die Hälfte zur Auswanderung gezwungen. „Es zeigt auf so tragische Weise, dass Entwurzelung und Flucht jeden treffen kann.“

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